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Das andere Deutschland - Flüchtlinge willkommen

bv; 15. Aug 2015, 07:00 Uhr
Bilder: Bernd Vorländer --- Birgit Fastenrath (in der Mitte mit Baby), Maria Verna (daneben re.) und Waltraud Gerhard (daneben li.) sind für die Flüchtlinge erste Ansprechpartner.
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Das andere Deutschland - Flüchtlinge willkommen

bv; 15. Aug 2015, 07:00 Uhr
Gummersbach - In Gummersbach-Herreshagen sind Menschen aus Syrien und Albanien fest in die Dorfgemeinschaft integriert, man kümmert sich um Schulbesuch und Behördengänge.
Von Bernd Vorländer

Was für unterschiedliche Welten. Hier die Bilder aus dem sächsischen Freital - kein Fernsehsender, kaum eine Zeitung, die nicht die wutentbrannten Gesichter, die Empörung, die Fratzen dumpfer Fremdenfeindlichkeit sendeten oder abdruckten, als vor der dortigen Notunterkunft gegen "die anderen" demonstriert wurde, die keiner haben wolle. Ein Stück Deutschland im Jahr 2015. Das andere Deutschland lässt sich indes tausendfach besichtigen - auch in der Region. Binnen weniger Tage gibt es eine Welle von Hilfsbereitschaft für die Menschen in der Notunterkunft der ehemaligen Strombacher Hauptschule, die vor einer Woche für Flüchtlinge zur ersten sicheren Zufluchtstätte seit Wochen und Monaten wurde. Und in Gummersbach-Herreshagen engagiert sich die Dorfgemeinschaft schon seit geraumer Zeit für Flüchtlinge - geräuschlos und sehr zielgerichtet.


[Birgit Fastenrath mit dem jüngsten Bewohner der Flüchtlingsunterkunft in Herreshagen.]

Wenn Maria Verna die paar Meter von ihrem Haus zur Flüchtlingsunterkunft in der ehemaligen Gaststätte in Herreshagen geht, ist sie meist schnell umringt von Menschen. Kinder nehmen sie oder ihre Mitstreiterinnen Birgit Fastenrath und Waltraud Gerhard an die Hand, Mütter lächeln sie an, Männer drücken sie herzlich. Herreshagen ist mitten in Deutschland und Kontrastprogramm zu Freital. Man kümmert sich um alles, was die Gummersbacher Ortschaft betrifft. Um Bürgersteige und Überquerungshilfen, die Ausrichtung von Festen, die Gemeinschaft - und natürlich um die Flüchtlinge. "Sie leben hier, also gehören sie zu uns", bringt es Waltraud Gerhard auf den Punkt. So richtig los ging es mit den neuen Nachbarn Ende vergangenen Jahres. Da veranstaltete die Dorfgemeinschaft ihren jährlichen St. Martinszug. Und als man an der Flüchtlingsunterkunft vorbeizog, standen dort die Kinder, die kein Wort Deutsch verstanden und deren Eltern gar nicht wussten, warum und was hier gefeiert wurde. Die Jüngsten hielten eine Mini-Laterne vor sich und freuten sich einfach über das Licht-Spektakel. "Da ist uns sofort das Herz aufgegangen", blickt Birgit Fastenrath zurück. Schnell wurden die Menschen aus Syrien und Albanien in den Zug eingereiht, das Eis war gebrochen.

Seit dieser Zeit kümmert sich die Dorfgemeinschaft, müssen die drei Frauen viele Fragen beantworten und helfen bereitwillig bei den täglichen Fragen, die sich die deutsche Bürokratie hat einfallen lassen. Briefe der Schule, die die Kinder besuchen, müssen ebenso erklärt werden wie Behördentermine und offizielle Schreiben. Man fährt die Flüchtlinge zu Deutschkursen, unterstützt beim Gang zu den Ämtern, sucht Busverbindungen heraus, sensibilisiert, wenn das deutsche Verständnis von gesellschaftlichem Miteinander ein anderes ist als die bisherige Kultur der Flüchtlinge. "Wenn es schon mal abends etwas lauter war, haben wir eben mit den Menschen gesprochen, erklärt, warum die Nachbarn Ruhe brauchen. Wenn man redet, kann man helfen und Dinge klären", sagt Maria Verna, die selbst als Migrantin und Tochter spanischer Eltern nach Deutschland gekommen ist. Natürlich hat man auch bei der Ausstattung der Unterkunft geholfen, in der 28 Menschen leben, hat den Herd besorgt und die Heizung instandgesetzt.


Das größte Problem war längere Zeit die Müllsituation vor Ort. Für alle Flüchtlinge stand zunächst nur eine 220 Liter-Tonne zur Verfügung und die Behörden scherte es anfangs wenig, dass dies gerade bei zahlreichen kleinen Kindern nie ausreichen kann. "Wir sind dann der Stadt Gummersbach ziemlich auf die Nerven gegangen, bis endlich ein Container organisiert werden konnte", berichtet Maria Verna. Bei der Dorfgemeinschaft hätte man sich im Übrigen mehr Unterstützung des städtischen Rathauses gewünscht, zumal auch ein Unternehmer, der im Haus weitere Umbaumaßnahmen vornahm, seinen Müll über die Gemeinschaftstonne entsorgte. "Aber wir haben vom Amt mehr als einmal gehört, dass dies nicht deren Zuständigkeit sei. Hilfe sieht anders aus", so die Vertreterinnen der Dorfgemeinschaft.

Nötig sei fachkundige Unterstützung auch bei der psychologischen Betreuung der Menschen, die oft traumatische Erlebnisse hinter sich hätten, doch da hapere es. Die Integration ins Dorf verlief jedenfalls im Handumdrehen, natürlich feierte man zusammen beim Tanz in den Mai und die Flüchtlinge waren Ehrengäste, konnten schlimme Erlebnisse zumindest für einige Stunden vergessen. Als sich Maria Verna vor einigen Monaten nach einem Skiunfall und mit einem eingegipsten Bein kaum bewegen konnte, standen eines Morgens plötzlich die Flüchtlingsfamilien vor ihrer Tür. Sie wollten das Haus für ihre Nachbarin putzen . "Mir haben diese Menschen gezeigt, dass es sich lohnt zu kämpfen und wie gut es uns geht", erklärt Verna energisch. Und die Flüchtlinge? Ängstliche Blicke sind einem Lächeln gewichen. Sie haben nur wenige Wünsche - die Sprache lernen, arbeiten und möglichst eine eigene Wohnung. Und einer sagt: "Herreshagen, we will never forget."
  
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