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Weniger Kinder, mehr Rentner – Jugend wandert ab

sw; 23. Aug 2010, 11:50 Uhr
Bilder: Maleen Dreschmann --- Uwe Stranz und Kerstin Gipperich standen Oberberg-Aktuell Rede und Antwort.
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Weniger Kinder, mehr Rentner – Jugend wandert ab

sw; 23. Aug 2010, 11:50 Uhr
Oberberg – Im Interview mit Oberberg-Aktuell sprechen Bau- und Planungsdezernent Uwe Stranz sowie die Geschäftsführerin des Demographie-Forums Oberberg, Kerstin Gipperich, über die Bevölkerungsentwicklung in den vergangenen Jahren, zukünftige Demographie-Berichte und den Zukunftspreis 2010.
Von Susan Wolters

OA: Was können Sie uns über die Bevölkerungsentwicklung im Oberbergischen in den vergangenen Jahren sagen?

Stranz: Wir haben in den Nachkriegsjahren allein durch eine natürliche Bevölkerungsentwicklung einen Zuwachs erlebt. Außerdem gibt es auch Räume im Oberbergischen Kreis, die durch Zuwanderung gewachsen sind. Hier sind diverse Bevölkerungsgruppen nach Oberberg gekommen, dabei gab es eine Zuwanderung von außerhalb aber auch durch die Nachbarregionen, wie zum Beispiel Köln. Von daher gab es ein kontinuierliches Wachstum. An vorliegenden Statistiken erkennt man, dass auch gerade im Jahr 1991 - durch den Fall der Mauer – ein großer Schub kam. Im Zeitraum 2003, 2004, 2005 hat der Zuwachs dann seinen natürlichen Höhepunkt gefunden. Mittlerweile betrachten wir das natürliche Wachstum und das Wanderungssaldo getrennt und stellen fest, dass durch die Anzahl der Kinder, die die Familien haben, eine natürliche Reproduktion nicht mehr gegeben ist. Das heißt also, wir werden weniger werden und können unsere Bevölkerungszahl nicht mehr halten. Dazu kommt noch, dass wir in gewissen Bereichen Abwanderungen haben, die wir einfach zur Kenntnis nehmen müssen.

Gipperich: An einer Grafik, die den Wanderungssaldo von 2006 bis 2009 zeigt, erkennt man, dass nur noch in den Kommunen Nümbrecht und Marienheide ein Zuwachs stattfand, die Zuwanderungsrate war also höher als die Abwanderungsrate. Nach Nümbrecht zum Beispiel sind insgesamt - in absoluten Zahlen - 72 Personen mehr hingezogen als abgewandert sind. Bergneustadt hingegen bildet in der Grafik das Schlusslicht, dort ist ein relativer Saldo von minus 35,9 Prozent auf 1.000 Einwohnern zu verzeichnen.


OA: Sind die Gründe für diese hohen Abwanderungszahlen bekannt?

Gipperich: Wir werden im diesjährigen Demographie-Bericht, der im Dezember erscheint, der Sache etwas genauer auf den Grund gehen. Die Frage „Wer sind diese Personen, die in den vergangenen vier Jahren abgewandert sind?“ soll geklärt werden. Sind das Familien, ältere Leute oder Jugendliche, die vielleicht nur zum Studieren wegziehen. Und so wird man letztlich auch die Gründe erschließen können.

Stranz: Ein wenig können wir die Gründe natürlich schon eingrenzen. Hier herrscht zum Beispiel eine ganz klare Bildungswanderung. Wir haben zwar dankenswerterweise die Fachhochschule in Gummersbach, aber es zieht auch immer mehr Jugendliche in Bildungseinrichtungen außerhalb der hiesigen Fachhochschule. Es interessiert natürlich viele junge Leute, in die Großstadt zu gehen.

OA: Und das wahrscheinlich gerade, wenn man auf dem Land aufgewachsen ist. Was unternehmen Sie gegen diese Bildungswanderung?

Stranz: Ein Teil unserer Bemühungen im Demographie-Forum ist aufzuzeigen, dass wir im Oberbergischen attraktive Firmen und Arbeitsplätze haben und dass es sich lohnt, zurückzukommen. Und das ist etwas, das die Wirtschaftsförderung ständig versucht deutlicher zu machen, zum Beispiel durch solche Angebote wie Studienfonds. Auch die oberbergische Wirtschaft hat etwas zu bieten. Bei einer Befragung von 3.000 Schülern vor zwei Jahren war festzustellen – und das hat uns sehr gefreut -, dass die junge Generation gerne in Oberberg lebt, im Bildungsbereich etwas ausprobiert dann aber auch gerne wieder zurückkehren möchte. Nur - das muss natürlich passen. Der Bildungskern, den man wählt, muss passend zu den Arbeitsplätzen sein. Unser Ziel ist es, die Bildungskompetenzen der jungen Menschen mit unseren „Kernstärken“ - also Elektrotechnik, Maschinenbau oder auch der gewerblich-technische Bereich – zu verbinden. Wir wollen auf die Möglichkeiten im Oberbergischen stärker verweisen.

