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'Mein Mann hat einen Schlaganfall' - Alltag in der Rettungsleitstelle

hen; 22. Sep 2000, 19:33 Uhr
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'Mein Mann hat einen Schlaganfall' - Alltag in der Rettungsleitstelle

hen; 22. Sep 2000, 19:33 Uhr
(hen/22.9.2000-14:00) Von Henning Siebel
Oberberg - Den Blick konzentriert auf drei Bildschirme geheftet, den Telefonhörer am Ohr - das ist eigentlich fast durchgängig die Arbeitshaltung von Michael Marx - gemeinsam mit Peter Langenströer und Andreas Schneider hat er heute als Feuerwehrbeamter Dienst in der Rettungsleitstelle auf der Kotthauser Höhe.
Um halb acht heute Morgen war Dienstbeginn für die drei Feuerwehrmänner, die ihren hauptamtlichen Dienst in der Leitstelle versehen. Insgesamt wechseln sich zwölf Kollegen im Schichtdienst ab. Feierabend ist aber keineswegs schon am Nachmittag, sondern erst nach 24 Stunden. "An den Rhythmus gewöhnt man sich", findet Marx. 48 Stunden Freizeit gibt es im Anschluss, dann ist

wieder ein ganzer Tag arbeiten angesagt.



[Bilder: Oliver Mengedoht --- Peter Langenströer (sitzend) und Michael Marx gehören zur "Besatzung" der Rettungsleitstelle]



"Meine Familie findet es prima, wenn ich zwei volle Tage zu Hause bin", berichtet Marx, der seit 1993 in der Leitstelle arbeitet. Und auch Andreas Schneider sieht den Dienstplan positiv: "Es ist schön frei zu haben, wenn alle anderen arbeiten müssen".



Drei PC-gestützte Arbeitsplätze gibt es, in der Regel darf sich aber einer im Dreier-Team jeweils für ein paar Stunden ausruhen. Seit November letzten Jahres wird mit der neuen Software "Secur control" gearbeitet. Auf den drei Bildschirmen kann sich jeder seine "Fenster" so anordnen, wie er am besten Arbeiten kann. Michael Marx hat links die geplanten Einsätze positioniert,

der mittlere Bildschirm weist die zur Verfügung stehenden Fahrzeuge aus, rechts bekommt er einen Überblick über die laufenden Einsätze. Mit der Maus kann er ein Einsatzfahrzeug einfach auf einen geplanten Einsatz "ziehen".

"Mein Mann hat einen Schlaganfall bekommen", so die recht gefasste Anruferin, deren Notruf mit dem Handy gegen 11:00 Uhr in der Leitstelle

landet. Schon während des Telefonierens erfasst Marx die Daten am PC. Nach wenigen Sekunden erscheint der Einsatz bereits auf dem Bildschirm, ein Rettungswagen-Team, das über Funk alarmiert wird, macht sich auf den Weg Richtung Einsatzort.



[Die Rettungsleitstelle des Oberbergischen Kreises im Brandschutzzentrum auf der Kotthauser Höhe dürfte fast jeder schonmal gesehen haben]



Die EDV hilft dabei enorm: Sämtliche Straßen und eine Karte des Kreisgebiets sind ebenso gespeichert wie Arztpraxen und Krankenhäuser mit einzelnen Stationen. Mit Kennbuchstaben kann geschwind die Einsatzart bestimmt werden.



Über jeden Einsatz haben die drei die volle Kontrolle. Funksignale der Rettungswagenteams melden nämlich den jeweiligen Status ihres Einsatzes, der von der EDV sofort angezeigt wird. So kann man unter anderem ablesen, ob die Fahrt zum Einsatzort läuft, ob man dort angekommen ist, der Patient an "Bord" ist oder der Rettungswagen wieder zur Verfügung steht. Weil der Computer "weiß", wo sich die Einsatzfahrzeuge befinden, macht er auch Vorschläge, welches Rettungsteam am schnellsten zu einem neuen Einsatzort eilen kann.

"Rund 120 Einsätze müssen täglich koordiniert werden", erläutert Marx. Der "Löwenanteil" sind Krankentransporte. Dann erinnert die Arbeit sehr stark an die eines Disponenten. Wann ist der Wagen von Gummersbach zur Kölner Uni-Klinik wieder einsatzbereit, kann eventuell gleich ein Rücktransport erfolgen? Wie eilig ist der Transport?



[Die Leitstelle im Überblick: Heute schieben

Wilhelm Krah (vorne), Peter Langenströer (hinten links) und Michael Marx Dienst]




"Wir haben jeden Tag rund 30 Vorbestellungen von Krankentransporten für den nächsten Tag", so Marx. Durch ihre Ausbildung bei der Berufsfeuerwehr und zwei Jahren Dienst als

Rettungsassistenten kennen sie die Einsätze "draußen", sie scheuchen die Kollegen vor Ort daher nicht unnötig. Da muss mittags auch mal kurz für die Rettungs- oder Krankenwagenbesatzung Zeit sein, etwas zu essen.



Kurz vor Mittag wird ein brennender Pkw in einem Waldstück bei Volkenrath gemeldet. Auch hier macht der Computer einen Einsatzvorschlag, da auch alle freiwilligen Feuerwehren im Kreis gespeichert sind. Hier gibt es im Verhältnis Leitstelle - Feuerwehr aber eine Besonderheit: "Wir alarmieren nur, die Feuerwehr hat die Einsatzhoheit", erläutert Marx. Schon wenige Minuten später kann der Einsatz abgeblasen werden, der brennende Pkw hat sich als ein kontrolliertes Abbrennen von Holz unter Aufsicht von Waldarbeitern entpuppt.

Eine wahre Plage sind aber die Fehlnotrufe, dabei ist es kein Kavaliersdelikt, nur so zum Spaß die "112" anzurufen. Wer die Feuerwehr "spaßeshalber" zu einem Einatz ausrücken lässt, muss dafür die Kosten übernehmen. "An Wochenenden sind oft acht von zehn Notrufen falscher Alarm", beschreibt Marx das Ärgernis. "Vor allem Handys sind eine wahre Seuche", pflichtet Peter Langenströer bei. Denn auch wenn kein Vertrag mehr besteht oder die Karte leer ist - der Notruf funktioniert solange der Akku noch "Saft" hat. "Solche Scherze behindern die richtigen Einsätze", gibt Marx zu bedenken. Die drei haben die nötige Routine, um Spaßanrufer von echten Hilfesuchenden zu unterscheiden. Außerdem wird die Rufnummer im Display angezeigt - dann kann auch ein "Wiederholungstäter" identifiziert werden. Die gab es bislang aber noch nicht. Zur Sicherheit wird jeder Anruf auf Band aufgenommen, vor allem wenn beim Notruf etwas undeutlich 'rüberkommt, kann dann nochmals nachgehört werden.



[Normal: Telefonhörer am Ohr und Blick auf die drei Bildschirme: Peter Langenströer]



Missen möchte das Team seine Arbeit jedenfalls nicht mehr. "Auch wenn wir eigentlich keine Feiertage und kein Wochenende mehr kennen", wie Andreas Schneider zugeben muss. Und Michael Marx hat gehört, dass die Scheidungsrate bei seinen Berufskollegen besonders hoch sein soll.



Es ist wohl letztlich eine Frage der Gewöhnung - und ein bisschen auch die der Logistik: "Wenn

Freunde uns zu einer Feier einladen wollen, melden sie sich mittlerweile schon viele Wochen im voraus bei uns", berichtet Marx schmunzelnd.

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