BLAULICHT

Wegen sexuellen Kindesmissbrauchs: Ex-Lehrer muss ins Gefängnis

lw; 26.04.2024, 16:55 Uhr
Archivfoto: Lars Weber.
BLAULICHT

Wegen sexuellen Kindesmissbrauchs: Ex-Lehrer muss ins Gefängnis

lw; 26.04.2024, 16:55 Uhr
Morsbach/Bonn – 57-Jähriger wurde schuldig gesprochen – Gutachter sieht pädophile Störung – Schmerzensgeld an Opfer.

Von Lars Weber

 

Zu vier Jahren und drei Monaten Haft ist heute der 57-jährige Martin B. (Anm.d.Red.: Name geändert) von der 8. Großen Strafkammer um den Vorsitzenden Richter Dr. Volker Kunkel am Landgericht Bonn verurteilt worden. Das Gericht sah es als erwiesen an, dass sich der ehemalige Lehrer an einer Schule am Rande der Gemeinde Morsbach und Trainer in diversen Fußballvereinen des sexuellen Missbrauchs von Schutzbefohlenen in 13 Fällen schuldig gemacht hat, einmal in Tateinheit mit schwerem sexuellen Kindesmissbrauch, fünfmal in Tateinheit mit sexuellen Kindesmissbrauch, außerdem der Herstellung von jugendpornografischer Schriften und des Besitzes von kinderpornografischen Schriften. Die Taten sollen sich zwischen 2006 und 2021 zugetragen haben. Martin B. selbst war geständig. Einem Opfer, das als Nebenkläger auftrat, wurden 10.000 Euro Schmerzensgeld zugesprochen.

 

In seiner Urteilsbegründung ging Richter Dr. Kunkel auf jeden einzelnen Vorwurf noch einmal ein (OA berichtete). Während der Angeklagte dabei fast die ganze Zeit über den Richter nicht unemotional, aber gefasst fokussierte, hatte schräg gegenüber von Martin B., etwa fünf Meter entfernt, eines der Opfer neben seiner Anwältin Platz genommen. Das Erzählte und die Anwesenheit des Angeklagten setzten ihm sichtlich zu: Er blickte zu Boden, vergrub sein Gesicht in seinen Händen, starrte ins Leere und musste einmal kurz den Saal verlassen.

 

Insgesamt vier Jahre gab es Kontakt zwischen dem 57-Jährigen und dem heute erwachsenen Mann, der zu der Zeit des Missbrauchs zwischen 13 und 17 Jahre alt war. Damit war er ähnlich alt wie die anderen beiden Opfer, die im Laufe des Prozesses unter Ausschluss der Öffentlichkeit vor Gericht ausgesagt hatten. Der Mann war Lehrer am Internat und dort beliebt, er war sogar gewählter Vertrauenslehrer, wodurch er auch Zugang zu den Schülerakten hatte. Dort soll er gezielt potenzielle Opfer gesucht haben. Ein Blick auf die Lebensgeschichte der Geschädigten zeigt: Vor allem Kinder mit einer Missbrauchsvergangenheit schienen seine Aufmerksamkeit zu wecken.

 

Er soll die Schüler mit Lügen, mit Versprechungen und mit Alkohol dazu gebracht haben, sich auszuziehen, sich selbst zu berühren und sich auch berühren zu lassen - in der Schule im Betreuerzimmer, aber auch bei sich zu Hause. Manchmal soll er ein Fußballtrikot eines geliebten Spielers geboten haben, manchmal Geld, manchmal nutzte er Trinkspiele, um Hemmschwellen abzubauen und die Jungen herauszufordern, um nach und nach sexuelle Grenzen zu verschieben. Er nutzte das Vertrauen aus, das er zuvor aufbaute, so der Richter, und „wusste auch die psychologische Instabilität“ zu nutzen. Häufig unbemerkt soll er Fotos und Videos angefertigt haben, auch in den Duschen bei seinen Fußballteams fotografierte er. In seinem Haus fand die Polizei bei der Durchsuchung zudem versteckte Kameras.

 

Zwei Situationen führten fast parallel dazu, dass die Taten des 57-Jährigen öffentlich wurden. Zum einen vertraute sich der Nebenkläger als Erwachsener im April 2021, mehr als zehn Jahre nach den Geschehnissen, seiner Schwester, einer Polizeibeamtin, an. Diese informierte sofort die Kollegen. Zum anderen entdeckte ein anderer Junge auf dem Handy des Angeklagten Nacktfotos von sich, außerdem Videos und ein Notizbuch, in das der 57-Jährige Verhaltensauffälligkeiten des Jungen festgehalten haben soll. Zu dieser Zeit lebte der Junge ohne Wissen des Internats bei dem Mann, da er ihn vor dem Schulrausschmiss bewahrt hatte und zum Abschluss führen sollte. Aus letzterem Grund riet der Vater des Jungen diesem zunächst dazu, ruhig zu bleiben. Im Mai 2021 ging der Junge dann doch mit seinen Funden zur Schulleitung – und die Lehrerkarriere des Angeklagten war beendet.

 

Richter Dr. Kunkel ging auch auf die Lebensgeschichte des Mannes ein, der früh aufgrund einer Verletzung zum Fußballtrainer wurde und seit 2001 an der Schule unterrichtete. Mit etwa 13 oder 14 Jahren habe er seine Homosexualität bemerkt. Da er auf dem Land und in der Fußballwelt aber wenig Toleranz erwartete, outete er sich nie. Der Richter erzählte auf Grundlage von Zeugenaussagen, dass der 57-Jährige auch bei seinen sexuellen Kontakten als junger Erwachsener ein manipulatives Verhalten an den Tag gelegt haben soll. Ein Psychiater habe eine pädophile Störung bei dem Mann festgestellt, weshalb er das Interesse an den Jungen verlor, wenn diese 16 oder 17 Jahre alt wurden. Er sei aber voll schuldfähig.

 

Mit dem Urteil liegt das Gericht etwa zwischen den in den Plädoyers beantragten Strafen. Die Staatsanwaltschaft hatte fünf Jahre und elf Monate gefordert, der Verteidiger Dr. Peter-René Gülpen nicht mehr als drei Jahre. Vor allem das Geständnis wurde dem Angeklagten zugutegehalten. „Das hat das Verfahren deutlich vereinfacht“, lobte Dr. Kunkel auch die Verteidigung von Rechtsanwalt Dr. Peter-René Gülpen. Bei den Zeugenaussagen sei es nur um das „Wann“ gegangen, nicht darum, ob die Taten überhaupt so passiert sind. Gegen den Angeklagten sprach der lange Zeitraum, der vermutlich noch länger zurückreiche, die „hochmanipulative“ Art und Weise, wie er als Lehrer und Trainer das Vertrauen anderer missbrauchte.

 

Vor allem seien die Folgen seiner Taten massiv. Das eine Opfer könne nicht mehr arbeiten gehen, wird von Zusammenbrüchen heimgesucht, teils sogar täglich, seitdem er von den Geschehnissen erzählt hatte. Ein anderes Opfer hat bis heute mit niemanden, außer mit der Polizei und dem Gericht, über das Passierte gesprochen und verdränge alles seit inzwischen 20 Jahren. „Da können Sie sehen, was Sie durch das Ausleben Ihrer dunklen Seite angerichtet haben“, so der Richter zum Angeklagten.

 

Das Urteil ist noch nicht rechtskräftig.  

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