OA: Also gehen sie davon aus, dass in den nächsten Jahren wieder mehr Jugendliche, die zum Studieren weggezogen sind, ihren Weg in die Heimat finden werden?

Stranz: Das wäre unser Wunsch. Denn wenn Demographie mal allgemein betrachtet wird, geht man von einem Fachkräftemangel aus, das heißt, die Chancen werden hier in Oberberg immer größer.

OA: Wie werden zukünftige Demographie-Berichte ihrer Meinung nach aussehen?

Stranz: Weniger Kinder, weniger Schüler, weniger in der Sekundarstufe eins, mehr Rentner und vor allem ein starkes Wachstum der über 80-Jährigen. Der Umbau in der Altersschichtung der Bevölkerung ist gravierend und wird deutlich zu spüren sein.



OA: Inwiefern sollten sich die Gemeinden auf eine altersstarke Bevölkerung vorbereiten?

Stranz: Die Gesellschaft muss sich auf jeden Fall darauf einstellen. Das ist das Wichtigste dabei. Man sollte keine Angst davor haben, es trifft jeden Staat, jede Region. In Wilkenroth (Waldbröl) zum Beispiel beschäftigt sich die Dorfgemeinschaft mit den Fragen „Wie versorgt man auch Ältere dezentral? Wie sind Fahr- und Apothekendienste sowie Einkäufe und Arztbesuche zu organisieren?“. Wir weisen außerdem darauf hin, dass eine Unterbringung in bestimmten Einrichtungen für alle einfach nicht finanzierbar ist. Daher muss das Zwischenmenschliche gefördert werden, wie es in Wilkenroth der Fall ist.

OA: Ist diese demographische Entwicklung positiv oder negativ zu betrachten?

Stranz: Das ist einfach ein gesellschaftlicher Umstand, der so erstmal Fakt ist. Er hat zwar Auswirkungen, die aber keine Angst machen sollten. Die Gesellschaft hat sich immer umstrukturiert. Aber wir sagen, man soll sich frühzeitig damit beschäftigen, sich darauf einstellen.

OA: Sie bieten einen Wettbewerb für den „Zukunftspreis Demographie 2010“ an, worum geht es dabei? Was ist das Ziel?

Stranz: Vor zwei Jahren hat der Wettbewerb zum erstem Mal stattgefunden. Wir haben uns dabei gefragt, was sind die Ideen, die sich Leute zu diesem Thema einfallen lassen? Wir hatten Bewerbungen von einer Mehrgenerationenschule bis hin zu Einzelinitiativen.

Gipperich: Das waren ganz konkrete Ideen, die auch zum Teil schon umgesetzt worden sind. Die Realschule in Gummersbach hat sich zum Beispiel überlegt, eine Mehrgenerationenschule zu werden. Dort werden jetzt gemeinsame Kochkurse, Spielnachmittage oder Computerkurse mit den Schülern und Senioren aus der Nachbarschaft angeboten.

OA: Wie groß ist die Beteiligung am Zukunftspreis in diesem Jahr?

Gipperich: Der Wettbewerb läuft noch zwei Wochen, wir hoffen, dass noch einige Ideen den Weg zu uns finden werden. Erfahrungsgemäß werden die meisten Vorschläge erst kurz vor Anmeldeschluss abgegeben. Wir haben es in diesem Jahr vielleicht auch etwas erschwert, da wir Kooperationen zwischen – teilweise auch konkurrierenden – Vereinen erwarten.



OA: Werden die „Gewinner-Ideen“ auch in Zukunft weiter Beachtung finden in den Gemeinden?

Gipperich: Es ist schon so, dass wir bei verschiedenen Preisträgern des ersten Zukunftspreises eine deutliche Entwicklung feststellen und auch beobachten können, dass die Ideen akzeptiert werden. Sicherlich nicht bei allen, aber...

Stranz: …wir brauchen auch einfach die Ideen. Die ältere und jüngere Generation ist immer mehr aufeinander angewiesen und muss Wege finden, sowohl gemeinsam als auch nebeneinander leben zu können.
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