BLAULICHT

Drei Wochen Arrest: Letzter Warnschuss für 17-Jährigen

lw; 22.10.2023, 11:05 Uhr
BLAULICHT

Drei Wochen Arrest: Letzter Warnschuss für 17-Jährigen

lw; 22.10.2023, 11:05 Uhr
Waldbröl – Ein Brüderpaar musste sich wegen gefährlicher Körperverletzung vor Gericht verantworten – Einer wurde freigesprochen, einer nicht.

Von Lars Weber

 

Viele Jungs haben ihren älteren Bruder als Vorbild. Generell spricht da auch nichts gegen – solange der Älteste nicht unbedingt eine kriminelle Laufbahn einschlägt. So wie bei den Brüdern Omed und Jawad B. (Anm.d.Red.: Alle Namen geändert). Beide haben am Donnerstag am Amtsgericht Waldbröl gemeinsam auf der Anklagebank Platz nehmen müssen. Sie mussten sich unter anderem aufgrund gefährlicher Körperverletzung vor dem Jugendschöffengericht unter dem Vorsitz von Richter Carsten Becker verantworten. Während in diesem Fall Omed, mit 19 Jahren der ältere der beiden, einen Freispruch entgegennehmen durfte, wurde sein 17-jähriger Bruder Jawad nicht nur zu einer Jugendstrafe von fast zwei Jahren verurteilt, sondern er soll auch noch drei Wochen zum Warnschussarrest. Wie es da so zugeht, kann er seinen Bruder fragen.

 

Beide zusammen waren laut Anklageschrift am 29. Mai 2022 an der Tankstelle in der Brölstraße auf den Geschädigten Tim O. getroffen. Dort hingen die Brüder unter anderem mit Tim O.‘s Schwester Julia O. ab und tranken Alkohol. Tim O. und sein Kumpel sollen zwischen 23 und 23:30 Uhr dazugekommen sein, weil sie auf der Suche nach Julia O. waren. Sie hätte schon daheim sein sollen. Tim O. sei dann beleidigt worden und Jawad B. soll ihm eine Wodka-Flasche gegen den Kiefer geschlagen haben. Es soll zum Gerangel gekommen sein, bei dem Jawad B. im Schwitzkasten von Tim O. landete. Beide gingen zu Boden. Mit der inzwischen kaputten Flasche soll der 17-jährige Angeklagte dann auf seinen Widersacher eingestochen haben. Tim O.‘s Freund trennte die beiden, Omed soll Tim O. aber noch einen Faustschlag verpasst haben, bevor sich die Situation endgültig auflöste.

 

Weitere Anklage

Angeklagt war Jawad B. zudem wegen des vorsätzlichen Besitzes eines nicht erlaubten Schlagrings und wegen einem weiteren möglichen Fall der gefährlichen Körperverletzung Anfang des Jahres. Ersteres räumte der 17-Jährige ein. Der Vorfall, der sich Ende Januar rund um die evangelische Kirche im Zentrum Waldbröls zugetragen haben soll, konnte im Laufe der Verhandlung nicht aufgeklärt werden, sodass Jawad B. von diesen Vorwürfen freigesprochen wurde.

 

Die Situation rund um die Tankstelle hatte Jawad B. laut seinem Anwalt anders erlebt, als es die Staatsanwaltschaft vorgetragen hatte. Er sei tatsächlich mit Julia O. und einigen anderen, auf die er nicht näher einging, vor Ort gewesen. Der Bruder von Julia O. sei schon wütend eingetroffen und das Handgemenge habe sogleich begonnen. Er sei von dem 21-Jährigen in den Schwitzkasten genommen worden. Um sich daraus zu befreien, habe er mit der Flasche einmal Richtung Tim O. gestoßen. Dass diese kaputtgegangen sei, davon habe er nichts mitbekommen. „Vermutlich ist das passiert, als wir gestürzt sind.“ Auch, dass der Bruder von Julia O. stark geblutet haben soll, habe er nicht gesehen. Wer mit dem Streit begonnen hat? „Weiß ich nicht.“ Er sei aber auch sehr betrunken gewesen.

