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„Dann bekomme ich kein Kind mehr“

nh; 17. Jun 2014, 11:45 Uhr
Bilder: Nils Hühn --- Beim Müttercafe in der Wiehler Hebammenpraxis Sternschnuppe wollten sich die zehn Mütter, die kürzlich ihre Kinder zur Welt brachten, nicht vorstellen, wie es ohne freie Hebammen ist.
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„Dann bekomme ich kein Kind mehr“

nh; 17. Jun 2014, 11:45 Uhr
Oberberg - Seit Monaten bangen deutschlandweit Hebammen um ihre berufliche Zukunft - Ohne neuen Versicherer wird es keine freien Geburtshelfer mehr geben - Gesetzgeber beschließt erste Entlastungen.
Von Nils Hühn

Seit bekannt wurde, dass die Nürnberger Versicherung aus dem Versicherungskonsortium austreten will, bangen die freien Hebammen in Deutschland um ihre Existenz. Aber auch schon jetzt sind die Beiträge für die Berufshaftpflicht so hoch, dass zum Beispiel Insa Meurer und Sandra Halang von der Wiehler Hebammenpraxis 'Sternschnuppe' fast ein Vierteljahr arbeiten müssen, um nur die Versicherung zu bezahlen. „Die Kosten sind gedeckt, wenn wir zehn Geburten hatten“, so Halang. Dabei müssen es pro Hebamme zehn Geburten sein.



Viele Proteste der Geburtshelfer und deren Sympathisanten, in erster Linie Eltern, haben nun dafür gesorgt, dass der Gesetzgeber in der vergangenen Woche einen zweistufigen Plan zur Entlastung der Hebammen beschloss. Der Bundestag sieht vor, dass Krankenkassen und Hebammenverbände Zuschläge für die Zeit ab dem 1. Juli aushandeln sollen. Damit sollen die Hebammen bei ihrer Berufshaftpflicht entlastet werden. In der zweiten Stufe sieht der Plan vor, dass es ab dem 1. Juli 2015 einen Sicherstellungszuschlag geben soll, der die Übergangsregel ersetzt.

Dies ist ein erster Schritt in die richtige Richtung, aber an sich zu wenig. Das stellt auch der Deutsche Hebammenverband fest. Denn ab Juli 2016 gibt es überhaupt keinen Versicherer mehr. „Der Sicherstellungszuschlag bietet keine langfristige Lösung der Haftpflichtproblematik”, erklärt Martina Klenk, Präsidentin des Deutschen Hebammenverbandes. Der Hebammenverband hofft daher auf langfristige Lösungen wie etwa die Einführung einer Haftungsobergrenze mit einem öffentlich finanzierten Haftungsfonds. „Ohne eine Versicherung können wir keine Geburten mehr begleiten“, erklärt Halang, die sich mit ihrer Kollegin erst 2012 in Wiehl niederließ.


[Die zehn Monate alte Lena kam in Begleitung einer Beleghebamme zur Welt, was ihrer Mutter Verena Schubert sehr wichtig war.]

Das hätte nicht nur für die Hebammen weitreichende Konsequenzen, sondern auch für Frauen, die sich entscheiden, ein Kind kriegen zu wollen. „Ohne die freien Hebammen bekomme ich kein Kind mehr“, hat Adina Stoll eine klare Meinung. Seit fünf Monaten ist die Nümbrechterin Mutter von Söhnchen Emilian und hat ihn in Begleitung ihrer Beleghebamme bekommen. Diese enge Bindung zwischen Hebamme und werdender Mutter ist sehr wichtig. „Man weiß einfach, wer im emotionalsten Moment an seiner Seite ist“, kann sich auch Julia Groß nur schwer vorstellen, ohne die Hebamme ihres Vertrauens noch ein Kind zu gebären.

Angesichts der ohnehin stark abnehmenden Geburtenrate in Deutschland ist es unverständlich, dass sich die Situation für Hebammen und Frauen mit Kinderwunsch so drastisch verschlechtert. „Es wäre ein großer Rückschritt“, glaubt auch Sandra Halang. In Zeiten, in denen Politiker nicht müde werden vor den Folgen des Demografischen Wandels zu warnen, ist es umso erstaunlicher, dass den Geburtshelfern solche Knüppel zwischen die Beine geworfen werden.

Sollte sich tatsächlich kein neuer Versicherer für die freien Hebammen finden, können sie keine Geburten mehr begleiten. Sandra Halang (Bild) befürchtet dann ein Chaos, weil es keine Eins-zu-Eins-Betreuung mehr geben würde. Auch fürchtet sie einen Anstieg von Kaiserschnitten. Sie und Insa Meurer haben sich bis Jahresende eine Frist gesetzt, um zu schauen, wie sich die Situation entwickelt. „Im schlimmsten Fall muss man sich einen neuen Beruf suchen“, so Halang. Es gibt viele Wege, wie man sich für die Hebammen einsetzen kann. Der Hebammenverband hat hier einige Aktionen zusammengetragen. Für ein kinderreiches Deutschland lohnt sich die Unterstützung.
 
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