LOKALMIX

Schatten der Vergangenheit wieder sichtbar machen

lw; 25.11.2020, 15:23 Uhr
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Fotos/Screenshot: Lars Weber --- Gerhard Jenders, Vorsitzender bei "Unser Oberberg ist bunt, nicht braun", hat die interaktive Karte im Netz angelegt.
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Schatten der Vergangenheit wieder sichtbar machen

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lw; 25.11.2020, 15:23 Uhr
Oberberg – Der Verein „Unser Oberberg ist bunt, nicht braun“ stellt auf einer interaktiven Karte die Zwangsarbeitslager in der Region während des Zweiten Weltkriegs dar – Mithilfe bei dem Projekt ist möglich.

Von Lars Weber

 

Gerhard Jenders erkundet in seinem Arbeitszimmer am Laptop einmal mehr das Onlineangebot des Arolsen-Archivs. Es ist das umfangreichste Archiv über NS-Verfolgte, viele Millionen offizielle Dokumente sind dort verfügbar. In diesem Fall sucht der Vorsitzende des Vereins „Unser Oberberg ist bunt, nicht braun“ vor allem nach Namen. Namen von Kriegsgefangenen und Zwangsarbeitern, die im Oberbergischen während des Zweiten Weltkriegs für die dortigen Firmen schufften mussten. Viele ließen ihr Leben und sind auf den Friedhöfen der Region bestattet, teils erinnern Gedenksteine an sie. Nun wird die Erinnerungskultur ergänzt: Der Verein hat eine interaktive Karte gestaltet, auf der mehr als 150 Zwangsarbeitslager dieser Zeit vermerkt sind. Hinzu kommen die Gedenkorte. Das Projekt ist noch nicht abgeschlossen – und Jenders freut sich über jeden weiteren Hinweis.   

 

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Die Idee zu dem Projekt kam dem Verein, nachdem eine Gedenkfahrt des VVN (Vereinigung der Verfolgten des Naziregimes) aufgrund der Pandemie abgesagt werden musste. Bereits 2018 hatte „Oberberg ist bunt“ bei solch einer Fahrt eine Station in Lindlar betreut. Diese Erinnerungsarbeit wollte Jenders fortführen. Das Ziel: Die Zwangsarbeitslager im Oberbergischen auf einer interaktiven Karte festhalten. „Wir wollen zeigen: Das gab es hier. Und es war nicht zu übersehen!“ Tatsächlich ist die Karte bereits jetzt sehr eindrücklich und zeigt das Ausmaß anschaulich. Jeder Ort ist dabei mit der zugehörigen Quelle im Archiv verknüpft, sodass Interessierte leicht auf Spurensuche gehen können.

 

[Die Übersicht zeigt die Standorte der damaligen Lager der Zwangsarbeiter (Zw), der Kriegsgefangenen (Kr) und der heutigen Gedenkstätten (Gd).]

 

Es gab kaum eine Firma während des Zweiten Weltkriegs, die es sich leisten konnte, auf Zwangsarbeiter zu verzichten. Die deutschen Männer wurden an der Front benötigt, also klafften in den Fabriken und Firmen große Lücken. „Die Rüstungsindustrie musste am Laufen gehalten und der Wohlstand aufrechterhalten werden.“ Egal ob bei der Kreisverwaltung oder bei Steinmüller, überall wurden Zwangsarbeiter oder Kriegsgefangene eingesetzt. Die Bedingungen für die Menschen waren sehr unterschiedlich, aber gerade mit Menschen aus dem Osten wurde nicht zimperlich umgegangen. Rund 16.000 Zwangsarbeiter gab es während des Kriegs in Oberberg, viele von ihnen waren Frauen und Kinder.

 

[Solche Dokumente sind im Arolsen-Archiv zu finden. Namen von Zwangsarbeitern, von Firmen oder auch Friedhofspläne sind verfügbar.]

 

Spuren der Lager – häufig Baracken - sind so gut wie keine mehr zu finden, sagt Jenders. Auf der interaktiven Karte ist so genau wie möglich verzeichnet, wo sie sich einst befanden. „In den Dokumenten im Archiv ist aber nicht immer eine genaue Adresse vermerkt.“ Bei rund der Hälfte der Lager sei der genaue Standort noch unklar. Darum erhofft sich der Verein Hilfe von Zeitzeugen oder auch Heimatforschern. Außerdem arbeitet Jenders mit Historikern aus der Region zusammen, die mit ihren Forschungen und Veröffentlichungen entscheidend zum Wissen über Zwangsarbeit im Oberbergischen beigetragen haben. Dazu gehören unter anderem Gerhard Pomykaj oder auch Dr. Frank Gelhausen, der speziell in Ründeroth zu dem Thema forscht.

 

Die Darstellung der Zwangslager ist aber nur ein Teil des Projekts. Der andere Teil wirft den Blick auf die Gedenkorte, gerade auf die Friedhöfe, und die Menschen, die dort begraben sind. Vor Ort sind meist nur Namen aufgelistet, häufig auch in kyrillischer Schrift. Der Verein möchte die Biografien dieser Menschen zusammentragen, wie das zum Beispiel für Personen geschehen ist, die in Marienheide beerdigt wurden. Auch dabei kann das Online-Archiv helfen. Ein weiterer Anknüpfungspunkt seien laut Jenders Dokumente, die nach der Jahrtausendwende an die Stiftung „Erinnerung, Verantwortung und Zukunft“ gingen, als Entschädigungszahlungen möglich wurden. In diesen Dokumenten schildern Überlebende teils sehr detailliert, wo sie unter welchen Bedingungen untergebracht waren. Nur sei es schwer herauszufinden, in welche Archive diese Dokumente gewandert sind.

 

[Foto: Unser Oberberg ist bunt, nicht braun --- Der Gedenkstein auf dem Friedhof in Waldbröl.]

 

Die Recherchearbeit ging Jenders sehr nahe. Denn hinter den Namen auf den Friedhöfen verbargen sich nicht nur Erwachsene, sondern auch viele Kinder. „Teils nur wenige Monate oder Jahre alt.“ Viele starben an Lungentuberkulose, manche ertranken bei Unfällen im Lager. „Die Kinder mussten häufig allein im Lager bleiben, während ihre Mütter arbeiten gingen.“  Jenders kann sich gut vorstellen, dass auch Schulen zu den Namen auf den örtlichen Friedhöfen eigene Forschungsprojekte in Gang setzen. „Es ist wichtig, aus der Geschichte zu lernen, sodass wir darauf achten, dass so etwas nicht noch einmal passiert“, sagt Jenders.

 

Die interaktive Karte ist hier zu finden. Hinweise zum Thema Zwangsarbeit im Oberbergischen nimmt der Verein hier entgegen.

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