Bilder: Oliver Müller --- Der neue Sarkophag umhüllt die brüchige Betonkuppel und versiegelt den Unglücksreaktor für die kommenden 100 Jahre.
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Skurril und eindrucksvoll zugleich
Oberberg - OA-Fotograf Oliver Müller besuchte die Region rund um das frühere Kernkraftwerk Tschernobyl, wo sich im Jahr 1986 eine der größten Nuklearkatastrophen ereignete.
Von Oliver MüllerAm 26. April 1986 ereignete sich in Tschernobyl in der damaligen Sowjetunion die bis dahin weltweit größte Nuklearkatastrophe. Damit verbunden waren zahlreiche Todesfälle, über 140.000 Umsiedlungen und eine bis heute anhaltende atomare Verseuchung im näheren Umkreis des "Unglücks-Reaktors 4" des Kraftwerkes. Rund um den Globus waren die Auswirkungen des Unfalls zu spüren. Im Oberbergischen Kreis gab es Verhaltens-Empfehlungen. So sollte die Bevölkerung bei Regen nicht vor die Tür gehen und Kinder möglichst nicht im Freien spielen. Pilze sammeln oder Speisen von Wildtieren waren bis auf Weiteres tabu.
[Die Natur erobert Straßen zurück.]
Heute, 33 Jahre später, sind zahlreiche Sicherheits-maßnahmen in den Atomkraftwerken Europas umgesetzt worden und die einstige Katastrophe wäre fast vergessen, gäbe es nicht den nicht weniger schlimmen Fall in Fukushima (Japan). Alles in allem ist ein Ausstieg aus der Atomkraft seither ein großes Thema in nahezu alle Staaten mit Atomkraftwerken.
Doch was ist aus dem Katastrophengebiet in der heutigen Ukraine geworden? Mein fotografisches Interesse an "Lost Places" und den damit verbundenen spannenden Geschichten dieser verlassenen Orte haben mich bewegt, die 30 Kilometer große Sperrzone rund um Tschernobyl zu besuchen. Besonders stand die Stadt Prypjat im Fokus, aus der seinerzeit etwa 50.000 Menschen in kürzester Zeit evakuiert werden mussten.
Es ist nicht einfach in Worte zu fassen, was ich beim Besuch gefühlt habe. Es war skurril und eindrucksvoll zugleich! Skurril, weil es ein seltsames Gefühl ist, durch die Straßen eine Geisterstadt zu schreiten, die heute einem Dschungel gleichen, weil sich die Natur alles nach und nach zurückholt. Skurril, weil in den Häusern, Schulen und Kindergärten Gasmasken allgegenwärtig und damit stumme Zeitzeugen sind.
[Sicher eine gestellte Szene, aber das Bild zeigt deutlich die chaotische Situation vor 33 Jahren.]
Eindrucksvoll, weil man an jeder Stelle die Energie der aufstrebenden jungen Stadt spüren kann. Das einst pulsierende Leben Prypjats lässt sich noch immer erahnen. Ein zu seiner Zeit fortschrittlicher Ort, indem etwa 100.000 Menschen angesiedelt werden sollten. Die Zukunft wurde schlagartig durch den Super-GAU ausgelöscht. Die Menschen verließen die Stadt im sicheren Glauben, drei Tage später zurückkehren zu können, doch daraus wurde bekanntlich nichts.
Für den Fotografen bieten sich tolle Perspektiven und interessante Lokationen, jedoch ist das Gefühl der Beklemmung und Angst allgegenwärtig. Die Wucht des Unfalls ist wohl nirgends besser zu sehen als hier. Und eine seltsame Aura, die seit 1986 über Prypjat liegt, ist deutlich zu spüren. Die vorhandenen Möbel, Bücher, Fotoalben und Spielzeuge der Kinder sind gespenstige Artefakte der damaligen Zeit. Gleichzeitig bietet dieser seltsame Ort die Möglichkeit, das Geschehene ein wenig nachzuvollziehen und zu verstehen.
[Das Riesenrad wurde nie von Menschen benutzt und ist seither ein Sinnbild der Geisterstadt Prypjat.]
Der Besuch des Kernkraftwerks selbst ist eher unspektakulär, denn der neue Sarkophag verschließt den Blick auf den Unglücks-Reaktor und verschleiert damit fast das damalige Chaos. Völlig unscheinbar zeigt sich die - zugegeben imposante silberleuchtende Metallkuppel, als sei nie etwas Schlimmes passiert. Bis auf wenige Ausnahmen sind die atomaren Belastungen in der Sperrzone sehr gering und auf einem ähnlichen niedrigen Niveau europäischer Großstädte.
Für mich hat das Abenteuer eine nachhaltige Wirkung bezüglich des Umgangs mit nicht zu beherrschenden Prozessen und deren Folgen. Neugier, Nervenkitzel und Abenteuerlust, all das bietet die Geisterstadt, aber sie sorgt auch für ein bisschen mehr Demut und lässt die bedrückenden Erinnerungen an die Zeit nach dem Unglück im Jahr 1986 wieder aufleben.