Archiv

„Der Zug fuhr weiter Richtung Hölle“

js; 9. Apr 2014, 16:05 Uhr
Bilder: Jessica Schöler --- Naftali Fürst und Annette Hirzel, Schulpfarrerin in Siegburg und Herausgerberin von Fürsts Buch, berichteten von den Geschehnissen zwischen 1942 und 1945.
ARCHIV

„Der Zug fuhr weiter Richtung Hölle“

js; 9. Apr 2014, 16:05 Uhr
Wiehl - Der Holocaust-Überlebende Naftali Fürst führte ein Zeitzeugengespräch mit Elftklässlern des DBG - Der 81-Jährige berichtete persönlich und bewegend über seine Zeit in den Konzentrationslagern Auschwitz und Buchenwald.
„Sie sollen froh sein, dass sie alle eine Kindheit hatten und zur Schule gehen können“, erklärt Naftali Fürst zu Beginn des heutigen Zeitzeugengesprächs. Im Gegensatz zu den Elftklässlern des Wiehler Dietrich-Bonhoeffer-Gymnasiums (DBG), wurde seiner Kindheit im Alter von neun Jahren ein Ende gesetzt.1942 wurde er gemeinsam mit seinen Eltern und seinem Bruder aus seiner Heimatstadt im slowakischen Pressburg, ins Auffanglager Sered deportiert. Anschließend erlebte er die Schrecken von Auschwitz und Birkenau am eigenen Leib.

Das Geschehene hat er im Buch „Wie Kohlestücke in den Flammen des Schreckens“ niedergeschrieben. Herausgeberin Annette Hirzel, Schulpfarrerin in Siegburg, hat den Kontakt zu DBG-Schulpfarrer Hans-Georg Pflümer hergestellt und den heutigen Termin ermöglicht. Gemeinsam mit dem 81-Jährige war sie heute nach Wiehl gekommen, um über Naftali Fürsts Erlebnisse während des Holocaust zu sprechen.


[Naftali Fürst reiste aus Israel an.]


„Wir sahen nicht jüdisch aus. Mein Bruder war so taff und hat gesagt wir seien Mischlinge“, berichtet Fürst, über die Zeit in Sered. Diese Lüge und das handwerkliche Talent des Vaters sicherten zunächst den Verbleib im Auffanglager, der Abtransport in ein Konzentrationslager (KZ) wird verschoben. Schließlich kommt doch heraus, dass die Eltern Artur und Margit keine sogenannte „Mischehe“ führen. Die Familie wird vor die Wahl gestellt: „Entweder wir erschießen eure ganze Familie, oder ihr kommt mit dem nächsten Transport nach Auschwitz“, erinnert sich der 81-Jährige noch gut, an die Worte des Aufsehers. Die Fahrt beginnt, die Eltern entwickeln einen Ausbruchplan: „Mein Vater und ein Klempner haben versucht die Tür aufzubrechen. Die anderen hatten Angst vor Konsequenzen. Der Zug fuhr weiter Richtung Hölle.“ Am 3. November 1944 kommen sie in Auswitz-Birkenau an. Die Familie wird getrennt, nur Bruder Shmuel bleibt an seiner Seite. „Das Weiterleben in den Lagern war viel schwieriger, als zu sterben“, berichtet Fürst heute.


[Das Bild von Harry Miller zeigt auch Naftali Fürst (im Kreis).]


Im Januar 1945 werden die Brüder auf den Todesmarsch nach Buchenwald geschickt. „Ich musste zeigen, dass ich leben wollte, denn sterben war zu einfach“, so die Erinnerung an den fünftägigen Fußmarsch. In eisiger Kälte marschiert er durch den Schnee, kennt weder Ziel noch Dauer des Marschs. Schließlich werden die Menschen in einen Viehtransporter getrieben, kommen nach weiteren vier Tagen in Buchenwald an. Naftali wird krank, leidet an Fieber und Halluzinationen. Er kommt in ein als „Krankenrevier“ getarntes Bordell. „Ich wusste damals nicht, was das ist. Ich wurde mit Schokolade und einem zerrissenen Pyjama verwöhnt. Es war der Himmel für mich.“ Als sich der Junge erholt hat und zurück ins Lager geschickt wird, ist sein Bruder weg. Am 11. April 1945 wird Buchenwald befreit, der Fotograf Harry Miller fotografiert die Baracken. Auf dem wohl bekanntesten Foto ist auch Naftali Fürst zu sehen. Im Sommer erfährt er, dass auch der Rest der Familie überlebt hat. Sie treffen sich in der Slowakei wieder, bevor Naftali 1949 als Erster nach Israel auswandert.


„Am 11. April, in zwei Tagen, vor 69 Jahren, bin ich in Buchenwald befreit worden. Das können nicht viele sagen“, beendet Fürst beim heutigen Zeitzeugengespräch seine Erinnerung. Auch heute bestimme der Holocaust noch sein Leben. Dennoch wirkt Naftali Fürst nicht verbittert: „Ich habe großes Glück gehabt.“

WERBUNG