BLAULICHT

Vorwurf des sexuellen Missbrauchs: Prozess gegen Ex-Lehrer neu gestartet

lw; 09.04.2024, 16:33 Uhr
Foto: Lars Weber.
BLAULICHT

Vorwurf des sexuellen Missbrauchs: Prozess gegen Ex-Lehrer neu gestartet

lw; 09.04.2024, 16:33 Uhr
Morsbach/Bonn – 57-Jähriger soll minderjährige Schüler mit Versprechungen, Lügen und Geld gefügig gemacht haben – Angeklagter legt Geständnis ab - Ein mutmaßliches Opfer sagt aus.

Von Lars Weber

 

Es ist Déjà-vu der aufwühlenden Sorte gewesen für die Beteiligten des Prozesses im Sitzungssaal im Landgericht Bonn. Bereits im November war die 8. Große Strafkammer um den Vorsitzenden Richter Dr. Volker Kunkel zusammengekommen, um bei dem Fall von Martin B. (Anm.d.Red.: Name geändert) zu einem Urteil zu kommen. Dem ehemaligen Lehrer einer Schule in der Gemeinde Morsbach und Trainer in diversen Fußballvereinen wird sexueller Missbrauch in 15 Fällen vorgeworfen. Die drei Jungen, um die es geht, sollen zur Tatzeit noch minderjährig gewesen sein. Der heutige Neubeginn der Verhandlung war weitgehend ein Spiegelbild der Ereignisse im November – bis auf eine wichtige Ausnahme: Das mutmaßliche Opfer, das auch als Nebenkläger auftritt, trat in den Zeugenstand – und damit dem Angeklagten gegenüber.

Im November war das Gericht nach dem ersten Termin nicht weit gekommen und der Prozess musste notgedrungen abgebrochen werden. Das heute anwesende mutmaßliche Opfer, inzwischen erwachsen, befand sich zu der Zeit auf einer langen Fahrradtour im Ausland. Die Ladung erreichte ihn nicht. Und so waren die rechtlich vorgesehenen Fristen für das Gericht nicht zu halten. Es wurde beschlossen, den Prozess erst nach Wiederkehr des wichtigen Zeugen neu zu starten.

Der inzwischen 57-jährige Martin B. musste heute allerdings zunächst auf seinen Verteidiger Dr. Peter-René Gülpen warten. In der hinterletzten Ecke an der Anklagebank hockte sich der Angeklagte mit dem Rücken zum Saal auf einen Stuhl, sein Gesicht zusätzlich mit einer Maske bedeckt, um sich vor dem Medienrummel zu schützen. Fast 20 Minuten verharrte er allein in der Ecke, fast regungslos. Als sein Anwalt erschien, bekam er von ihm zum weiteren Verdecken des Gesichts einen Hefter. Nachdem keine Fotos mehr erlaubt waren, verfolgte er die Verlesung der Anklageschrift mit festem Blick.

Die Staatsanwaltschaft wirft ihm sexuellen Missbrauch von drei minderjährigen Schülern zwischen dem 1. Juni 2006 und dem 29. Juni 2021 in 15 Fällen vor (OA berichtete). Zu Beginn der Taten sollen die Jungen elf beziehungsweise 13 Jahre alt gewesen sein. Martin B. soll sie über einen längeren Zeitraum hinweg mehrfach zu sexuellen Handlungen gezwungen, mit ihnen beischlafartige Praktiken vollzogen und mehrfach jugendpornografische Fotos angefertigt haben.

Um seine Ziele zu erreichen, soll er seine damalige Position ausgenutzt haben. Er war über die Jahre nicht nur Trainer diverser Jugendmannschaften im Kreis, sondern vor allem ab 2002 Lehrer einer Schule im Morsbacher Gemeindegebiet. Dort unterrichtete er unter anderem Sport und Ethik. Er wurde von den Schülern zum Vertrauenslehrer gewählt, wodurch er Zugang zu den Schülerakten bekam. Dort soll er gezielt potenzielle Opfer gesucht haben. Ein Blick auf die Lebensgeschichte der Geschädigten zeigt: Vor allem Kinder mit einer Missbrauchsvergangenheit schienen seine Aufmerksamkeit zu wecken.

