HANDBALL

"Ich muss mich selbst bremsen"

bv, pn; 29.09.2020, 13:00 Uhr
Fotos: Peter Notbohm --- Der neue VfL-Coach Gudjon Valur Sigurdsson empfing Oberberg Aktuell in der SCHWALBE arena zum Interview.
HANDBALL

"Ich muss mich selbst bremsen"

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bv, pn; 29.09.2020, 13:00 Uhr
Gummersbach - VfL-Trainer Gudjon Valur Sigurdsson im Interview über seine Erwartungshaltung als Trainer, eine Vorbereitung unter Corona-Bedingungen und immense Unwägbarkeiten - 'RPP - Ambulantes Therapie- und Reha-Zentrum' und AggerEnergie präsentieren die Berichterstattung über den VfL Gummersbach.

Von Peter Notbohm und Bernd Vorländer

 

OA: Wenn man in Kiel, Barcelona und Paris als Spieler auf höchstem Niveau tätig war, wie schwer fällt die Umstellung als Trainer auf Aue, Emsdetten und Fürstenfeldbruck?

Sigurdsson: Trainer zu sein, das ist noch mal eine ganz andere Herausforderung. Als Spieler willst du das Beste abliefern für die Mannschaft und den Verein, als Trainer musst du das große Ganze berücksichtigen, musst auch schon mal unangenehme Entscheidungen treffen, die Spielern möglicherweise weh tun. Man hat plötzlich eine ganz andere Verantwortung. Natürlich hilft, dass ich 20 Jahre auf der Schulbank bei herausragenden Trainern gesessen habe. Und heute erst verstehe ich manche Entscheidungen meiner früheren Trainer.

 

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OA: Wer hat sie am meisten geprägt?

Sigurdsson: Das waren viele. Natürlich Alfred Gislason - er hat taktisch wirklich alles drauf und er war der Boss. Die spanischen Trainer, die mir eine ganz andere Sichtweise eröffnet haben, oder Magnus Andersson und Ola Lindgren, die viel Wert auf die Mannschaft und weniger auf einzelne Spieler gelegt haben. Ich habe mir von allen etwas abgeschaut, aber natürlich muss ich meinen eigenen Weg finden.

 

OA: Was hat der Spieler Sigurdsson falsch gemacht, was der Trainer Sigurdsson heute erkannt hat?

Sigurdsson: Ich bin zu rücksichtslos mit meinem Körper umgegangen. Gerade, wenn wir ein Spiel verloren hatten, habe ich mir viel zu viel abverlangt. Morgens beim Aufstehen merke ich deshalb, dass Profisport nicht gerade gesund ist. Ich will meinen Spielern helfen, zu erkennen, dass es neben der sportlichen Weiterentwicklung auch wichtig ist, wie man in einer Gruppe arbeitet, man mit Schiedsrichtern, falschen Entscheidungen des Trainers oder Stresssituationen umgeht. Das kann man alles für das Leben nach der sportlichen Karriere nutzen.

 

OA: Sie haben immer viel von sich als Spieler verlangt. Erwartet der Trainer Sigurdsson auch viel von seinem Team?

Sigurdsson: Ja, ich erwarte viel und muss mich selbst bremsen. Ich habe nämlich als Spieler viele Fehler gemacht, oft zu viel von anderen erwartet, das wird einem erst so richtig nach der aktiven Karriere bewusst. Ich hatte fast immer Weltklassetrainer, diesen Luxus haben meine Spieler derzeit nicht.

 

OA: Inwieweit ändert sich Handball-Training unter Corona-Bedingungen?

Sigurdsson: Wir konnten kein Trainingslager machen und auch nicht an Turnieren im Ausland teilnehmen, weil wir kein Risiko eingehen wollten. Wir versuchen so gut es geht, uns vor dem Virus zu schützen. Ich bitte alle meine Spieler extrem vorsichtig zu sein, aber ich gehe davon aus, dass auch wir irgendwann davon getroffen werden. Dass nur wenige Zuschauer erlaubt sind, verstehen wir natürlich aus gesundheitlichen Gründen. Menschenleben zu schützen geht vor. Aber natürlich ist es traurig, weil Sport von Emotionen lebt. Wenn Spiele sogar ohne Fans ausgetragen werden müssten, fehlt sehr viel.

 

OA: Wo steht ihr Team wenige Tage vor Saisonbeginn?

Sigurdsson: Das ist schwer zu sagen. Wir hatten eine lange Vorbereitung, vorher eine lange Pause, haben mit Absicht gegen viele Erstligisten gespielt. Gewissheit über unseren Leistungsstand werden wir jedoch erst bekommen, wenn die ersten Partien absolviert sind.

 

OA: Um Erfolg zu haben, benötigt man nicht nur gute Einzelspieler, sondern auch Team-Spirit. Haben Sie die Überzeugung, dass ihre Mannschaft eine echte Gemeinschaft ist?

Sigurdsson: Die Hoffnung habe ich, aber die Frage kann ich erst beantworten, wenn wir in schwierige Situationen geraten und mit dem Rücken zur Wand stehen. Dann erst lernt man Menschen richtig kennen. Wir haben gute Leader im Team, die vorangehen wollen. Das ist eine gute Voraussetzung für ein echtes Mannschaftsgefühl - und das brauchen wir.

 

OA: Robin Haller und Luis Villgrattner fallen länger aus. Was bedeutet das für die Saison, denn die Rückraum-Alternativen fehlen ja dann?

Sigurdsson: Die Belastung wird hoch sein, das stimmt. Aber meine Jungs müssen spielen wollen. Ich bin nie zu einem Trainer gegangen und habe um eine kleine Pause gebeten. Ich fühle mit Luis und Robin, die lange ausfallen. Das ist die Kehrseite vom Profi-Leben. Ich hoffe sehr, dass wir von weiteren schweren Verletzungen verschont bleiben.

 

OA: Würden sie sich angesichts der genannten Ausfälle noch Neuzugänge wünschen?  

Sigurdsson: Wünschen kann ich mir viel, aber es muss realistisch bleiben. Auch wir haben Sponsoren, die angesichts der wirtschaftlichen Lage durch die Pandemie ihr Engagement zurückfahren mussten. Richtig ist aber, wenn wir weitere Verletzungen im Rückraum hätten, müssten wir neu überlegen. Wir müssen gut trainieren und unser Ziel nicht aus den Augen verlieren, denn wir wollen aufsteigen, dabei bleibt es. Unser Respekt vor der Aufgabe ist gewaltig, weil wir dünn besetzt sind und die Liga sehr ausgeglichen ist. Es wird richtig, richtig schwer. Niemand weiß heute, was in den kommenden Wochen und Monaten geschieht, ob wir eventuell in Quarantäne kommen und dann vier Spiele in zehn Tagen machen müssen. Die Unwägbarkeiten sind immens.

 

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