BERGNEUSTADT

Ein Urteil und seine Folgen: Musikschule wird zur Agentur

pn; 26.09.2025, 15:05 Uhr
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Symbolfoto: Yan Krukau auf Pexels
BERGNEUSTADT

Ein Urteil und seine Folgen: Musikschule wird zur Agentur

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pn; 26.09.2025, 15:05 Uhr
Bergneustadt – Gegen den Widerstand der SPD hat der Bergneustädter Stadtrat die Umwandlung der Musikschule in eine Musikschulagentur beschlossen – Die Entscheidung gehört zu den HSK-Maßnahmen.

Von Peter Notbohm

 

Lehrkräfte an Musikschulen müssen laut Urteil des Bundessozialsgerichts festangestellt werden. Das sogenannte „Herrenberg-Urteil“ vom 28. Juni 2022 soll eigentlich für faire Bezahlungen sorgen und die Arbeitsbedingungen für Honorarlehrkräfte an Musikschulen verbessern. Was gut klingt, setzt Kommunen und Musikschulen unter finanziellen Druck.

 

Bislang arbeiten viele dieser Lehrkräfte selbstständig auf Honorarbasis und sind nicht sozialversichert. Das Gericht stellte in seinem Urteil, das auf einem Fall einer Musiklehrerin der städtischen Musikschule Herrenberg basiert, fest, dass es sich dabei nur um eine Scheinselbstständigkeit handelt, nachdem die Deutschen Rentenversicherung zum dem Schluss gekommen war, dass es sich um eine abhängige Beschäftigung handle und somit Sozialabgaben zu zahlen seien.

 

Als Gründe wurden die Weisungsgebundenheit, die Eingliederung in eine betriebliche Organisation, das fehlende Unternehmerrisiko und die wirtschaftliche Abhängigkeit von einem Auftraggeber genannt. Das Urteil betraf formell zwar nur diesen Einzelfall, löste aber trotzdem einen Paradigmenwechsel aus. Bis 2027 müssen Lehrkräfte an Musikschulen nun festangestellt werden.

 

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Das hat nun auch Auswirkungen auf die Musikschule Bergneustadt. Der Stadtrat beschloss am Mittwoch mehrheitlich bei neun Gegenstimmen der SPD und einer Enthaltung aus Reihen der CDU, die Musikschule in eine Musikschulagentur umzuwandeln. Gleichzeitig wurde die Entgelt- und Honorarordnung der Musikschule zum 1. August des kommenden Jahres aufgehoben.

 

Die Umwandlung zählt zu den Maßnahmen des Haushaltssicherungskonzepts (HSK). In der Bergneustädter Kämmerei wird durch die Streichung der freiwilligen Leistungen bis 2035 mit Einsparungen in Höhe von 415.000 Euro gerechnet. Vollkommen zieht sich die Stadt aber nicht aus der Musikschule heraus. Sie agiert weiterhin als Ansprechpartner, führt eine Kartei von Interessenten/Schülern und Dozenten, vermittelt Kontaktdaten, koordiniert die kostenlose Nutzung von Räumen im Gymnasium, wo die Musikschule weiterhin Räume zur Verfügung gestellt bekommt, vermittelt Instrumente und kooperiert mit dem Förderverein. Derzeit plant man dafür mit jährlichen Ausgaben in Höhe von etwa 25.000 Euro. Die Stadt verzichtet dadurch aber auch auf die anfallenden Einnahmen. „Wichtig ist uns als Verwaltung, dass wir weiter Musik anbieten können“, heißt es aus dem Rathaus zu der Umwandlungsentscheidung.

 

Was gestrichen wird: Der Personalaufwand für die Abwicklung von Beitragserhebung und Honorarberechnung sowie weitere Leitungsaufgaben. Dies muss künftig von der Musikschule selbst organisiert werden. Die Sozialversicherungspflicht hätte für die Stadt jährliche Zusatzkosten von 20.000 Euro im Rahmen der Honorare betragen, die auf die 120 Beitragszahler hätten umgelegt werden müssen. Im Durchschnitt hätte das für jeden Schüler eine monatliche Erhöhung von 13,90 Euro bedeutet. Zusätzliche kämen durch die Unterdeckung im Haushaltsplan nochmals 13,90 Euro, sodass der aktuelle Elternbeitrag um etwa 28 Euro pro Monat erhöht werden müsste.

 

Daniel Grütz (SPD) hob die lange Tradition der Musikschule hervor. Seine Kritik: Ein geringer Spareffekt, der gleichzeitig aber einen großen kulturellen Schaden verursache; vor allem das Schulorchester und mittelfristig auch der Musikzug der Feuerwehr werden aus Sicht der Sozialdemokraten leiden. Durch die Umwandlung in eine Agentur verliere der Job des Dozenten spürbar an Attraktivität. „Bei musikalischer Bildung geht es um Kreativität und Disziplin. Es ist hinlänglich bewiesen, dass dies zum Team- und Schulerfolg beiträgt“, sagte Grütz. Er warb dafür, das Herrenberg-Urteil zu berücksichtigen und die Musikschule in ihrer jetzigen Form weiterzubetreiben: „Diesen Weg sind auch viele andere Kommunen gegangen.“

 

Schwer mit der Musikagentur tat sich auch Stefan Heidtmann (Grüne), selbst Berufsmusiker, der von einer „schmerzhaften“ Entscheidung sprach. Er entgegnete allerdings, dass es angesichts der aktuellen Gesetzeslage für eine Kommune im HSK kaum möglich sei, eine Musikschule im bisherigen Konzept fortzuführen. Man würde sich ansonsten rechtlich auf sehr dünnem Eis bewegen, da keine Quersubventionierung mehr möglich sei: „Wir haben keine Chance, dagegen zu sein.“

 

Die beiden Leiter der Musikschule, Eberhard Rink und Joachim Kottmann, selbst sprechen in einer Stellungnahme von einem „nicht favorisierten oder entwicklungsstrategisch wünschenswerten Zukunftsmodell“, sehen die Umwandlung in eine Agentur aber als „konzeptionellen Kompromissversuch“. Letztlich werde man immer im Einzelfall prüfen müssen, „ob und inwieweit die Weiterführung einzelner Leistungsbereiche organisatorisch und personell möglich ist“. Sie hoffen ergänzend auf mögliche alternative Finanzierungen über Drittmittel oder projektbezogene Beteiligungen wie den Förderverein der Musikschule.

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