 

Der Geschädigte, der 21-jährige Tim O., hatte auf diese Frage eine klare Antwort. Er habe seine Schwester im Bereich des Rewe gesucht, als er von jemanden an der dortigen Bushaltestelle als „Fettsack“ beleidigt worden sei – der Angeklagte Jawad B. Dieser sei schon mit der Wodka-Flasche in der Hand angriffsbereit auf ihn zugekommen und habe ihm diese ans Kinn geschlagen – so schilderte es auch später der Kumpel des 21-Jährigen. Wie Tim O. bei der anschließenden Rangelei zu der Wunde gekommen sei, habe er gar nicht bewusst bemerkt. Er habe das Blut erst wahrgenommen, als der Kampf beendet war. Tim O. schloss aber aus, dass er auf die Flasche gefallen sein könnte. Von einem Faustschlag, den er am Ende der Auseinandersetzung noch einstecken musste, wusste der 21-Jährige am Donnerstag nichts mehr. Weder seine Schwester noch sein bester Freund hatten für das Verfahren neue Details parat.

 

Sein Vorstrafenregister und der Bericht der Bewährungshelferin – sie betreut übrigens nicht nur Jawad, sondern auch noch Omed und einen weiteren der insgesamt fünf Brüder – ließen vermuten, dass sich Jawad B. bei einem Schuldspruch unter Umständen warm anziehen muss. Schon drei Mal fiel er wegen gefährlicher Körperverletzung auf, außerdem wegen versuchten schweren Raubs. Die Auflage, die Suchtberatung aufgrund seines Alkohol- und Drogenproblems aufzusuchen, habe er noch nicht erfüllt. Dafür hat er seine Sozialstunden abgeleistet, immerhin 50 Stück an der Zahl.

 

Der 17-Jährige hätte aber laut Bewährungshelferin „keine Perspektive“. „Er ist orientierungslos.“ Sie würde unter allen Umständen ein Antiaggressionstraining wegen der Gewalt empfehlen, die der Angeklagte immer wieder anwendet: „Das zieht sich durch“.

   

Die Staatsanwaltschaft war überzeugt, dass Jawad B. den Streit zwischen vom Zaun gebrochen hatte. Es sei zwar möglich, dass er nicht mit Absicht mit der Flasche in den Brustbereich des Geschädigten gestochen habe – „Aber wenn er zusticht, muss er davon ausgehen, dass so etwas passiert“. Seit dem letzten Urteil habe er sich „null gebessert“. Sie forderte ein Jahr und zehn Monate Jugendstrafe auf Bewährung. Diese komme nur infrage, weil der Vorfall an der Tankstelle vor dem Urteilsspruch für die anderen Taten geschah. Jawad B.‘s Verteidiger ging davon aus, dass sein Mandant in Notwehr gehandelt habe. „Er wurde angegriffen.“ Deshalb forderte er einen Freispruch.

 

Als „abenteuerliche Konstruktion“ bezeichnete Richter Becker das Plädoyer des Rechtsanwalts. Er verurteilte Jawad B. wie von der Staatsanwaltschaft gefordert zu einem Jahr und zehn Monaten Jugendstrafe auf Bewährung. Zudem muss er zum Sozialkompetenztraining, zur Suchtberatung und 150 Sozialstunden ableisten – wenn er jedoch eine Arbeit finden würde, könnten sich diese reduzieren. „Um zu lernen, was Gefängnis bedeutet“, ordnete Becker weiter einen Warnschussarrest über drei Wochen an. Der 17-Jährige solle ein Gespür dafür entwickeln, was kommen könnte, wenn er so weitermacht.

 

Da ihn niemand während der Hauptverhandlung erkannte oder beschuldigte – sein Rechtsanwalt fragte sich beim Plädoyer, wie er überhaupt in die Anklageschrift gerutscht war – war der Freispruch für den 19-jährigen Omed nur folgerichtig. Bevor bei dem Angeklagten aber zu viel Freude aufkam, erinnerte Richter Becker ihn an seine schon vorhandenen Bewährungsauflagen aus einer bestehenden Verurteilung. Trotz zweimaligen Arrests hatte der junge Mann seine 100 Sozialstunden bisher kaum angefangen. Nun soll ein Widerrufsverfahren kommen. Bis November müsse er etwas tun. „Ansonsten drohen fast zwei Jahre Gefängnis“, so Richter Becker.

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