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Oberberg FAIRsorgt: Projekt droht zu scheitern

lw; 30.09.2021, 15:32 Uhr
Symbolfoto: mohamed Hassan auf Pixabay
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Oberberg FAIRsorgt: Projekt droht zu scheitern

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lw; 30.09.2021, 15:32 Uhr
Oberberg – Hausärzte scheuen während Pandemie-Belastungen den Aufwand – Erst zehn Patientenverträge abgeschlossen – Noch rund 270 weitere in vier Wochen notwendig.

Von Lars Weber

 

Die Beteiligten aus dem medizinischen und pflegerischen Bereich mit modernsten Mitteln zu vernetzen, um es pflegebedürftigen Menschen möglichst lange zu ermöglichen, zu Hause zu leben. Das ist in wenigen Worten das Ziel von Oberberg FAIRsorgt, das über viele Jahre hinweg vorbereitet wurde und bereits über viele Bürokratiehürden gesprungen ist. 2018 wurde ein Förderantrag beim Innovationsfonds des Bundes eingereicht, der Anfang 2019 positiv beantwortet wurde. Das Fördervolumen beträgt 11,2 Millionen Euro. Im April begann die Rekrutierungsphase bei Patienten und Hausärzten (OA berichtete). Dreimal 283 Patienten werden für eine aussagekräftige Evaluation benötigt. Doch da liegt das Problem. Da bislang kaum Hausarztpraxen mitmachten, fehlen auch die Patienten – und jetzt wird die Zeit knapp, wie Gesundheitsdezernent Ralf Schmallenbach und Projektleiterin Dr. Jessica Möltgen gestern beim Gesundheitsausschuss ausführten. Das Projekt droht zu scheitern, bevor es richtig begonnen hat.

 

Um die Chance für Oberberg FAIRsorgt am Leben zu halten, ist gestern vom Ausschuss einem Antrag auf Verlängerung der Projektlaufzeit beim Förderer einstimmig grünes Licht gegeben worden. Das bedeutet jetzt, dass bis zum letzten Quartal dieses Jahres 283 Personen für das Projekt eingeschrieben sein müssen, deren Versorgung am 1. Januar 2022 starten soll. Bisher seien aber seit März lediglich zehn Patientenverträge unterschrieben worden. Und es bleiben nur knapp vier Wochen, bis das letzte Quartal beginnt. „Interessierte Patienten, die bei uns nachfragen, gibt es genug“, sagte Dr. Möltgen gestern dem Ausschuss.

 

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Die große Schwierigkeit sei, die Hausärzte mit ins Boot zu holen, die nach mehr als eineinhalb Jahren Pandemie keine Kraft mehr für ein neues, zunächst zeitintensives Projekt zu haben scheinen. Von 160 Praxen seien momentan etwa zehn Prozent interessiert. Das höre sich zwar wenig an, allerdings könnten laut Dr. Möltgen auch schon rund 20 teilnehmende Praxen reichen, um die notwendige Zahl an Patienten zu erreichen.

 

„Die Ärzte hatten in den vergangenen Monaten viel zu leisten“, sagte Dr. Johannes Martin von der Kassenärztlichen Vereinigung (KV) Nordrhein, die dem Kreis bei dem Projekt zur Seite steht. „Wir sind überzeugt davon und werben bei unseren Mitgliedern dafür.“ Dr. Ralph Krolewski, Ausschussmitglied für die Grünen und Vorsitzender des Hausärzteverbands Oberberg, sensibilisierte für die schwierige Situation seiner Kollegen. Der Ärztemangel in der Region sei kein neues Thema, sie versorgten bis zu 50 Prozent mehr Patienten als im Landesdurchschnitt. Die Arbeit der Ärzte, sich erst in das Thema einzuarbeiten und dann in langen Gesprächen den Patienten zu überzeugen, sei neben der Bewältigung einer Pandemie mehr als herausfordernd. Trotzdem: „Es ist die Stunde der Akteure, das jetzt anzuschieben“, so Dr. Krolewski.

 

Dr. Möltken betonte, dass der anfängliche Aufwand in der Tat hoch sei, später aber zu Zeitersparnissen im Praxisalltag führe, da die Fallmanager viele Fragen und Aufgaben rund um die Versorgung übernehmen. Zudem gibt es für die Praxen eine extrabudgetäre Vergütung.

