BLAULICHT

Vom vollen Anklageteller bleibt nur halbe Portion übrig

lw; 28.02.2024, 16:30 Uhr
BLAULICHT

Vom vollen Anklageteller bleibt nur halbe Portion übrig

lw; 28.02.2024, 16:30 Uhr
Waldbröl – 33-Jährigem wurde unter anderem Sachbeschädigung, Beleidigung und Körperverletzung vorgeworfen – Wichtige Zeugen erschienen nicht.

Von Lars Weber

 

Die Polizei kennt ihn, das Ordnungsamt kennt ihn und auch in einer Waldbröler Unterkunft ist der 33-jährige Bahati L. (Anm.d.Red.: Name geändert) wohlbekannt. Wenn er gerade keinen Alkohol getrunken hat, soll er auch ein umgänglicher Mensch sein, wie ihm heute beim Verhandlungstermin am Amtsgericht Waldbröl auch schriftlich von einem abwesenden möglichen Opfer und auch von der Polizei attestiert wurde. Greift er aber zur Flasche, kommt es immer wieder zu Problemen. Sechs Anklagepunkten mit neun Tatvorwürfen ging Richter Kevin Haase heute nach, eine Vielzahl an Zeugen war geladen, fast fünf Stunden dauerte die Verhandlung. Am Ende blieb eine Geldstrafe über 3.200 Euro.

 

Bahati L. kam 2016 mit seiner damaligen Frau von Somalia nach Deutschland. Fast sämtliche Anklagepunkte, die die Staatsanwaltschaft vortrug, spielten sich in der Unterkunft in einem Waldbröler Stadtteil für geflüchtete Menschen und Wohnungslose zwischen November 2022 und April 2023 ab, in der er auch jetzt noch lebt. Der 33-Jährige soll völlig betrunken (2,64 Promille) eine Tür in der Unterkunft eingetreten haben, soll an einem anderen Tag ein Pedelec beschädigt haben, soll andere Bewohner bedroht („Ich mach dich tot“) und Schläge angedroht haben. An einem anderen Tag soll er einen Bewohner dann wirklich zwei Faustschläge verpasst haben, den Polizisten, die ihn mitnahmen, soll er gedroht haben, sie umzubringen.

 

Außerhalb der Unterkunft soll er zudem aus Wut auf die Motorhaube eines Golfs geschlagen und diese so beschädigt haben. In einem Bus soll er – dies war der letzte Anklagepunkt – zunächst laut geworden sein. Nachdem der Fahrbegleiter ihn zur Ruhe aufgefordert hatte, soll der Angeklagte diesen und den Fahrer als „Nazi“ und „Hitler“ beschimpft und versucht haben sie anzuspucken. Bei sämtlichen ihm vorgeworfenen Taten soll er zuvor Alkohol konsumiert haben. „Er hat kaum Erinnerungen an die Tage“, sagte sein Verteidiger. Bei den zerstörten Türen sollen andere Schuld gewesen sein.

 

Da sich Bahati L. nach mehreren Delikten bereits auf Bewährung befindet, kam dem Verfahren eine besondere Wichtigkeit zu, obwohl die Vorwürfe einzeln genommen nicht von herausragender Qualität waren. Richter Haase, die Staatsanwaltschaft und die Verteidigung versuchten sich von einem Zeugen zum nächsten zu hangeln, um etwas Licht in die Umstände zu bringen. Einige Tatvorwürfe, eine Körperverletzung und das beschädigte Auto, erledigten sich, indem die Geschädigten erst gar nicht vor Gericht auftauchten. Im Falle des Opfers der Faustschläge hatte der Mann bereits zu Protokoll gegeben, dass der Angeklagte eigentlich „ein feiner Kerl“ sei, wenn er nicht getrunken habe und er kein Interesse an einer Bestrafung habe.

 

Auch bei dem Vorfall im Bus kam lediglich der Fahrtbegleiter. Der 61-Jährige befand sich mit seinem Kollegen auf Einweisungsfahrt. Der Angeklagte sei in Hermesdorf oder Hermesdorf-Oberdorf eingestiegen und sei zunächst unauffällig gewesen. Dann habe er angefangen, sehr laut zu werden und gegen Sitze zu treten. Als er ihn angewiesen habe, dies zu unterlassen, habe er zu schreien angefangen und auch versucht, sie zu bespucken. „Mein Kollege hatte die Polizei gerufen und er wollte, dass wir sie wieder abbestellen.“ An Beleidigungen erinnerte sich der 61-Jährige nicht mehr. Ob sich sein Kollege an mehr erinnert hätte, blieb unklar. Er erschien nicht. So blieb von diesen Vorwürfen nur das Spucken als Beleidigung übrig.

 

Bei den Zeugen aus der Unterkunft wurde schnell deutlich, dass sich die Personen gegenseitig nicht sonderlich gut leiden konnten und Ursprünge der Provokationen nicht zuzuordnen waren. Andere wiederum beschuldigten den Angeklagten zwar deutlich, hatten aber eigentlich nichts gesehen oder gehört. Da die Vorgänge schon lange zurücklagen, konnten sich auch die geladenen Polizisten nicht mehr an alle Details in den einzelnen Fällen erinnern. Die Drohungen gegen ihr Leben seien aber gefallen, bestätigte eine Polizistin.

 

Ein fachärztlicher Gutachter bescheinigte dem Angeklagten eine Alkoholsucht, die nach der Trennung von der Frau 2018 ihren Lauf genommen habe. Seine extremen Gefühlsschwankungen im alkoholisierten Zustand – von aggressiv zu sehr weinerlich - hätten auch damit zu tun, dass er seine Kinder nicht sehen könnte. Zwei seien in Somalia bei seiner Mutter, ein weiteres in Deutschland, das er aber erst sehen dürfe, wenn er seine Abstinenz belegen kann. „Den Herrn gibt es in zwei Erscheinungsformen“, sagte dann auch Bahati L.‘s Bewährungshelfer. Ohne Alkohol im Spiel könne man sich durchaus auf ihn verlassen, weshalb er auch in der Lage ist, seinen Job in einer Fabrik zu behalten. Wenn er jedoch alkoholisiert durch die Gegend rennt, „ist er gefährlich“. „Er braucht eine stationäre Aufnahme.“

 

Staatsanwaltschaft und Verteidigung waren sich sehr einig in ihren Plädoyers. Die Vorwürfe waren zusammengeschrumpft auf drei: Sachbeschädigung, Bedrohung und Beleidigung. „Aus einem randvollen Teller ist eine halbe Portion geworden“, so der Rechtsanwalt zufrieden. Er und der Staatsanwalt hielten eine Geldstrafe angesichts der Schwere der Taten für gerechtfertigt, eine weitere Bewährung oder eine kurze Haft für nicht zielführend. Richter Haase folgte der Forderung der Staatsanwaltschaft und verhängte eine Geldstrafe über 3.200 Euro. Er machte in seiner Begründung noch einmal deutlich, dass gerade auch die Bedrohung der Polizisten ein absolutes No-Go seien, „dass wir nicht durchgehen lassen“ können.

WERBUNG