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Die neuen Regeln in der Kritik

pn; 28. Oct 2016, 10:30 Uhr
Bilder: Archiv ---- Die neuen Handballregeln stoßen bei den oberbergischen Handballtrainern nur bedingt auf Gegenliebe.
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Die neuen Regeln in der Kritik

pn; 28. Oct 2016, 10:30 Uhr
Oberberg – Deutschlandweit werden die neuen Handballregeln kritisiert – Oberberg-Aktuell fragt die hiesigen Trainer nach ihrer Meinung.
Von Peter Notbohm


Die ersten Spieltage sind vorüber. Die neuen Handballregeln sind bei Spielern, Schiedsrichtern, Experten und Zuschauern in aller Munde. Doch eher selten in einem positiven Zusammenhang. Vor allem der Einsatz des siebten Feldspielers, der seit dieser Saison kein Leibchen mehr tragen muss, um für den Torhüter eingewechselt zu werden, stößt landesweit auf massive Kritik. Besonders die vielen Toren ins leere Gehäuse stoßen auf wenig Gegenliebe. So auch beim früheren Gummersbacher Spieler und heutige Fernsehexperten Stefan Kretzschmar. Dieser schimpfte zuletzt bei einer Bundesligapartie, dass dies mit spektakulärem Handball nur noch wenig zu tun habe: „Das sieht total blöd aus.“ Auch Kiels Trainer Alfed Gislasson gilt nicht als Freund der neuen Regeln. „Sie wurden in der isländischen Liga getestet – alles andere als erfolgreich“, sagte er bereits im Sommer gegenüber dem Radiosender NDR2.


[„Man sollte den Handball nicht andauernd mit neuen Regeln überfrachten“, meint Dirk Heppe.]


Doch wie sehen die oberbergischen Trainer die neuen Regeln? Bereiten auch ihnen die Neureglung des Passiven Spiels, die verschärften Bestimmungen in den letzten 30 Sekunden und die vielen 'Empty-Net-Tore' durch den siebten Feldspieler Bauchschmerzen? Oberberg-Aktuell hat nachgefragt und ein geteiltes Bild erhalten. Am deutlichsten formulieren es Strombachs Damen-Trainer Robin Teppich und Oberbantenbergs Herren-Coach Dirk Heppe. „Den siebten Feldspieler empfinde ich als furchtbare Neuerung“, war der Übungsleiter des Landesligaspitzenreiters vergangene Woche beim Kieler Sieg in der Kölnarena zugegen, als der Bergischer HC mehrfach Gegentore auf diese Weise kassierte. „Der Sinn von Handball ist Sechs gegen Sechs und nicht dauernd auf ein leeres Tor werfen zu können“, kann er dieser taktischen Variante nur wenig abgewinnen, zumal diese auch offensiv deckende Teams benachteilige.





[„Der siebte Feldspieler verwässert das Spiel. Für den regelunkundigen Zuschauer wird es immer komplizierter und es wurde leider wieder einmal an den falschen Stellschrauben gedreht“, ist auch TuS-Trainer Ralph Weinheimer kein Fan der neuen Regeln. Eine Änderung, dem Torhüter zu verbieten seinen Torraum zu verlassen hätte er für sinnvoller empfunden.]


Eine Kritik, der sich auch Teppich durchaus anschließt. „Randsportarten und dazu gehört außer Fußball in Deutschland leider alles, sollten ihr Regelwerk möglichst einfach halten, um für den sportfremden Zuschauer möglichst schnell verständlich zu sein. Der Fußball lebt doch gerade von seiner Einfachheit, während die neuen Handballregeln das Spiel nur zusätzlich verkompliziert haben“, urteilt der ehemalige Bundesligalinksaußen. Aber auch Maik Thiele, Coach der Strombacher Oberliga-Herren, hält, wie viele seiner Kollegen, gerade den siebten Feldspieler für „Quatsch“. Sie plädieren weitestgehend für eine Rückkehr zum Leibchen-Zwang.


[Oberbantenbergs Damen-Trainer Eduard Debnar glaubt, dass es noch zu früh ist, das neue Regelwerk endgültig zu bewerten: „Es gibt Licht und Schatten. Man muss den Spielern aber auch noch ein wenig Zeit geben, sie zu verinnerlichen. Die schnelle Mitte hat sich damals auch erst nach und nach einem taktischen Mittel entwickelt.“]


Für viele ist die Neureglung zwar eine interessante taktische Möglichkeit, doch gerade im Amateurbereich seien die Spieler nicht gut genug ausgebildet, um daraus auch einen echten Nutzen zu ziehen. Einzig CVJM-Reservetrainer Nils Hühn zeigt sich als Freund des siebten Feldspielers. „Mich wundert, dass gerade bei Unterzahlsituationen so wenige Mannschaften auf dieses Mittel setzen, um wieder eine Gleichzahl herzustellen“, hat er sehr gute Erfahrungen mit diesem Taktikkniff gemacht. Dabei wird gerade diese Variante unter anderem von VfL-Chefcoach Emir Kurtagic kritisiert. „Natürlich wende ich diese Möglichkeit auch selbst an, aber ich bin mit dieser Änderung keineswegs zufrieden, denn man kann Unterzahlsituation damit auffangen“, sieht er Zeitstrafen damit nicht mehr genügend gewürdigt.


