BLAULICHT

„Ich wollte doch nichts zerstören!“

lw; 28.05.2021, 17:02 Uhr
Archivfotos & Foto: Lars Weber.
BLAULICHT

„Ich wollte doch nichts zerstören!“

lw; 28.05.2021, 17:02 Uhr
Gummersbach – 25-Jähriger wegen fahrlässiger Brandstiftung zu drei Monaten Gefängnis auf Bewährung verurteilt – Angeklagter zeigte Reue für sein Verhalten.

Von Lars Weber

 

Tausende verbrannte Bäume, verkohlte Erde, mehrere Hundert Kräfte von Feuerwehr und weiteren Hilfsorganisationen, ein Einsatz unter schwierigen Bedingungen über sieben Tage, das war das Waldbrand-Inferno auf dem Hömericher Kopf – und das alles nur wegen einer einzigen weggeworfenen Zigarette. Die Zigarette, die am 20. April vor mehr als einem Jahr hinter eine Bank ins Gestrüpp geflitscht wurde, gehörte Florian J. (Anm.d.Red.: Alle Namen geändert). Der 25-Jährige stellte sich damals einen Tag später der Polizei und ist heute am Amtsgericht Gummersbach wegen fahrlässiger Brandstiftung zu einer Freiheitsstrafe von drei Monaten auf Bewährung verurteilt worden. Außerdem muss der Hartz-IV-Empfänger während seiner Bewährungszeit über zwei Jahre jeden Monat zehn Euro an die Biologische Station Oberberg zahlen. Richterin Christina Ritter wählte mit diesem Urteil einen Mittelweg zwischen der von der Staatsanwaltschaft geforderten Geldstrafe und dem Freispruch, für den der Verteidiger plädierte.

 

Eine große Rolle spielte für die Richterin die Lebensgeschichte des jungen Mannes. „Der Angeklagte ist kein Glückskäfer“, sagte sie an einer Stelle des fast fünfstündigen Prozesses, bei dem insgesamt neun Zeugen gehört wurden. In Köln geboren wächst Florian J. in schwierigen Verhältnissen auf. Seine Eltern trennen sich, als er etwa sieben Jahre alt ist. Seine fünf älteren Schwestern haben teils andere Väter als er. Von seiner Mutter bekommt er viel Druck, er kommt mit dem Gesetz in Konflikt, schließt eine Ausbildung nicht ab und wird mehrfach von der Mutter vor die Tür gesetzt.

 

Nachdem bei ihm eine Cannabisabhängigkeit, eine Lernbehinderung und häufige emotionale Krisen diagnostiziert werden, bekommt er mit 16 Jahren einen rechtlichen Betreuer zur Seite gestellt, der ihn sechs Jahre begleitet. Florian J. landet in verschiedenen sozialen Hilfe -und Wohneinrichtungen, bekommt Arbeit und verliert sie wieder. Halt gibt ihm seine Verlobte, mit der er seit vier Jahren zusammen ist, die allerdings ebenfalls einen schwierigen familiären Hintergrund hat. Zum Tatzeitpunkt lebte er in einer sozialen Wohneinrichtung, heute ist er ohne festen Wohnsitz.  

 

Vor Gericht machte der 25-Jährige einen gefassten Eindruck. Auch, als er sich zu den Vorwürfen gegen ihn äußerte. An dem Tag sei er mit seiner Verlobten Judith K. auf dem Feldweg am Hömericher Kopf zwischen Wasserfuhr und Steinenbrück unterwegs gewesen. Dort hätten sie auch einen Freund von ihm, den Zeugen Karsten L., getroffen, der mit einer weiteren Person spazieren war. Es sei etwas nervös gewesen, da es bei seiner Verlobten zu Hause Probleme gab. In eine OP-Maske habe er mit einer Zigarette Löcher hineingebrannt, außerdem mit seinem Feuerzeug in seiner Jacke gespielt. Während der Unterhaltung habe er seine Zigarette schließlich ins Gestrüpp „geflitscht“.

