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Hassprediger unterwegs

bv; 7. Jan 2016, 17:01 Uhr
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Hassprediger unterwegs

bv; 7. Jan 2016, 17:01 Uhr
Oberberg – Die Reaktionen auf die kriminellen Ereignisse der Silvesternacht in Köln sind bezeichnend für den hysterischen Ausnahmezustand, in dem sich dieses Land befindet.
Von Bernd Vorländer

Die Ruhe des Neuen Jahres ist weg, war sie überhaupt je da? Seit den schlimmen Ereignissen der Silvesternacht, als es in Köln und anderen Städten zu sexuell motivierten Straftaten gegen Frauen kam, ziehen wieder die Hassprediger durchs Land. Die einen präsentieren sich in Nadelstreifen und mit wohlfeilen Rufen nach Konsequenzen, nach hartem Durchgreifen und dem Verweis, man dürfe rechtsfreie Räume niemals dulden, in beinahe jedem Fernsehprogramm. Sie verkünden Selbstverständliches, versuchen jedoch immer auch, den Volkszorn für eigene Zwecke zu instrumentalisieren. Die anderen vagabundieren durch die sozialen Netzwerke und sondern dort die abstrusesten Theorien ab. Was waren das noch Zeiten, als man auf die Auswürfe dieser „Bürger“ verzichten durfte, weil es diese Form der Meinungsverbreitung nicht gab. Manchmal ist Fortschritt eben auch Rückschritt.


Warum kann man die verabscheuungswürdigen Taten der Silvesternacht nicht nach dem Strafrecht verfolgen, ohne Pauschalurteile zu fällen? Warum gelingt es nicht, mögliches Fehlverhalten der Sicherheitsbehörden oder auch der Politik ohne Schaum vorm Mund zu analysieren und anschließend zu bewerten? Und warum neigen immer alle zu Extrem-Urteilen? Wer sich um dieses Land sorgt, weil ihn der Flüchtlingsstrom und Gewalt allgemein ängstigt, wird in die rechte Ecke geschoben. Wer zur Besonnenheit aufruft, ist automatisch ein „Gutmensch“. In diesen einfachen Kategorien wird offenbar gedacht, nur nachgedacht und reflektiert wird schon lange nicht mehr. Ständig wird erwartet, dass diejenigen, die in dieser Gesellschaft Verantwortung übernehmen, Lösungen präsentieren, möglichst binnen Stunden. Dass Herausforderungen manchmal so groß sind, dass es innezuhalten gilt, ehe man den nächsten Schritt tut, findet kein Gehör. Menschen wollen Schuldige, wenn es nicht so läuft wie gedacht. Der See rast und fordert Opfer, wusste schon Schillers Wilhelm Tell.

Die Taten der Silvesternacht sorgen in der Folge für allerlei Idiotie. Was soll das bitte, wenn die Oberbürgermeisterin einer Millionenstadt den völlig überflüssigen Hinweis gibt, Frauen mögen eine Armlänge Distanz zu Fremden halten. So eine Aussage taugt zur Büttenrede. Andere Politiker mutmaßen, Medien hätten zunächst bewusst die Berichterstattung über die Ereignisse unterbunden und erst mit viel Zeitverzug geschrieben und gesendet. Sofort steht der Vorwurf der Lügenpresse im Raum. Was für ein Unsinn. Es sollte bekannt sein, dass sich in Zeiten des Internets nichts totschweigen lässt. Richtig ist, dass manches vermeintliche Leit-Medium die Ereignisse verschlafen oder falsch eingeschätzt hat – was jetzt offenbar dazu führt, dass man Versäumtes mit drastischen, wenn auch nur halbwahren oder falschen Überschriften und Inhalten kompensieren will.

Was diesem Land so dringend fehlt, sind die Bedächtigen, die Beruhiger, eine moralische Elite, denen die Menschen noch zuhören. Doch – und das gilt es zu konstatieren – die sind leider nicht in Sicht. Was bleibt ist Hysterie.
  
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