BLAULICHT

„…dann müsst ihr mich erschießen“

lw; 29.03.2023, 14:53 Uhr
BLAULICHT

„…dann müsst ihr mich erschießen“

lw; 29.03.2023, 14:53 Uhr
Waldbröl – 42-Jähriger soll Polizeibeamte angegriffen und bedroht haben – Gericht verhängt Geldstrafe.

Von Lars Weber

 

Ruhig, besonnen und friedlich: So hat sich der 42-jährige Felix B. (Anm.d.Red.: Name geändert) heute bei seinem Prozess am Waldbröler Amtsgericht gegeben. Dass er scheinbar auch anders kann, zeigte die Anklage. Der Waldbröler musste sich wegen versuchter gefährlicher Körperverletzung, Bedrohung und des tätlichen Angriffs auf einen Polizeibeamten verantworten. In einer ausführlichen und umfassenden Aussage erzählte der 42-Jährige von dem betreffenden Abend, räumte die meisten Vorwürfe ein und entschuldigte sich auch. Die Frage vor dem Urteil durch Richter Maximilian Holthausen lautete deshalb vor allem: War der Angeklagte überhaupt voll schuldfähig?

 

Zugetragen haben soll sich der Vorfall am 2. September letzten Jahres. Laut Anklage soll es in der gemeinsamen Wohnung des Angeklagten und seiner Lebensgefährtin zum Streit gekommen sein, in dessen Folge er die Frau mit einem Messer bedroht haben soll. Sie rief daraufhin die Polizei zu Hilfe. Der 42-Jährige soll dann erst richtig hochgetourt sein. Er habe den Beamten gedroht, sie zu erstechen und sich verbarrikadiert. Vom Badezimmerfenster aus soll er die Polizei später mit Parfümflaschen beworfen haben und weitere Drohungen gerufen haben. Schließlich habe er sich doch festnehmen lassen, allerdings habe er auf dem Weg zum Streifenwagen einen Beamten noch in den Bauch getreten, der aber dienstfähig blieb. An dem Abend hatte der Waldbröler etwas getrunken, die Blutprobe ergab 0,66 Promille.

 

Felix B. sagte anschließend aus und versuchte sich so gut es ging zu erinnern. Seine Freundin und er seien am Kochen gewesen, als sie sich stritten. Sie habe ihn geschubst und auf den Hinterkopf geschlagen, als er gerade ein Messer in der Hand gehabt habe. „Ich habe mich umgedreht und gesagt: ‚Soll ich?‘“ Dann habe er die Wohnung verlassen, um noch mehr zu trinken, was er sonst nicht tue. Auch, weil er seit Jahren Antidepressiva nehme. Als er wieder in die Wohnung wollte, habe sie mit der Polizei gedroht. Er drang trotzdem ein. Seine Lebensgefährtin, die heute krankheitsbedingt fehlte, wählte die 110 und verließ die Wohnung.

 

„Ich war so in Rage, ich wollte Druck loswerden“, sagte Felix B. Provozierend habe er deshalb mit dem Messer auf die Polizei gewartet, die gegen 20:15 Uhr eintraf. „Ich habe in Kauf genommen, dass sie schießen.“ Als die Beamten vor ihm standen und er einen Schritt auf sie zu machte, bekam er stattdessen Pfefferspray in die Augen gesprüht, weshalb er sich in die Wohnung zurückgezogen habe. Nachdem er seine Augen ausgewaschen habe, sei er wieder ausgetickt. Erst habe er einen Mörser aus der Küche gegen das Fenster geworfen, dann habe aus dem Badezimmer die Parfümflakons nach draußen geschleudert. In welche Richtung konnte er nicht mehr genau sagen. Neben einem Polizisten habe er auch neugierige Nachbarn gesehen, denen die Würfe gelten sollten.

 

Nachdem ihn ein Polizist etwas beruhigt hatte, ließ er sich festnehmen. Draußen fühlte er sich von der Taschenlampe eines Polizisten aber so geblendet, dass er ihm - wieder wütend - die Lampe aus der Hand treten wollte. Er kam aber nicht so hoch und traf den Bauch. „Ich bin nicht mehr so beweglich.“

 

Dass er derart ausgetickt sei, lag seiner Erzählung nach auch daran, dass er zuvor ein halbes Jahr ohne freien Tag gearbeitet hatte. „Ich bin verschuldet und muss das abarbeiten“, erklärte er die hohe Intensität. Zugleich nehme er aus anderen Gründen die Antidepressiva. Seine Verteidigerin hatte ob der Wechselwirkung zwischen den starken Medikamenten und dem Alkohol Zweifel an der Schuldfähigkeit, auch wenn ein Gutachten keinen Zusammenhang festgestellt hatte.

 

Als Zeugen waren die beiden Polizisten vor Gericht erschienen, die von dem Angeklagten angegriffen worden sein sollen. Tatsächlich seien die Parfümflaschen teils nur knapp an seinem Gesicht vorbei geflogen, erinnerte sich ein 31-jähriger Beamter. „Ich konnte ausweichen.“ Er beschrieb, dass es offensichtlich war, dass sich Felix B. in einer psychischen Ausnahmesituation befand. Sein Zustand habe gewechselt zwischen ruhig, erregt und aggressiv. Als er sich verbarrikadiert hatte, soll der 42-Jährige geschrien haben: „Kommt doch hier rein und erschießt mich. Oder ich komm raus und greife an. Dann müsst ihr mich erschießen.“

 

Der Polizist, der vom Angeklagten getreten wurde, gab an, dass er ihn wirklich mit seiner Taschenlampe angeleuchtet habe. „Er hatte vorher in seiner Wut einen kleinen Zaun umgetreten, dann habe ich dahin geleuchtet.“ Der Tritt ging gegen seine Sicherheitsweste und richtete keinen großen Schaden an, zumal der Angeklagte nur Turnschuhe getragen habe. Auch er sprach von einer „extremen Wesensveränderung“ des Angeklagten über den Abend. Immerhin dauerte der Einsatz vor Ort allein mehr als zwei Stunden. Später auf der Wache habe Felix B. sich auch bei ihm entschuldigt für den Tritt.

 

Es waren die ehrlich anmutende Erzählung des Angeklagten vom Tatabend und die Beschreibungen der Polizisten, die letztlich dafür sorgten, dass nicht nur die Verteidigung von der verminderten Schuldfähigkeit überzeugt war, sondern auch Staatsanwaltschaft und Richter Holthausen von einer Wechselwirkung von Alkohol und Medikamenten ausgingen. Die Rechtsanwältin forderte für ihren Mandanten eine milde Geldstrafe, die Staatsanwaltschaft befand 5.400 Euro als angemessen für die Angriffe und Bedrohungen. Richter Holthausen beließ es indes bei 4.500 Euro. Er rechnete die ausgesprochene Entschuldigung des Angeklagten zusätzlich strafmildernd an.  

WERBUNG