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Hamsterkäufe hält niemand für notwendig

fno, as, bv; 24. Aug 2016, 14:59 Uhr
Bilder: Archiv/Franciska Nowak, Alexander Schaffranski --- Experten empfehlen: Gemüse und Obst sollten unbedingt zu einem Vorrat in jedem Haushalt gehören.
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Hamsterkäufe hält niemand für notwendig

fno, as, bv; 24. Aug 2016, 14:59 Uhr
Oberberg – Das neue Zivilschutzkonzept wird auch in Oberberg heiß diskutiert – Bürger sprechen angesichts von Vorratsempfehlungen von Panikmache - Sirenennetz soll neu aufgebaut werden.
Von Franciska Nowak, Alexander Schaffranski und Bernd Vorländer

Damit hatte Bundesinnenminister Thomas de Maizière wohl kaum gerechnet. Kaum waren erste Einzelheiten seines neuen Zivilschutz-Konzeptes bekannt geworden, hagelte es Kritik. Panikmache und Angstmacherei hielt man dem CDU-Politiker vor. Schließlich war nur noch die Rede davon, dass sich die Bürger für Notfälle wappnen und entsprechend Lebensmittel und Getränke „bunkern“ sollten. Zwar sei ein äußerer Angriff auf deutsches Territorium sehr unwahrscheinlich, doch gelte es, Vorsichtsmaßnahmen für alle Eventualitäten zu schaffen, hieß es.


[Gabriele Quartz hält die Anschaffung von Vorräten für unnötig.]

Was das im Einzelnen heißt, dazu hat das Bundesamt für Bevölkerungsschutz und Katastrophenhilfe auf seiner Internetseite klare Aussagen gemacht. Die Behörde rät, den eigenen Vorratsspeicher so zu bestücken, dass man zwei Wochen lang ohne fremde Hilfe über die Runden kommen kann. Pro Person sollen so 28 Liter Getränke, 4,9 Kilo Getreide, Brot, Nudeln und Reis, 5,6 Kilo Gemüse, 3,7 Kilo Milchprodukte und 2,1 Kilo Fisch, Fleisch und Eier vorgehalten werden.

Was halten die Oberberger von diesen Vorsichtsmaßnahmen? Wenig bis gar nichts, so das Fazit einer Umfrage von Oberberg-Aktuell. Viele sehen einen zeitlichen Zusammenhang zwischen den Terrorattacken in Würzburg und Ansbach wie auch zu dem Amoklauf in München und fühlen sich von den Regierungsstellen verunsichert. Gabriele Quartz will nicht vermehrt Vorräte anschaffen. An eine Katastrophe glaubt sie nicht und selbst wenn, würden Vorräte ihrer Meinung nach kaum helfen, denn „wenn es so kommt, kann man nichts mehr ändern“.


[Emilia Chrisci sieht eine Verängstigung der Bürger durch das neue Konzept, Justis Grunewald kann Vorräten allerdings etwas Positives abgewinnen.]

Auch Holger Wirth kritisiert das Zivilschutz-Konzept: „Ich finde es bedenklich, dass so etwas jetzt erstellt wird. Da beginnt man sich Sorgen zu machen.“ Auch Katja Grunewald kann nicht erkennen, dass Hamsterverkäufe jetzt sinnvoll sind. „Ich halte derartige Schutzmaßnahmen für überflüssig. An meinem Einkaufsverhalten werde ich jedenfalls nichts ändern.“ Und auch Emilia Chrisci ist skeptisch, was die Initiative der Politik bringen soll. Mit der Veröffentlichung der Konzepte verängstige man die Bürger. Einzig Justus Grunewald sieht einen Lebensmittelvorrat als vernünftig an. „Man weiß nie, was passiert, deshalb ist das schon sinnvoll.“