Eine Zeitlang - ab 2006 - habe er sich zudem freiwillig für Nachtdienste und die Abendbetreuung gemeldet. So soll er die Möglichkeit bekommen haben, die Schüler besser kennenzulernen, Vertrauen aufzubauen - und auch allein mit ihnen zu sein. Nach Bekanntwerden der Vorwürfe wurde dem 57-Jährigen 2021 gekündigt.

Um seine mutmaßlichen Opfer gefügig zu machen, soll er den fußballbegeisterten Jungen zum Beispiel Trikots von Bernd Schneider und Lukas Podolski in Aussicht gestellt haben. Auch Geld soll er geboten haben, in einem Fall zum Beispiel zehn Euro, damit sich der Schüler selbst anfasste. Für Gartenarbeit gegen Geld soll sich der Angeklagte ein mutmaßliches Opfer nach Hause geholt haben, dort soll auch in einem Bett übernachtet worden und der Angeklagte übergriffig geworden sein. Zum System sollen auch Lügen gehört haben. So soll der Angeklagte erzählt haben, er bräuchte Nacktfotos von dem Schüler für einen pädophilen Nachbarn, damit dieser sich nicht an Kindern vergehen müsse. "Das Kind dachte, es tut etwas Gutes", so die Staatsanwaltschaft.

Nachdem eines der mutmaßlichen Opfer zwischenzeitlich 17 Jahre alt geworden war, soll der Angeklagte das Interesse an ihm verloren haben. Bis dahin hatten beide bereits über etwa vier Jahre Kontakt gehabt. Der Umstand, dass ältere Jugendliche dem Mann weniger zu interessieren schienen, könnte darauf hinweisen, dass es sich um eine krankhafte Neigung bei dem Angeklagten handelt. Ein Gutachter ist dem Prozess beigeordnet.

Nachdem die Vorfälle 2021 an die Öffentlichkeit kamen, wurden bei der Hausdurchsuchung von der Polizei bei Martin B. unzählige jugendpornografische Fotos und Videos gefunden. Diese sollen unter anderem unbemerkt über Wetteinsätze bei Trinkspielen mit Alkohol entstanden sein. Zusätzlich soll er als Fußballtrainer unbemerkt seine Spieler nackt unter der Dusche abgelichtet haben.

Der Angeklagte ließ sich – wie im November auch - wieder ein, erneut wurde die Öffentlichkeit ausgeschlossen für die Aussage. Dem Antrag seines Anwalts war zu entnehmen, dass er sich geständig einlassen wollte. Damit wolle er den mutmaßlichen Opfern Aussagen ersparen.

Ausgesagt hat heute aber trotzdem auch das Opfer, das als Nebenkläger auftritt und das im November auf Reisen gewesen war. Auch seine Einlassung fand unter Ausschluss der Öffentlichkeit statt.

Anders war dies, als eine ältere Schwester von ihm im Zeugenstand Platz nahm. Ihr, einer Polizeivollzugsbeamtin, vertraute sich der junge Mann im April 2021 erstmals an, mehr als zehn Jahre nach den Geschehnissen. Er habe ihr vor allem von den Nacktfotos erzählt. In ihrer Aussage vor drei Jahren der Polizei gegenüber gab sie an, dass es ihr Bruder "ekelhaft und pervers" fand, dass er sich im Intimbereich rasieren sollte. Viele Details über seinen Kontakt zum Angeklagten, zum Beispiel was bei den Übernachtungen bei ihm zu Hause passiert sei, habe er ihr gegenüber aber nicht angegeben. Sie selbst habe sich über den engen Kontakt zu einem Lehrer zwar gewundert, da ihr Bruder es in der eigenen Familie aber nicht leicht hatte („da steckte viel Patchwork drin“), freute es sie eher, dass ihr Bruder eine Vertrauensperson zu haben schien.

Vor dem Gespräch 2021 und der Offenbarung habe ihr Bruder einen stabilen Eindruck gemacht. Auch im Gespräch damals sei er gefasst rübergekommen. Seitdem stehe er aber "völlig neben der Kappe". Sie habe das Gefühl, dass er von seiner Vergangenheit eingeholt wurde. Daher auch die große Fahrradtour. "Das war kein Traum von ihm. Er wollte das verarbeiten, aber eigentlich war es eine Flucht."

 

Der Prozess soll diese Woche fortgesetzt werden. Ein Urteil soll Ende des Monats fallen.

WERBUNG