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Der Schnee fällt auf Moskau und deckt alles zu

cn; 20. Mar 2007, 00:00 Uhr
Oberberg Aktuell
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Der Schnee fällt auf Moskau und deckt alles zu

cn; 20. Mar 2007, 00:00 Uhr
(cn/5.3.2007-11:00) Von Christian Neeb
Waldbröl - Am Samstagabend feierte das Drama „Tschaikowsky Verhör vor der Ochrana – Tschaikowsky betreffend“ von Karlheinz Komm Premiere im WKTheater.
[Bilder: Christian Neeb - Das Schicksal ist besiegelt: Oberst Podtjagin fordert Tschaikowsky zum Selbstmord auf]

Das Stück, das geschickt Fakt und Fiktion verbindet, zieht eine Verbindung zwischen Tschaikowskys Cholera-Tod und dem russischen Geheimdienst, der Ochrana. Die junge Krankenschwester Katja Pawlowna soll in einem Gespräch mit den Geheimdienstoffizieren Oberst Podtjagin, Hauptmann Worotow und Leutnant Kolpakow alles über die letzten Stunden des berühmten Komponisten preisgeben. In Moskau mehren sich die Gerüchte über eine angebliche homosexuelle Neigung des Künstlers. Der Geheimdienst will um jeden Preis verhindern, dass diese Gerüchte bestätigt werden.



[Der Komponist klagt seinem Neffen Bob sein Leid]

Vor diesem Hintergrund findet das Verhör der Krankenschwester in Tschaikowskys altem Appartement statt. Um der jungen Frau die Ereignisse, die schon zwei Jahre zurück liegen, ins Gedächtnis zu rufen haben die Geheimdienstoffiziere den Raum exakt wie damals hergerichtet. Außerdem hat man Worotow, der Tschaikowsky täuschend ähnlich sieht, in dessen Bett drapiert. Im Laufe des Verhörs werden immer neue Szenen aus Tschaikowskys Leben deutlich und setzen sich nach und nach wie ein Puzzle zusammen. Mit Tee, Gebäck und netten Worten soll die Schwester zum Reden gebracht werden. Der Zuschauer wird mit immer neuen Rückblenden langsam auf die Spur des Geheimnisses gebracht. Darin erwacht der Komponist plötzlich von den Toten und Episoden aus seinem Leben ergänzen das in den Hintergrund getretene Verhör mit anderer Beleuchtung.



[Verhängnisvolle Affäre: Tschaikowsky und der Neffe seiner Gönnerin]

Er gesteht seinem Neffen Bob, der an seinem Sterbebett sitzt, die Lüge auf die sein Lebenswerk errichtet war. „Ich konnte Frauen nicht lieben“, meint er dann voller Schmerz. In weiteren Rückblenden werden die gescheiterte Ehe mit Antonina und die schmerzhafte Trennung ebenso gezeigt, wie der Bruch mit der langjährigen Brieffreundin und Förderin Nadeshda von Meck. Dieser Bruch sollte Tschaikowskys Tod bedeuten. Er beginnt in Paris eine Affäre mit dem Neffen Nadeschdas, Wolitschka und kompromittiert sich so unwissend vor ihr. Ihr Neffe, der in Wahrheit eine tiefe Abneigung gegen den Komponisten hegt, zeigt ihn bei der Ochrana wegen Verführung und unsittlichem Verhalten an.

[Der Künstler dem Tode nah, Katja Pawlowna wird ihre Fürsorge zum Verhängnis]

Nun beginnen die Erinnerungen an Tschaikowskys Todesnacht gefährlich für die Krankenschwester zu werden. Denn der Komponist erzählt seinem Neffen und der Pflegerin auf dem Krankenbett von einem grauen Boten, der ihm seinen Tod angekündigt habe. Der Bote ist kein geringerer als Oberst Podtjagin, der den Künstler wegen der Affäre zu Wolitschka aufsucht. Er drängt ihn, sich selbst das Leben zu nehmen, um sich selbst und „Mütterchen Russland“ nicht weiter zu kompromittieren. Der Druck der auf dem Komponisten lastet bricht sich erst auf dem Sterbebett Bahn und entlarvt die russische Legende Tschaikowsky als nahezu perfekt inszenierte Lebenslüge. Nachdem das Verhör beendet ist, plädiert die couragierte Katja für einen offenen Umgang mit Tschaikowskys Sexualität und unterschreibt damit ihr Todesurteil. Nachdem sie den Raum verlassen hat, ist ihr und Bobs Tod beschlossene Sache.



[Kaltherziges Trio: Die Ochrana besiegelt den Tod der Krankenschwester und des Tschaikowsky-Neffen mit Vodka]

Regisseur Thorsten Kuchinke hatte sich und seinen Darstellern eine anspruchsvolle Aufgabe gestellt. Mit der kleinen Darstellerriege von vier Leuten, rund elf Charaktere auf die Bühne zu holen und wilde Raum-Zeitwechsel zu vollführen, ohne den Zuschauer zu verwirren, scheint nahezu undenkbar. Aber es gelingt. Die gut aufgelegten Darsteller schaffen es, gemeinsam mit der minutiösen Inszenierung und der gelungenen Beleuchtung klar strukturiert die „Gegenwart“ von den Rückblenden abzugrenzen. Mit geschickten Stilgriffen werden Ereignisse von zwei Seiten dargestellt, wie bei dem Schreiben und Lesen der Briefe von Tschaikowsky und Nadeshda. Ebenso gelungen sind die Rückblenden, die durch die Beleuchtung klar vom Hintergrund des Verhörs abgetrennt werden. Besonders das Duell zwischen dem sanftmütigen und zerbrechlichen Komponisten, gespielt von Ralf Tenbrake und dem kaltherzigen und berechnenden Oberst Podtjagin, gespielt von Kaspar Zekorn fesseln den Zuschauer und lassen ein beklemmendes Mitgefühl für den Künstler entstehen, der keine Chance hat den Mühlen des Staatsapperats zu entgehen. Aber auch Mariella Tüttemanns Leistung, als couragierte Pflegerin Katja Pawowna und die Wandlungsfähigkeit von Dominik Greb in gleich vier Rollen, die unterschiedlicher nicht sein könnte, haben es in sich. Da die Darsteller keine historischen Kostüme tragen und auch die Kulisse ohne Hinweise auf Tschaikowskys Zeit auskommt, wird das Geschehen aus dem zeitlichen Kontext herausgelöst und die immer noch aktuelle Thematik um Homosexualität und ihre gesellschaftliche Ächtung universell anwendbar.

Insgesamt ergibt sich aus tollem Skript, gelungener Inszenierung und guten Darstellern eine spannende „Was wäre wenn-Geschichte“ die absolut zu fesseln weiß und eine mutige Botschaft transportiert.





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