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„In Gummersbach geht man wohl sehr früh schlafen“

fj,th; 2. Feb 2017, 15:45 Uhr
Bilder: Tarafa al Harabat und Fenja Jansen --- (v.li.) Wael Nasser, Familie Hassan und Dima Chakfeh.
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„In Gummersbach geht man wohl sehr früh schlafen“

fj,th; 2. Feb 2017, 15:45 Uhr
Gummersbach – In Gummersbach leben Menschen aus 120 unterschiedlichen Nationen – OA sprach mit einer syrischen Studentin, einer Familie und einem jungen Mann über Herausforderungen und Überraschungen in der neuen Heimat.
Von Fenja Jansen und Tarafa al Harabat

Dima Chakfeh studiert Informatik. Zunächst an einer Universität im syrischen Damaskus, seit Mai 2015 am Campus Gummersbach der Technischen Hochschule (TH) Köln. „Ich musste mich erstmal daran gewöhnen, wie ernst meine deutschen Kommilitonen ihr Studium nehmen. In der Heimat macht jeder so viel, dass es reicht, um die Prüfungen zu bestehen. Aber hier nicht. Manchmal möchte ich meinen Freunden an der TH immer noch zurufen: Chillt mal!“, erzählt die 25-Jährige, wenn man sie nach dem Unterschied zum Leben in Syrien und nun in Gummersbach fragt. Generell, findet sie, nehmen die Deutschen ihre Arbeit sehr ernst. „Da wird kaum über Privates gesprochen. Privat sind die Deutschen in der Freizeit“, erzählt sie lächelnd von einer weiteren Beobachtung.


[An den Lern-Eifer ihrer Kommilitonen musste sich Dima Chakfeh  erst gewöhnen.]

Das neue Leben in Gummersbach – für Dima hielt es angenehme Seiten, aber auch Herausforderungen bereit. Und über einiges konnte sie sich anfangs nur wundern: „Ich kenne es von Damaskus überhaupt nicht, dass die Geschäfte so früh schließen. Als ich das erste Mal abends durch die Stadt gegangen bin und alle Geschäfte schon zu hatten, vermutete ich, dass man hier eben so früh schlafen geht“, erzählt sie. Zu den angenehmen Seiten des Lebens in Oberberg zählt für sie, dass sie sich auch in knapper Kleidung wohl fühlt. „Da gucken die meisten deutschen Männer überhaupt nicht, für sie sind Röcke und Tops wohl normal. Bei Männern, die aus ihrer Heimat nach Gummersbach geflohen sind, ist das manchmal leider anders. Da merkt man schon einen Unterschied“, erzählt sie. Sowieso - Die Männer. „Deutsche Männer sind eher kalt, wenn sie aber eine Freundin haben, kümmern sie sich so lieb um sie. Syrische Männer sind temperamentvoller und eifersüchtiger, halten einem aber ohne zu fragen jede Tür auf“, zählt die junge Frau Unterschiede auf.

Schon mit 17 Jahren war Wael Nasser ein riesen Fan des deutschen Fußballs: Seine Lieblingsmannschaft ist Borussia Dortmund und sein Lieblingsspieler Oliver Kahn. Seit 2015 lebt der heute 25 Jahre alte Syrer in Gummersbach. In seiner Heimat im Süden Syriens, erzählt er, war es etwas ganz besonderes, ein deutsches Auto zu fahren. In seiner neuen Heimat Gummersbach sieht er sie nun oft, die deutschen Autos. Seitdem er hier lebt, so Nasser, liebe er aber noch viel mehr an Deutschland, als nur die Autos und den Fußball: Das alles geregelt ist zum Beispiel, und es keine Bestechung gibt. Besonders gefallen ihm die Schulen. „Hier scheinen alle wirklich lernen zu wollen. Das ist toll.“


[Wael Nasser  war schon Fan von Borussia Dortmund als er noch in Syrien lebte.]

