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„Die Ärzte in NRW werden hochgradig benachteiligt“

Red; 21. Nov 2013, 14:39 Uhr
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„Die Ärzte in NRW werden hochgradig benachteiligt“

Red; 21. Nov 2013, 14:39 Uhr
Lindlar - Nach dem das Landessozialgericht Essen gestern ein wegweisendes Urteil über die Anwendbarkeit von Beratung vor Regress gefällt hat, meldete sich Dr. Jörg Blettenberg in einem offenen Brief zu Wort.
Ungeachtet aller weiter bestehenden Unwägbarkeiten bis zum heutigen Tag und darüber hinaus funktioniert man weiter. Die Versorgung wird nach dem ärztlichen Gewissen weiter gewährleistet. Trotzdem und insgesamt ein belastendes Szenario nicht zu wissen was und wie und in welchem Rahmen es weiter geht.

Wenn da nicht so viele Menschen wären, die einem in jeder Beziehung, moralisch, emotionell und mit vielen Taten zur Seite stehen und gestanden haben. Dies macht es leichter und es erfüllt mich mit so viel Freude zu sehen, wie vielen Patienten aber auch Bürger und Kollegen mein Handeln mein Verhalten als korrekt erscheint. Trotz des Generalvorwurfes der Unwirtschaftlichkeit und den damit verbundenen existenzvernichtenden Regressen, sofern sie dann vollstreckbar würden.

Flash Mob, Unterschriften Aktionen,  Internetpräsenz und Demonstrationen durch das Aktionsbündnis vorgetragen mit viel Enthusiasmus und Engagement. Von der Politik das Bemühen um Gespräche mit Entscheidungsträgern im Gesundheitswesen, die bevorstehen. Letztlich auch die Medien, die erkannt haben, dass ich nur ein Präzedenzfall eines krankenden Systemes bin und die daraufhin nicht locker lassen, zu berichten um diesen Missstand im Gesundheitswesen anzuprangern und deutlich zu machen. Nicht immer nur auf meinen Zuruf, sondern von sich selbst aus immer wieder nachfragend, wie ist der Stand??

Es ist toll!

Doch es kam heute ganz anders als erwartet.

Heute um 12:30 wurde das Verfahren beim LSG NRW in Essen gegen zwei Kollegen eröffnet mit der Fragestellung der Anwendbarkeit des Gesetzes Beratung vor Regress. Konnte man hoffen, da bisher alle Gerichte unter anderem auch das LSG Baden Württemberg positiv für die Ärzte entschieden hatten, dass sich das LSG Essen dem anschließen würde, so wurde man nicht nur herb enttäuscht. Es kam viel schlimmer als man sich das furchtbarste  Szenario hätte vorstellen können. Die Zusammenfassung der Meinung des LSG  habe ich beigefügt. Im Prinzip gibt es danach nicht nur keine Beratung und keinen Schutz durch dieses Gesetz für Altpraxen sondern nur für neu gegründete Arztpraxen. Aber noch schlimmer. Eine Überschreitung der Richtgröße mit allen noch nicht abgezogenen Praxisbesonderheiten über 25% wird schon als Regressfall gewertet und damit entfällt Schutz und Beratungsverpflichtung durch die KV und die Krankenkassen.

Während die Kollegen in allen anderen Bundesländern keine Verfolgung zu befürchten haben, bedeutet es mal wieder eine hochgradige Benachteiligung, wie so oft, für die Ärzte in NRW.  Aber noch schlimmer für die Patienten in Nordrhein. Denn man hat bei besonderen Patienten zwangsläufig eine Überschreitung. Wer wird denn unter solchen Maßgaben dann noch ungefähr kalkulieren, wie viel er an Praxisbesonderheiten abziehen kann! Am Beispiel Haus Tannenberg konnte ich sehen, was es bedeutet von einem Quartal auf das andere in die Verordnungspflicht hereingezogen zu werden.


Hatte ich im II Quartal 2008 eine  Überschreitung von 83% der Heilmittel incl. der Besonderheiten und war damit nach Abzug im Rahmen, so waren es nach Beendigung der Tätigkeit der Neurologen im III. Quartal 214%. Angesichts des Schreibens der KV Nordrhein nach Ausscheiden der Neurologen an die Hausärzte die Versorgung mit Heilmitteln und Medikamenten bis zur Nachbesetzung zu  sichern und Regressfreiheit und Unterstützung durch die KV zugesagt wurde,  wird man spätestens heute gewahr, dass man „verarscht“ wird. Bis heute sind die Neurologenstellen nicht nachbesetzt, was nach 6 Monaten bewerkstelligt werden sollte! Es wird jetzt sehr eng.

