Archiv

Ein Notfall in zwei Minuten

bv; 16. May 2017, 14:09 Uhr
ARCHIV

Ein Notfall in zwei Minuten

bv; 16. May 2017, 14:09 Uhr
Oberberg – Krankenhausärzte sollen laut gesetzlicher Verordnung in kurzer Zeit entscheiden, ob ein echter Notfall vorliegt – Krankenhäuser in Gummersbach und Waldbröl wenden Regelung nicht an.
Von Bernd Vorländer

Wie groß ist eigentlich der Unterschied zwischen Theorie und Praxis? Manchmal kann man ihn tatsächlich genau beziffern. In den Krankenhäusern des Landes liegt dieser Unterschied bei 4,74 € am Tag und 8,42 € in der Nacht. So viel ist dem deutschen Gesundheitssystem die Begutachtung eines Patienten wert, der sich als Notfall im Krankenhaus vorstellt. Soweit die Theorie, die als Reform des Notdiensthonorars seit 1. April in Kraft getreten ist und dafür sorgen soll, dass mehr echte Notfälle im Krankenhaus behandelt werden können, nicht aber etwa ein einfacher Schnupfen. Dass es tatsächlich etliche Patienten gibt, die mit der Ambulanz am Abend ein volles Wartezimmer beim Arzt tagsüber umgehen wollen, zeigen Zahlen der Deutschen Krankenhausgesellschaft. Demnach sitzen etwa ein Drittel aller Patienten mit Bagatellen in den Notfallambulanzen.


Doch in der Realität entpuppt sich die neue Verordnung als Rohrkrepierer. Es ist praktisch für den Arzt im Krankenhaus kaum möglich, in den geforderten zwei Minuten eine treffende Diagnose zu stellen. „So lange benötigen die Patienten ja oft, um ihre Beschwerden zu beschreiben. Und dann ist noch keine einzige Untersuchung gemacht“, erklärt der Geschäftsführer des Klinikums Oberberg, Sascha Klein, und fügt hinzu: „Wir ignorieren die Verordnung aus moralisch-ethischen und haftungsrechtlichen Gründen.“ Niemand werde in den Krankenhäusern Gummersbach und Waldbröl unverrichteter Dinge wieder nach Hause geschickt, ehe sich der Arzt nicht ein klares Bild gemacht habe. Sämtliche diagnostischen Maßnahmen in der Notfallambulanz werden sowieso lediglich mit 35 € vergütet. Viel zu wenig, findet Sascha Klein. Notwendig seien 100 bis 130 €.

Zudem befänden sich der einzelne Arzt und das Krankenhaus in der Haftung, dürften keinen Notfall wegschicken und damit eventuell dramatische Folgen heraufbeschwören, sagt der Geschäftsführer. Dieses Risiko, im Ernstfall in wenigen Minuten über Leben und Tod entscheiden zu müssen, will in Gummersbach und Waldbröl niemand eingehen. Insofern würden Notfälle nach wie vor ausgiebig begutachtet. Den Bagatellfällen, mit denen sich einige Patienten vorstellten, müsse man auf andere Weise entgegenwirken, glaubt Klein. Hier gehe es vor allem darum, Menschen zu überzeugen, dass nicht immer der Weg ins Krankenhaus die einzige Alternative sei.  
  
WERBUNG