Andere Töne kommen von Hans-Uwe Koch, dem stellvertretenden Leiter des Amtes für Rettungsdienst, Brand- und Bevölkerungsschutz beim Oberbergischen Kreis. Zwar hält er den Termin des neuen Zivilschutzkonzeptes für nicht glücklich gewählt, doch inhaltlich sei es dringend notwendig, Gefahrenabwehrpläne fortzuschreiben und die Bürger zu sensibilisieren. Kaum jemand wisse, wie man sich in einer größeren Notlage verhalten sollte. Wo früher regelmäßig Übungen stattfanden und Sirenen dafür sorgten, dass die Menschen an bestimmte Szenarien erinnert wurden, ist die Vorsorge im Oberbergischen ziemlich eingeschlafen. Viele Sirenen wurden in den vergangenen Jahren abgebaut und verschrottet. Die Zeiten sind vorbei. „Wir werden das Sirenennetz gemeinsam mit den Kommunen wieder revitalisieren“, sagt Koch. Mit einer Informationsoffensive will man auch bei den Bürgern Überzeugungsarbeit leisten, damit Zivilschutz nicht aus der Mode gerät. Landrat Jochen Hagt verdeutlicht, dass die Thematik nicht neu sei und man kreisseitig auf den Schutz der Bevölkerung vorbereitet sei, „doch wir müssen die Möglichkeiten der Alarmierung der Bürger angesichts der digitalen Chancen und Gefahren neu überdenken und das eine oder andere optimieren“.


Wie schnell eine Notlage kommen kann, erläutert Koch an einem Beispiel. Ein Schneechaos im Münsterland im Jahr 2005 sorgte für zahlreiche umgeknickte Strommasten. Fast zwei Wochen saßen Menschen im Dunkeln, ohne Heizung, selbst ein Einkaufen war nicht möglich, da die elektronischen Kassen ohne Strom nicht funktionierten. Einen kleinen Vorrat hat auch Gummersbachs Bürgermeister Frank Helmenstein angelegt, allerdings keine 28 Liter Wasser pro Person in seinem Haushalt. Auch für ihn sind ein längerfristiger Stromausfall oder auch ein digitaler Angriff in der vernetzten Welt Gefahren, die „oft zu wenig gesehen werden“. Insofern sei es sinnvoll, die noch aus der Zeit des Kalten Krieges stammenden Konzepte zu überarbeiten. Die Stadt Gummersbach sorge mit Übungen für mehr Sicherheit und wappne sich so für Gefahrensituationen. Die letzte Übung habe allerdings schon im Januar 2010 stattgefunden und bedürfe dringend der Wiederholung.


[Für Holger Wirth wird durch das neue Konzept Unsicherheit geschürt.]

Die Stadt Gummersbach besitze ein Alarmierungssystem in Form von portablen Lautsprechern, um die Bevölkerung in Krisensituationen zu warnen - eine Art Ersatz für die Sirenen von früher. Man überlege jedoch an einer Warn-App, um die Bevölkerung unmittelbar über wichtige Entwicklungen in Kenntnis setzen zu können. Handlungsbedarf sieht Helmenstein aber auch - und das im Bereich des Ehrenamtes. Um etwa im Fall eines Brandes oder von Hochwasser ausreichend Hilfe leisten zu können sei man in großem Maß auf die ehrenamtlichen Helfer der Freiwilligen Feuerwehr angewiesen, die auch von staatlicher Seite mehr gestärkt werden sollten. "Da muss von Bund und Land wesentlich mehr kommen", ist Helmenstein überzeugt. Die Stadt habe einen Tagesalarmstandort hinter dem Rathaus eingerichtet, damit gerade die Innenstadt auch während der Arbeitszeiten schnell zu erreichen sei. 20 Feuerwehrmänner, die unter anderem bei Kreis und Stadt beschäftigt sind, finden in dem Container eine vollständige Ausrüstung vor.
  

Angst müsse keiner haben, so der Bürgermeister der Kreisstadt, doch niemand dürfe die Augen davor verschließen, dass man für alle Situationen Vorkehrung treffen müsse. Allerdings bedürfe es seitens der Entscheidungsträger viel Fingerspitzengefühl. „Gut, dass das Gefährdungsbewusstsein der Bevölkerung geweckt ist, doch es darf nicht umschlagen. Sensible Themen wie der Katastrophenschutz verlangen Timing, Kommunikation und Psychologie, keine Aufregung und schon gar keinen Parteienstreit.“
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