Denn es bedeutet im Klartext für meine Praxis, dass das vor dem Sozialgericht gewonnene Urteil im Eilverfahren aufgehoben werden wird mit der Folge, dass Anfang des Jahres weitere Regresszahlungen auf mich zukommen werden. Kommen diese, bedeutet es das finanzielle Aus. Es bleibt dann nur noch die Hoffnung die Zeit bis zum BSG Urteil zu überstehen und evtl. noch die Chance eine einstweilige Anordnung zu erwirken, die eine Aussetzung wegen wirtschaftlicher Gefährdung erwirkt. In der Vergangenheit wurde dies jedoch sehr selten gewährt.

Es sieht finster aus für die versorgenden Ärzte, noch finsterer aber angesichts solch eines Urteiles für die chronisch kranken Patienten. Was bleibt ist ein bisschen Hoffnung aber auch Verzweiflung angesichts eines solchen Schlages in die Gesichter der Ärzte, der Missachtung des Patienteninteresses auch als chronisch Kranker versorgt zu sein. Wie werden sich die Politiker fühlen, die das Gesetz Beratung vor Regress einstimmig auf den Weg gebracht haben angesichts einer solchen Pervertierung? Ich muss das erst mal verdauen und dann überlegen müssen, was ich noch tun kann und was ich nicht mehr machen werden können.


Das Verfahren vom 20.11.2013 bei LSG NRW zusammengefasst:

Bericht über das LSG Urteil:
Gerade eben habe ich von meinem Anwalt den Ausgang des Urteils über die Anwendbarkeit von Beratung vor Regress erhalten. Es ist ein Faustschlag ins Gesicht für die  Politik, es ist das Ende der Chroniker Versorgung und das Ende vieler Praxen. Das LSG NRW in Essen  hat mit seinem Urteil die Anwendung des Gesetzes Beratung vor Regress ausgehebelt und hiermit völlig konträr geurteilt zu allen bisherigen Sozialgerichtsurteilen und dem Landessozialgericht Baden Württemberg. In NRW werden die Ärzte in die Pleite getrieben, in Baden Württemberg haben die Ärzte nicht zu befürchten. Folgende Kernsätze liegen dem Urteil zugrunde: Eine Überschreitung der Richtgröße läge schon dann vor und damit ein Regressfall, wenn die Richtgröße incl. der abzuziehenden  Praxisbesonderheiten mit 25% überschritten würde.

Anmerkung: Ein Regress darf nur dann ausgesprochen werden, wenn die Überschreitung nach Abzug der Praxisbesonderheiten fort besteht. De facto bedeutet dass, dass wenn ein Arzt viele chronische Patienten hat und deshalb die Richtgröße überschreiten muss! er schon keine Chance mehr hat an einem Regress vorbei zu kommen und eine Beratung zu erhalten. De facto bedeutet dass, kein Arzt kann sich die Versorgung eines Altenheimes noch leisten geschweige denn teure Patienten mit besonderen Erkrankungen oder aber Einrichtungen wie Haus Tannenberg oder die Lebenshilfe versorgen…

Das LSG vertritt die Meinung, dass es keine Rückwirkung für Altfälle geben darf, dies widerspräche dem Rückwirkungsverbot und auch der gängigen Rechtsprechung des Bundessozialgerichtes. Insofern wäre das Gesetz unanwendbar. Der Gesetzgeber und Minister Bahr haben hierzu eindeutig erklärt, dass dieses Gesetz nicht rückwirkend gelte, sondern nur für Altfälle dann anwendbar seien, die bis zum 31.12.2011 noch nicht durch den Beschwerdeaussschuß abschließend bewertet worden seien.

Der dritte Kernsatz des LSG lautete wie folgt: Die Anwendung eines solchen Gesetzes würde dazu führen, dass Ärzte erst nach einer erfolgten Beratung wieder in Regress genommen werden könnten, also bei einem Regressfall aus dem Jahre 2009 dann erst wieder 2014. Eine solche Regelung könne nicht sein. Sinn der Beratung sollte sein, die Ärzte in  wirtschaftlicher Verordnung zu schulen aber auch sich ganz genau die Praxis und Patientenstruktur anzuschauen, inwiefern hier doch besondere Therapiebedürftigkeiten bestehen, die man berücksichtigen müsse.

Fazit: Wenn diese Rechtsmeinung sich halten würde ist die Einführung des Gesetzes Beratung vor Regress völlig misslungen, weil de facto aufgehoben. Es bedeutet fürderhin, dass  kein Arzt mehr irgendetwas aufschreiben wird, auch den bedürftigsten Patienten nicht, weil er ja seine Richtgröße erst mal überschreitet und er sich dann damit seines Schutzes auf Beratung vor Regress beraubt.

Ihr Jörg Blettenberg, Lindlar.   



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