BLAULICHT
Zu viele Zweifel: Freispruch nach Grapscher-Vorwurf
Waldbröl – Einem 45-Jährigen wurden exhibitionistische Handlungen und sexuelle Belästigung am Arbeitsplatz vorgeworfen – Aussage stand gegen Aussage.
Von Lars Weber
Wenn Aussage gegen Aussage steht, muss für eine Verurteilung besonders die Aussage des vermeintlichen Opfers auf vielen Ebenen passen, um das Gericht von der Schuld eines Angeklagten zu überzeugen. Die Detailtiefe, die Konstanz in den Schilderungen auch im Vergleich zu vorherigen Aussagen bei der Polizei. „Alles wird einer strengen Analyse unterzogen“, erklärte Richterin Christina Becher bei einem Prozess am Dienstag. Angeklagt war der 45-jährige Alex O. (Anm.d.Red.: Alle Namen geändert). Er soll seine ehemalige Arbeitskollegin, die 31-jährige Hannah J., sexuell belästigt und sich unter anderem zweimal vor ihr entblößt und sexuelle Handlungen an sich selbst vorgenommen haben. Doch Richterin Becher erklärte am Ende nicht umsonst die schwierige Beweislage in solchen Fällen, wo es keinerlei andere Zeugen gibt: Sie sprach Alex O. frei.
Die von der Staatsanwaltschaft vorgeworfenen Taten lagen schon lange zurück. Zwischen Juli und August 2021 soll es im Büro von Hannah J. in den Räumen eines großen Arbeitsgebers in Waldbröl zu den Situationen gekommen sein. Es war die Zeit der Pandemie, das Büro und die Büros drum herum sollen unbesetzt gewesen sein. Nur Hannah J. soll sich dort aufgehalten haben, bis Alex O. aus einer anderen Abteilung zu ihr ins Büro getreten sein soll. Er soll ihr eindeutige Avancen gemacht haben und sein erigiertes Glied aus der Hose geholt und sich ihr genähert haben. Erst nach wiederholter Aufforderung soll er wieder gegangen sein. Allerdings soll sich fast gleiches Spiel kurze Zeit später wiederholt haben. Dieses Mal soll er sich mit offener Hose ihr gegenüber hingesetzt und eindeutige Bewegungen gemacht haben. Zudem soll der 45-Jährige der Frau zu einem anderen Zeitpunkt an eine Brust gefasst haben.
Alex O. ließ sich ausführlich ein und bestritt sämtliche Vorwürfe gegen ihn. Er sei geschockt gewesen, als er Ende Oktober 2023 zum Gespräch mit den Vorgesetzten gebeten und ihm umgehend ein Aufhebungsvertrag aufgrund der Vorwürfe unter die Nase gehalten wurde. Nichts von alledem sei je passiert. Tatsächlich hätten er und Hannah J. sich gut verstanden, sie seien sogar befreundet gewesen, sagte der Angeklagte. Viele Mittagspausen hätten sie in den rund zehn Jahren, die sie beide dort gearbeitet hätten, gemeinsam verbracht, wenn auch meist nicht zu zweit. Sogar über intimes in den jeweiligen Beziehungen habe man sich ab und an ausgetauscht. Außerhalb der Arbeit habe es aber keinen Kontakt gegeben.
Der Angeklagte – er arbeitet inzwischen woanders - vermutete, dass sie vielleicht Gefühle für ihn entwickelt haben und aus Eifersucht gehandelt haben könnte – anders konnte sich der 45-Jährige die Vorwürfe nicht erklären. Auch der Zeitpunkt gab ihm Fragezeichen auf, denn aus seiner Sicht hätte er mit Hannah J. noch bis kurz vor dem Gespräch mit der Personalabteilung ein gutes Verhältnis gehabt – also lange über den Sommer 2021 hinaus. Er zeigte Chats, die zumindest belegten, dass man sich weiter zum Geburtstag gratuliert habe – „mit Smileys“, wie Richterin Becher später anmerkte.
Die Aussage Hannah J.‘s stand im krassen Gegensatz dazu und stützte die Anklageschrift. Sie zeichnete das Bild eines Mannes, bei dem sexuellen Anspielungen keine Seltenheit gewesen sein sollen, der auch schon nach Nacktfotos oder nach der Intimrasur gefragt haben soll. Auch sein Ejakulat soll er ihr einmal unter die Nase gehalten haben. Die 31-Jährige erzählte zudem von den beiden exhibitionistischen Handlungen des Angeklagten in ihrem Büro, die sich in wenigen Punkten leicht von ihren Aussagen bei der Polizei unterschieden, zum Beispiel was die Dauer oder auch ihre eigenen Reaktionen anging. An den Brustgrapscher konnte sie sich gar nicht mehr erinnern. Nach den Zwischenfällen 2021 sei das kollegiale Verhältnis gänzlich erkaltet. Erst auf Nachfrage räumte sie ein, dass es zumindest sporadisch Chatkontakt auch danach gegeben haben könnte.
Dass sie diese Situationen erst so spät an ihre Vorgesetzten herangetragen habe, habe mit ihrem jungen Alter und ihrem Selbstvertrauen in der Zeit zu tun gehabt. Zumal sie Hoffnungen auf eine Beförderung hatte und sie diese nicht gefährden wollte. Erst, als sich 2023 eine Auszubildene ihr anvertraut habe, dass Alex O. sie mit sexuellen Kommentaren malträtiert habe, seien auch ihre Anschuldigungen herausgekommen.
Während der Verteidiger Alex O.‘s selbstredend zu seinem Mandanten stand, führte jene angesprochene „strenge Analyse“ der beiden Aussagen bei Staatsanwaltschaft und schließlich auch bei Richterin Becher dazu, dass die Tatvorwürfe nicht eindeutig zu belegen und im Zweifel für den Angeklagten zu entscheiden sei. Zwar sei ihnen die Aussage des Angeklagten teils zu oberflächlich gewesen, jedoch habe auch Hannah J. einige Schwankungen in ihrer Erzählung gehabt und sich beispielsweise an die sexuelle Belästigung gar nicht mehr erinnert. Der Angeklagte war daher freizusprechen.