 

Das steckt hinter dem Projekt
 

Neben dem Oberbergischen Kreis sind das Klinikum Oberberg, die AOK Rheinland-Hamburg, die Uni Köln und das Projektmanagement HRCB dabei. Hinzu kommen Ärzte, Geriatrien, ambulante Pflegedienste, Ergo- oder Physiotherapeuten oder auch Apotheken, die mitmachen können und sich miteinander vernetzen, um dem demografischen Wandel, dem Ärzte- und Fachkräftemangel in ländlichen Regionen und der teils defizitären Versorgung einen neuen Weg der Patientenversorgung entgegenzuhalten.

 

Rund 850 akut oder latent pflegebedürftige Patienten können bei Oberberg FAIRsorgt mitmachen, die in drei Phasen versetzt ins Projekt starten. Jedem Patienten wird ein Fallmanager zur Seite gestellt, der als direkter Ansprechpartner fungiert. Zwischen zwölf und 15 Monaten läuft die Betreuung, alles wird genau dokumentiert und anschließend in der Evaluationsphase bewertet.

 

Weitere Informationen gibt es auch hier.

 

Zweifel an der Sinnhaftigkeit von Oberberg FAIRsorgt gibt es bei Gesundheitsdezernent Ralf Schmallenbach nicht. Vor allem, nachdem die Fallmanager, die bereits mit den ersten Patienten arbeiten, von ihrem Alltag berichteten, was sie auch im Ausschuss taten. Die Menschen seien oft unterversorgt gewesen, als sie den ersten Kontakt hatten, so Fallmanagerin Maria Petker. „Sie waren erschöpft und zu antriebslos, um sich Hilfe zu holen, hatten den Überblick über ihre Medikamente verloren.“ Sie seien dazu da, um zu helfen. Sie hätten den kurzen Draht zur Pflegeberatung, um Pflegegrade zu beantragen. Und über eine eigene digitale Plattform, in der alle notwendigen Informationen von Krankengeschichte über Diagnosen bis zu den eigenommenen Medikamenten gespeichert sind, kann ein passgenauer Versorgungsplan erstellt werden. „Ich möchte beweisen, dass das die nächste Stufe einer intelligenten Patientenversorgung ist“, so Schmallenbach weiter.

 

Doch ob Oberberg FAIRsorgt diesen Beweis antreten darf, scheint aufgrund des zeitlichen Drucks unklarer denn je. "Sollten wir die volle Patientenzahl Ende Oktober nicht erreicht haben, werden wir voraussichtlich im November und Dezember noch einmal den Stand durchgeben und unsere Bemühungen zur Rekrutierung darlegen müssen", heißt es auf Nachfrage aus dem Kreishaus. "Sollte sich die Patientenzahl zu diesem Zeitpunkt immer noch als deutlich zu niedrig erweisen, werden wir mit dem Förderer ins Gespräch gehen müssen, um den weiteren Ablauf zu erörtern." Dann gebe es zwei Möglichkeiten: Entweder der Förderer sieht das Potenzial einer Projektumsetzung in angepasster Art - oder das Projekt scheitert. Immerhin: Keine der Varianten sieht eine finanzielle Belastung des Kreises vor.

 

„Corona hat uns das Modell verhagelt“, sagte Ina Albowitz (FDP). „Die Pandemie ist noch nicht vorbei, die Ärzte stehen weiter mächtig unter Druck.“ Aber sie erinnerte an all die Arbeit, die auch der Gesundheitsausschuss in das Projekt über Jahre hinweg gesteckt habe. „Die Arbeit soll nicht umsonst gewesen sein.“ Aufgeben ist also keine Option. Deshalb wollen Dr. Möltgen und ihr Team, Dr. Krolewski und auch die KV noch einmal alles versuchen die nächsten Wochen. Die Zeit wird aber mit jedem Tag knapper und knapper.

 

Mitmachen

 

Die nächste Informationsveranstaltungen für Hausarztpraxen findet über Zoom am 6. Oktober um 19 Uhr statt. Die Anmeldung erfolgt unter jessica.moeltgen@obk.de. Wer als Patient teilnehmen möchte, bei der AOK Rheinland/Hamburg versichert, über 65 Jahre, chronisch krank und/oder pflegebedürftig ist, meldet sich beim Team der Fallmanager unter Tel.: 02291/9 07 18 97 oder per E-Mail an fairsorgt@obk.de.

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