Doch trotz aller Begeisterung für das „neue Leben“ hält es auch Hürden für den jungen Mann bereit. „Es ist schwierig für mich, Kontakte zu Deutschen aufzubauen, weil ich die Sprache noch nicht gut spreche“, erklärt er. Doch nicht nur die Sprachbarriere, macht es ihm schwierig, auf seine deutschen Nachbarn zuzugehen. „Die Leute hier sind kälter und distanzierter als in Syrien. Manchmal fühle ich, dass sie Angst vor mir haben, aber ich verstehe nicht, warum“, so Nasser. Dies bestärkt ihn aber auch in seinem Entschluss, so schnell es geht die deutsche Sprache zu lernen. „Ich will hier leben, arbeiten und Freunde finden.“

Die 30-jährige Avin Hassan lebt seit rund einem Jahr mit ihren zwei Kindern und ihrem Mann Hikmat in Gummersbach. Die kurdische Familie ist aus Syrien nach Deutschland geflohen. Tochter Angela ist erst fünf Monate alt – und wurde aus Dankbarkeit nach der deutschen Kanzlerin benannt. In Syrien, erzählt ihr Vater, dürfe man seine Kinder nicht nennen, wie man wollte. Der Name „Azadi“ sei beispielsweise verboten, weil er „Freiheit“ bedeute. Angelas Mutter Avin findet, dass in Deutschland alle Menschen gleich behandelt werden, egal ob sie Ärzte oder Bauern sind. „Das liebe ich an Deutschland“, sagt sie.

  

Menschen aus 120 unterschiedlichen Nationen leben derzeit in Gummersbach, viele von ihnen sind, wie Wael Nasser und Familie Hassan, aus ihrer alten Heimat geflohen. Hier begegnen sie nicht nur einer neuen Kultur, sondern sehen sich auch mit ganz alltäglichen Herausforderungen konfrontiert. „Sie finden sich ja in einer ganz neuen Gesellschaft wieder, in der es gegenüber ihrer Heimat meist mehr Freiheiten, aber auch mehr Bürokratie und oftmals weniger Gastfreundschaft gibt“, wissen Thomas Hein, Leiter des Fachbereichs Jugend, Familie und Soziales der Stadt Gummersbach, und Silvia Causemann, Leiterin des Ressorts Soziale Hilfen der Stadt Gummersbach.


[Familie Hassan hat ihre Tochter nach der deutschen Kanzlerin benannt. Angela ist fünf Monate alt.]

Mülltrennung oder Putzdienste in einem Mehrfamilienhaus kennt so mancher Neuankömmling nicht aus seiner Heimat, auch eine Waschmaschine oder einen Elektroherd hat noch nicht jeder bedient. In einer einführenden Integrations- veranstaltung im Rathaus werden die Menschen über den Alltag in Deutschland mit all seinen Rechten und Pflichten aufgeklärt, erzählt Causemann. Da eine einmalige Informationsveranstaltung aber oft nicht ausreiche, gehen Mitarbeiter der Stadt auch in die Wohnungen, bei Bedarf auch mehrmals, um vor Ort die Hausordnung oder den Gebrauch der Waschmaschine zu erklären.

Hein erinnert sich an einen „Vorfall“ in der Erstaufnahmeeinrichtung, die die Stadt bis Herbst 2016 in Strombach unterhielt. Diese sollte am nächsten Tag von oben bis unten geputzt werden und eine pakistanische Familie, die dies mitbekam, stand an besagten Putztag extra früh auf. Die Familienmitglieder wollten helfen und schon einmal mit dem Großreinemachen beginnen. Dazu drehten sie die Wasserschläuche auf und ließen das Nass nur so über die Böden fließen.

„Das war sehr lieb gemeint – aber letztendlich stand die halbe Bude unter Wasser“, erinnert sich Hein schmunzelnd. Heute kann er darüber lachen - dass es bei all den unterschiedlichen Sprachen und Gepflogenheiten zu Missverständnissen kommt, bleibt wohl nicht aus. Und auch die Deutschen entsprechen nicht immer den Erwartungen der Neuzugezogenen. Angesprochen auf das Klischee, Deutsche seien immer pünktlich, kann beispielsweise Studentin Dima Chakfeh nur lachen: „Ganz bestimmt nicht. Aber das ist ja auch keine Frage der Herkunft, sondern eine des Charakters.“
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