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Eine Sprachlosigkeit, die sprachlos macht

bv; 25. Sep 2014, 15:38 Uhr
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Eine Sprachlosigkeit, die sprachlos macht

bv; 25. Sep 2014, 15:38 Uhr
Gummersbach - Von einer Debattenkultur kann im Gummersbacher Rat keine Rede sein, weil Debatten schlicht die große Ausnahme sind.
Von Bernd Vorländer

52.056, 44, 40. Nein, das ist kein neues Zahlenspiel, sondern eine Kurzbeschreibung der Gummersbacher Verhältnisse. 52.056 Menschen sind mit erstem Wohnsitz in der Kreisstadt gemeldet, 44 Mitglieder (zuzüglich des Bürgermeisters) umfasst der Rat, der über die Geschicke der Stadt und ihrer Bewohner bestimmt, und in 40 Minuten war die gestrige Ratssitzung vorüber.

Ja, richtig gelesen. In Gummersbach der mit Abstand größten Kommune im Oberbergischen, gibt es offenbar nichts zu diskutieren. 18 Tagesordnungspunkte in der öffentlichen Sitzung, die nahezu alle nach dem Prinzip „Gegenstimmen, Enthaltungen - Dann ist das so beschlossen“ ablaufen. Nachfragen, keine. Alles ist vorbesprochen, in den Ausschüssen verabredet. Ein Antrag der Linken, kurze Begründung und verwiesen in einen Ausschuss. Dabei gäbe es vieles zu besprechen in einer Stadt, die - wie viele andere auch - die Folgen der demographischen Entwicklung in einigen Jahren drastisch vor Augen geführt bekommt, die im kommenden Jahr ein neues Einkaufszentrum eröffnet, aber ungelöste Probleme im Innenstadtbereich hat. Leerstehende Geschäfte sind da ein deutliches Zeichen.


Aber der Rat diskutiert nicht, Gummersbach ist politisch erstarrt, das höchste Gremium nahezu unfähig, sich im Disput eine Meinung zu bilden. Dabei gehört das ernsthafte Ringen um den richtigen Weg und der produktive Streit zu den Wesenszügen einer Demokratie. Doch die Ratsmitglieder sind sediert durch die praktischen Auswirkungen einer Harmonie-Sauce, die sich bleiern auf die Politik dieser Stadt gelegt hat. Auseinandersetzungen sollen die große Ausnahme bleiben, so haben es Stadtspitze und Führungspersonal der Parteien schon vor langer Zeit festgelegt, der Gummersbacher Weg der Eintracht prägend sein. Was sich gut anhört, hat unerwünschte Nebenwirkungen, etwa den der fortwährenden Sprachlosigkeit.

Ein selbstbewusster Rat markiert selbst die Wegmarken, an denen entlang man die nächsten Jahre gehen will. Und die Verwaltung führt diese Beschlüsse aus. Doch in Gummersbach scheint dieses verfassungsgemäße Recht – sofern man hiervon in Zeiten leerer Kassen noch sprechen darf – eher lästig zu sein. Zur fehlenden Debattenkultur kommt ein Weiteres: Es sind fast ausschließlich die Fraktionsvorsitzenden, die sich zu einzelnen Tagesordnungspunkten äußern – wenn überhaupt. Wo ist also das Selbstbewusstsein der gewählten Bürgervertreter, sich einzubringen, ja, eine Debatte zu befeuern?

Man kann dem politisch interessierten Bürger angesichts fehlender Konfliktfreudigkeit der Volksvertreter nur vom Besuch einer Ratssitzung in der Kreis-Metropole abraten. Er wäre völlig desillusioniert. Im wichtigsten Gremium einer Kommune herrscht zumindest in Gummersbach andächtige Stille. Es ist fast schon unheimlich.
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