 

Kurze Zeit später hätten sie das Kokeln und Qualmen hinter ihnen bemerkt. „Wir haben es versucht auszutreten, Karsten hat seine Jacke auf die Stelle geworfen und wir haben auch noch was Cola drüber geschüttet“, sagte er. Als sie dachten, dass sie das Feuer gelöscht hätten, hätten er und seine Verlobte die Stelle noch ein paar Minuten beobachtet, seien dann aber gegangen. „Wir dachten, dass es aus war.“ Als bald darauf die Sirenen kaum noch verstummten habe er schon überlegt, ob er etwas damit zu tun haben könnte. Das Gewissen meldete sich. „Ich hab mich scheiße gefühlt, ich wollte doch nichts zerstören!“ Laut seiner Verlobten mussten sie in der Wohnung die Fenster schließen, damit sie das Sirenengeheul nicht mehr hörten.

 

[Einmal quer über den Hömericher Kopf zogen die Flammen und kamen dabei einem Bauernhof bedrohlich nahe. Ein Übergreifen auf das Gebäude zu verhindern war für die Feuerwehr eine der Hauptaufgaben am ersten Tag des Brands.]

 

Auch weil der Sozialarbeiter von Karsten L. diesen zur Rede stellte, da Zeugen einen jungen Mann mit heller Jacke am wahrscheinlichen Ausbruchsort gesehen hatten, gingen am Folgetag sowohl Karsten L. als auch Florian J. zur Polizei. Die Verlobte und der Freund bestätigten vor Gericht die Version des Angeklagten größtenteils. Lediglich Karsten L. meinte sich erinnern zu können, dass Florian J. die OP-Maske an einen Baum gehängt habe, diese anzündete und der glimmende Rest zu Boden fiel. Eine weggeworfene Zigarette habe er nicht gesehen, er sei aber auch sehr panisch gewesen.

 

Mithilfe der anderen Zeugen, Anwohner und Spaziergänger, die sich in der Nähe aufhielten, und den Einschätzungen der involvierten Polizeibeamten versuchte das Gericht das Geschehene am 20. April zwischen etwa 13 und 13:30 Uhr möglichst genau nachzuhalten. Auch die andauernde Hitze, die Trockenheit und der starke, den Brand begünstigende Wind spielten eine Rolle. Mehr als 20 Hektar Wald fielen den Flammen zum Opfer.

 

Besonderes Gewicht hatte die Aussage des zuständigen Brandermittlers, der Florian J. auch vernahm. „Der Angeklagte hat nicht herumgedruckst, sondern die Fakten auf den Tisch gelegt.“ Bevor dieser sich gestellt habe, hätten sie nur über die Ursache mutmaßen können. An der Bank fanden sich noch allerhand weiterer Unrat, auch eine der vielen Scherben hätte unter bestimmten Umständen einen Brand entfachen können. Der Hauptkommissar machte keinen Hehl daraus, dass er es dem Angeklagten hoch anrechnet, sich gemeldet zu haben. „Hier gibt es häufig Waldbrände und man weiß nicht, was passiert ist. Wir säßen heute nicht hier, wenn sich Florian J. nicht freiwillig gestellt hätte.“

 

Richterin Ritter kam bei der Urteilsverkündung darauf auch noch einmal zurück. „Ihnen wurde in ihrer Kindheit beigebracht, dass es alles nur schlimmer macht, wenn Fehler zugegeben werden. Und trotzdem haben Sie den Schneid gehabt, zur Polizei zu gehen.“ Die besondere Lebenssituation habe auch dazu geführt, nicht wie von der Staatsanwaltschaft gefordert 1.200 Euro Geldstrafe zu verhängen, sondern die Freiheitsstrafe auf Bewährung mit der regelmäßigen Spende an die Biologische Station.

 

Die fahrlässige Brandstiftung, die ein „herausragendes Waldbrandereignis und großen Schaden“ verursacht habe, sah die Richterin aber als erwiesen an, auch wenn die Verteidigung nochmal versucht hatte, Zweifel zu streuen. Dafür passten die Aussagen und die Anwesenheit Florian J.s zum Zeitpunkt des Ausbruchs zu gut zusammen. Der Verurteilte habe auch seine Lehren gezogen, wie er vor den Plädoyers sagte: „Im Wald rauche ich bestimmt keine Zigaretten mehr“.

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