BLAULICHT

Sexueller Übergriff: „Er hat sie aufs Glatteis geführt“

lw; 02.06.2023, 14:25 Uhr
BLAULICHT

Sexueller Übergriff: „Er hat sie aufs Glatteis geführt“

lw; 02.06.2023, 14:25 Uhr
Waldbröl – 39-Jähriger wird am Amtsgericht Waldbröl bestraft – Richter sieht gravierende Folgen der Tat.

Von Lars Weber

 

Schuldig gesprochen worden wegen eines sexuellen Übergriffs ist gestern am Amtsgericht Waldbröl der 39-jährige Ingo K. (Anm.d.Red.: Alle Namen geändert). Er gab zu, eine Freundin bedrängt, einen Kuss erzwungen und sich erregt auf sie gelegt zu haben. Vor allem der gesundheitliche Zustand des Reichshofers war im Laufe des Prozesses für Richter Carsten Becker, die Staatsanwaltschaft, Nebenklage und die Verteidigung Thema der Diskussion. Der geladene Gutachter attestierte dem 39-Jährigen dissoziative Zustände, bei denen er kurz in eine eigene Welt abtaucht. Seit Jahren ist er deswegen schon in Therapie. Die Frage war: Wie ist der Mann zu bestrafen?

 

Die Tat geschah vor ziemlich genau einem Jahr am 3. Juni. Ingo K. hatte bis zu diesem Zeitpunkt mit Kathrin J. und ihrer damals 14-jährigen Tochter Carolin in einem Dorf im Reichshof eine Freundschaft aufgebaut. Gegen 23:15 Uhr soll der Mann angefangen haben, der Tochter teils in Reimform Nachrichten zu schreiben. Sie solle vorbeikommen, er wolle mit ihr schlafen. Die 14-Jährige lehnte ab. Es folgten zunehmend wirre Nachrichten, die bewirkten, dass sich das Mädchen Sorgen um Ingo K. machte. Deshalb machte sie sich doch noch auf den Weg zu ihm.

 

Starr vor Schock

 

In der Wohnung habe der 39-Jährige schnell die Nähe auf der Couch gesucht, so nahm er ihre Hand und küsste sie mit geschlossenen Lippen auf den Mund. Als sie weggehen wollte, zog er sie zurück auf seinen Schoss. Nachdem sie sich gelöst hatte, legte er sich erregt auf sie, flüsterte ihr Eindeutiges ins Ohr und nahm zudem Bezug darauf, dass die junge Frau bereits in der Vergangenheit Opfer eines Missbrauchs gewesen war. Carolin gelang es erneut, sich zu befreien. Danach sei sie laut Anklage starr vor Schock gewesen. Anschließend beruhigte sich die Situation, um 2 Uhr nachts ging das Mädchen nach Hause.

 

Ingo K. räumte über seinen Verteidiger alles ein. Der Rechtsanwalt führte aus, dass sein Mandant aufgrund seiner psychischen Erkrankung schnell von Dingen des alltäglichen Lebens überfordert sein kann. So hatte der 39-Jährige einem Bekannten Geld geliehen. Rund um den Tattag habe er erfahren, dass er das Geld nicht wiederbekommt, was ihn aufgeregt und mit dazu geführt habe, dass der Abend aus dem Ruder gelaufen sei. „Seine Gefühle waren eigentlich nur freundschaftlich und nicht sexuell geprägt gewesen.“ Den Vorfall bedaure der Mann. Aufgrund einer einstweiligen Verfügung – er durfte sich der jungen Frau nicht nähern – konnte er sich aber nicht entschuldigen. Ein Entschuldigungsversuch vor dem Prozess im Gerichtsgebäude wurde von der Mutter abgeblockt. Mit dem Geständnis machte Ingo K. immerhin eine Aussage Carolins unnötig.