[Maik Thiele glaubt nicht, dass sich der siebte Feldspieler auf Dauer durchsetzen wird. Die klare Fixierung des passiven Spiels auf sechs Pässe findet er dagegen gut: „Jetzt gibt es wenigstens eine klare Regel, wann abzupfeifen ist.“]


Die nur in den Ligen des DHB gültige Regel, dass ein Spieler bei einer Behandlung auf dem Feld, ohne das ein Verursacher hierfür progressiv bestraft wird, drei Angriffe aussetzen muss, hat für ihn zwar einen positiven Aspekt gehabt: „Die Physiotherapeuten sind kaum noch auf dem Feld und das Spiel ist noch schneller.“ Den Sinn der Neureglung hinterfragt Kurtagic trotzdem: „Der Handball hatte vorher kein Schauspielerproblem, als dass man hier zwingend etwas hätte ändern müssen.“ Ins selbe Horn stößt auch Maik Thiele: „Im Handball sind Schwalben nicht so akut wie beim Fußball. Dass man nun für Verletzungen bestraft werden kann, halte ich für ungerecht.“ Keine echte Neuerung ist hingegen die blaue Karte. „Auch wenn sie von vielen fälschlicherweise als etwas Besonderes wahrgenommen wird“, sagt Hühn. Schließlich diene sie nur als Visualisierung der roten Karte mit Bericht.


[Robin Teppich und viele seiner Kollegen halten die Neureglung des passiven Spiels für keine sinnvolle Änderung: „Das ist nicht durchdacht. Eine Shot-Clock wäre sinnvoller gewesen und für den Zuschauer auch einfacher verständlich.“]


Kritik wird indes aber auch an der Präzisierung des passiven Spiels laut. „Auch diese Regel ist nicht durchdacht“, meint Robin Teppich. Das Fordern des passiven Vorwarnzeichens habe dadurch keineswegs abgenommen. Dem pflichtet auch Kurtagic bei: „Wann die Schiedsrichter den Arm heben, liegt weiter völlig in ihrem Ermessen. Zumal sechs Pässe auch sehr viel Zeit von der Uhr nehmen können.“ Ähnlich sieht dies Nümbrechts Trainer Mario Jatzke, der zudem die Auffassung vertritt, dass man es den Schiedsrichtern hier schwerer gemacht habe: „Beim Zählen der Passstationen wird es immer Berührungspunkte geben, wo man sich Mannschaften und Schiedsrichter uneinig sind.“ Überhaupt habe sich die neue Regel noch nicht in den Köpfen der Spieler festgesetzt, wie fast alle Trainer unisono betonen. „Die Spieler schließen immer noch viel zu schnell ab und nutzen die sechs Pässe kaum“, erklärt Eduard Debnar exemplarisch für fast alle Amateurtrainer.


[Mario Jatzke meint, dass die Diskussionen um die neuen Regeln zu heiß gekocht werden: „Eine echte Neuerung ist nur der Strafwurf in den letzten 30 Sekunden.“]


Echtes Lob gibt es dagegen für Nachjustierung bei der Reglung der Fouls in der letzten Minute. Zwar hatten die meisten Trainer in der noch jungen Saison noch keine Berührungspunkte mit dieser Regel, finden sie in der Theorie aber gut. Dass es künftig bei entsprechenden Situationen einen Strafwurf in den letzten 30 Sekunden gibt, anstatt den Spieler nur mittels einer roten Karte mit Bericht zu bestrafen, fördere die Gerechtigkeit auf dem Feld. „Es macht nun keinen Sinn mehr, einen Spieler zu opfern, um die schnelle Mitte des Gegners zu unterbinden“, erklärt Ralph Weinheimer. Einzig Kurtagic will sich damit nur bedingt anfreunden. „Für mich ist das eine Frage, warum plötzlich etwas geahndet wird, was 59 Minuten lang anders gehandhabt wird. Das ist keine Regel, die das Spiel verbessert oder es dem Zuschauer erleichtert“, ist er allgemein kein Fan der Neuerungen: „Man hat den Schiedsrichtern das Leben damit nicht erleichtert.“


Doch unabhängig davon, wie die oberbergischen Handballer und Trainer zu den neuen Regeln stehen, in den nächsten beiden Jahren werden sie zum Tagewerk eines jeden Aktiven gehören. Der internationale Handballverband kündigte an, über zwei Jahre Erfahrungen und Meinungen von Spielern, Schiedsrichtern, Trainern und Offiziellen zu sammeln und diese dann auszuwerten. Erst dann soll entschieden werden, ob es zum 1. Juli 2018 zu erneuten Änderungen kommen wird. Viel Zeit also, um weiter über die Neuerungen zu diskutieren, im positiven wie im negativen Sinne.
  
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