BLAULICHT

Wenn das Pflegeheim zum Gerichtssaal werden soll

lw; 18.02.2022, 17:44 Uhr
BLAULICHT

Wenn das Pflegeheim zum Gerichtssaal werden soll

lw; 18.02.2022, 17:44 Uhr
Gummersbach – 38-Jähriger muss sich wegen Untreue in 203 Fällen verantworten – Prozessauftakt musste mehrmals verschoben werden – Zur Klärung des Falls möchte Richter ungewöhnlichen Schritt gehen.

Von Lars Weber

 

Einen langen Anlauf hat es gebraucht, aber heute ist der Prozess gegen den 38-jährigen Alexander K. am Gummersbacher Amtsgericht gestartet. Ihm wird Untreue in 203 Fällen vorgeworfen, die er gemeinschaftlich und gewerbsmäßig mit seinem Vater Udo K. begangen haben soll. Der 83-Jahrige ist jedoch nicht verhandlungsfähig, weshalb sein Sohn allein vor dem Schöffengericht mit dem Vorsitzenden Richter Ulrich Neef steht. Die Auftaktverhandlung zeigte vor allem eins: Es wird schwer, den Sachverhalt eindeutig aufzuklären.

 

K. machte im Gerichtssaal heute einen gefassten Eindruck und war sehr gesprächig, fiel vereinzelt auch Richter Neef ins Wort. Dabei hatte dieser im vergangenen Jahr schon einen Haftbefehl gegen Alexander K. erlassen, der auch vollzogen wurde. Wegen eines Formfehlers kam der 38-Jährige aber schnell wieder frei. Der Haftbefehl durfte als Reaktion darauf gedeutet werden, dass der Geduldsfaden des Richters überstrapaziert worden war. Denn der Prozess wurde bereits mehrmals verschoben, teils auf den letzten Drücker. So hatte Alexander K. einmal ein Attest, ein andermal hatte er einen Nervenzusammenbruch kurz vor dem Gerichtsgebäude. Im Oktober vergangenen Jahres erschien er schließlich nicht vor Gericht, weil er nach einem Suizidversuch in einer Marienheider Klinik behandelt wurde.

 

Heute nun war Alexander K. also pünktlich - und von seiner Sache überzeugt. Dabei wiegen die Vorwürfe schwer. Er soll über rund vier Jahre – von November 2013 bis Ende Januar 2018 – gemeinsam mit seinem Vater das Vermögen von Peter J. veruntreut haben. Dieser wurde nach einem Schlaganfall 2013 zum Pflegefall und musste in ein Heim. Da Peter J. selbst keine enge Familie mehr hat, bekamen sein guter Freund Udo K. und sein Sohn Alexander eine Vorsorgevollmacht. Sie sollten sich um die Finanzen kümmern. 203-mal wurde im Tatzeitraum auf das Konto J.s von dem Angeklagten zugegriffen, etwa ein bis zweimal wöchentlich, meist wurden geringe dreistellige Beträge abgehoben - insgesamt handelt es sich um rund 117.500 Euro. Zugestanden für ihre Tätigkeiten hätten Vater und Sohn aber nur 25.500 Euro. Die Staatsanwaltschaft wirft Alexander K. vor, sich über die Vorsorgevollmacht eine extra Einnahmequelle geschaffen zu haben.

 

Der Angeklagte – momentan ist er arbeitslos und pflegt seinen Vater - bestritt die Abhebungen nicht. Sein Vater und er seien aber legitimiert gewesen, diese zu tätigen. Nachdem Peter J. im Pflegeheim war, hätten sie viele Arbeiten von ihm übernommen, der Vater sei auch fast jeden Tag ins Heim, um nach Peter J. zu sehen und sich zu kümmern. Sie hätten so viel Arbeit damit gehabt, dass Vater und Sohn keiner anderen Arbeit mehr hätten nachgehen können. Das habe Peter J. gewusst und gesagt: „Wenn ihr Geld braucht, nehmt es euch“, erinnerte sich der Angeklagte. Quittungen, die Alexander K. sonst immer vorgezeigt hatte, habe Peter J. nicht mehr sehen wollen, obwohl sie es ihm angeboten hätten. Das Verhältnis sei vertrauensvoll gewesen. Sein Vater kennt Peter J. seit mehr als 70 Jahren. „Er ist wie ein Bruder für meinen Vater.“  

 

Peter J. hatte die Vorsorgevollmacht aber nicht nur Vater und Sohn gegeben, sondern zudem seinem guten Freund Karl L. und dessen Frau. Die beiden hatten aber nichts mit den finanziellen Angelegenheiten zu tun, sondern übernahmen andere Aufgaben, wie Karl L. heute vor Gericht sagte. Stutzig sei er geworden, als er feststellte, dass die Tochter von Udo K. nicht wie abgesprochen das Haus von Peter J. nur gemietet hatte, sondern zwischenzeitlich auch ein Kaufvertrag unterschrieben wurde. „Das Unheil nahm seinen Lauf“, sagte der Zeuge. Nach Einsicht in steuerliche Unterlagen fand er immer mehr Ungereimtheiten. Die finanzielle Lage Peter J.s soll zwischenzeitlich dramatisch gewesen sein. Dann wurde die Vorsorgevollmacht für Vater und Sohn zurückgezogen.

 

„Peter J. wusste von gar nichts“, sagte Karl L. – nicht von den Abhebungen, nicht von dem Verkauf des Hauses. Dies habe Peter J. auch bei einem Gespräch mit einem Rechtsanwalt bestätigt, dass notariell geführt wurde und dessen Protokoll dem Gericht vorliegt. Der Angeklagte sagte dazu, dass Peter J. zu diesem Zeitpunkt geistig schon nicht mehr zurechnungsfähig gewesen sei. Eine Aussage, die den Zeugen aufregte. „Peter J. ist heute noch bei klarem Verstand!“

 

Genau an dieser Stelle möchte Richter Neef in der kommenden Woche beim Fortsetzungstermin ansetzen. Zum einen wird er die Teilnehmer des notariell geführten Gesprächs vorladen. Zum anderen möchte er gemeinsam mit Staatsanwaltschaft, Schöffen, Verteidiger und dem Angeklagten dem Pflegeheim einen Besuch abstatten, um mit Peter J. persönlich zu sprechen, um die Sichtweise des eigentlichen Geschädigten zu erfahren. Der Prozess wird Donnerstag, 24. Februar, um 9:30 Uhr wieder aufgenommen. An diesem Tag soll auch das Urteil gesprochen werden.

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