 

Denn die 15-Jährige hat die Tat noch nicht verarbeiten können, wie ihre Mutter Kathrin J. aussagte. Stiller sei sie geworden, die Noten in der Schule schlechter. „Manchmal fängt sie plötzlich an zu weinen.“ Im Dorf mache sie stets einen Bogen um die Wohnung von Ingo K. aus Angst, ihm zu begegnen. Gerade jetzt vor der Verhandlung habe die Tochter schlaflose Nächte gehabt. Kathrin J. warf dem 39-Jährigen vor, die Hilfsbereitschaft ihrer Tochter ausgenutzt zu haben: „Er hat sie aufs Glatteis geführt“.

 

Leben hat sich verändert

 

Der Abend vor einem Jahr hat nicht nur das Leben des Opfers nachhaltig verändert, sondern auch das von Ingo K. Seitdem habe er sich zu Hause „eingeigelt“. „Ich gehe allen aus dem Weg.“ Die Geschichte habe im Ort die Runde gemacht, hinter seinem Rücken sei er schon als „Kinderschänder“ beschimpft worden. Seit sieben Jahren wohne er in dem Dorf, wollte eigentlich endlich sesshaft werden. Zudem hat er es nicht weit zu seiner Arbeitsstelle.

 

Früher sei das Leben des Angeklagten von unzähligen Umzügen geprägt gewesen, ergänzte der Gutachter. Auch sonst gab es wenig Stabilität: Eine Schwester sei früh gestorben, woraufhin der Vater die Familie verlassen habe. Eine andere Schwester sei drogenabhängig. In der Jugend habe es auch bei Ingo K. einen Missbrauchsvorfall gegeben, wo er das Opfer gewesen sei.

 

Laut Gutachter liege bei Ingo K. eine Persönlichkeitsstörung vor. „Auch aus Angst vor emotionaler Intimität verliert er kurz den Kontakt zur Realität“, sagte er dem Gericht. Zwar befindet sich der Angeklagte seit Jahren in Behandlung und nimmt inzwischen auch Medikamente, die dissoziativen Zustände seien aber schwer zu therapieren. Der Gutachter erklärte, dass aufgrund dieser psychischen Probleme eine verminderte Steuerungsfähigkeit bei der Tat vorlag. Dem Vorwurf der Rechtsanwältin der Nebenklage, die Tat werde so „herabgemildert“, widersprach Richter Becker. „Vorsatz und Schuldfähigkeit sollten nicht durcheinandergeworfen werden. Eine geminderte Steuerungsfähigkeit entschuldigt die Tat nicht!“

 

Minderschwerer Fall: Ja oder nein?

 

Die Krankheit von Ingo K. führte dazu, dass die Staatsanwaltschaft eine verminderte Schuldfähigkeit annahm. „Ein minderschwerer Fall lag aber nicht vor“, so die Staatsanwältin. Dafür habe der Vorgang an dem Abend zu lange gedauert. Sie forderte eine Geldstrafe von 140 Tagessätzen a 35 Euro auf Bewährung. Zudem solle sich Ingo K. dazu verpflichten, keinen Kontakt zum Opfer zu suchen und 1.200 Euro an Carolin J. zahlen. Für die Rechtsanwältin der Nebenklage erschien eine Geldstrafe zu wenig. Sie hielt sechs Monate Gefängnis auf Bewährung für die bessere „Abschreckung“. In der Bewährungszeit sollte es keinen Kontakt geben. Weiter sollten 2.400 Euro als Wiedergutmachung an das Opfer fließen. „Die Leiden der Geschädigten sind immens!“ Der Verteidiger schloss sich der Staatsanwältin an mit der Ausnahme, dass er einen minderschweren Fall eines sexuellen Übergriffs sehe.

 

Abweichend von allen Anträgen verurteilte Richter Carsten Becker den Angeklagten schließlich zu einer Geldstrafe über 4.200 Euro. Die Vorsätzlichkeit stellte er nicht infrage: „Es gab klare Signale, dass sie nicht wollte, was da gerade passierte.“ Die verminderte Schuldfähigkeit erkannte er aber auch an. Ein minderschwerer Fall sei es dagegen nicht gewesen. „Die Folgen der Tat sind gravierend“, so Becker. Forderungen nach Entschädigungen sollten indes auf zivilrechtlichem Weg eingeklagt werden.

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