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'Eine Werbung für den Amateurfußball'

lo; 18. Aug 2010, 11:50 Uhr
Bilder: Hardi Kuhn --- Nach dem Spiel feierten die Pokalhelden aus Windeck trotz der Niederlage mit den Fans.
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'Eine Werbung für den Amateurfußball'

lo; 18. Aug 2010, 11:50 Uhr
Oberberg - Trotz der zu erwartenden Niederlage im Pokalspiel gegen den FC Bayern München sammelte NRW-Ligist TSV Germania Windeck viele Sympathien - Mehr als 41.000 Besucher sorgten für einen neuen Rekord (AKTUALISIERT).
Als zum zweiten Mal „Zieht den Bayern die Lederhosen aus“ durchs Kölner Rheinenergie-Stadion schallte, schlug der Rekordmeister eiskalt zu. Flanke Diego Contento, Miroslav Klose kommt vor Mariusz Kukielka an den Ball und verlängert ihn ins lange Eck – 0:1 (44.). Bis dahin hatte der NRW-Ligist eine absolut couragierte Leistung abgerufen und gegen den statisch agierenden Bundesligisten dank einer konzentrierten Defensivleistung fast nichts zugelassen. Die beste Möglichkeit des ersten Durchgangs besaß sogar die Germania: Michael Kessel tauchte nach Zuspiel des ehemaligen Wiehlers Alexander Hettich, der als einzige Spitze sehr viel unterwegs und immer anspielbereit war, plötzlich alleine vor Hans-Jörg Butt auf. Den Fans stockte der Atem, doch Kessel traf nur das Außennetz (22.). Später versuchte er es gegen den etwas zu weit vor seinem Kasten postierten Bayern-Torwart noch mit einem frechen Heber aus 40 Metern, der Ball ging aber zwei Meter über das Tor (40.).  


[Fatih Tuysuz (re.) lieferte gegen Superstark Franck Ribéry eine starke Leistung ab.]

Neben Hettich standen mit Fatih Tuysuz und Michael Reed zwei weitere Spieler aus dem OA- Verbreitungsgebiet auf dem Platz. Während Tuysuz als rechter Verteidiger gegen Superstar Franck Ribéry einen hervorragenden Job ablieferte, bekam es Reed in der Defensivzentrale meist mit Klose zu tun. Auch der Waldbröler war fast immer Herr der Lage. „Wir standen sehr gut, weil die ganze Mannschaft mitgearbeitet hat und das hat es uns in der Abwehr natürlich einfacher gemacht. Die Stimmung war überragend, was uns natürlich zusätzlich beflügelt hat. Letztes Jahr waren ja fast nur Schalke-Fans da“, erklärte Reed. Im vergangenen Jahr hatte Windeck in der ersten Runde des DFB-Pokals gegen die Magath-Truppe mit 0:4 verloren.

Es war erst die zweite richtige Bayern-Chance, die zum ersten Gegentor führte. Davon merklich geschockt, musste der Underdog noch vor der Halbzeit das 0:2 hinnehmen.  Klose ließ Keeper Michael Cebulla aussteigen und bediente den mitgelaufenen Ribéry, der mühelos einschieben konnte (45.). „Die Jungs waren in der Kabine sehr enttäuscht“, sagte Germania-Trainer Heiko Scholz nach dem Spiel. „Aber nach der Pause haben sie trotzdem mit Herzblut weitergespielt.“ Die Bayern machten in der zweiten Halbzeit nur noch das Allernötigste und zogen sich damit nicht nur den Unmut der Zuschauer, sondern auch ihres Trainers zu.


[Die Windecker Spieler bedankten sich nach dem Spiel bei den Zuschauern.]

„Das war das schlechteste Spiel unserer Vorbereitung“, polterte Louis van Gaal, der den Außenseiter lobte: „Windeck hat 90 Minuten sehr diszipliniert gespielt. Es ist immer schwierig, die höchste Konzentration für eine kleine Mannschaft aufzubringen. Das haben wir heute gesehen.“ Die Germania-Kicker konnten den Meister nach der Pause allerdings nicht mehr in die Bredouille bringen, zum Schluss gestalteten Toni Kroos (84.) und Mario Gomez (85.) das Ergebnis für den Bundesligisten etwas versöhnlicher. Cebulla konnte sich noch bei einem Schuss von Kroos auszeichnen (88.).

Im Windecker Lager hielt sich die Enttäuschung über die Niederlage in Grenzen. Nach dem Abpfiff wurde sogar noch zusammen mit den Fans gefeiert. Danach stellten sich die Amateurkicker brav an: Vor der Bayern-Kabine, um sich ein Trikot von einem der Stars zu sichern. Tuysuz, der später auch den eingewechselten Hamit Altintop nicht zur Entfaltung kommen ließ, hatte ein Jersey von Ribéry bekommen. „Wir haben uns auf dem Platz unterhalten. Er war echt nett“, erklärte der Verteidiger, der mit der Leistung des Teams hochzufrieden war: „Wir haben von Beginn an eine super Einstellung und einige gute Angriffe gezeigt. Das war der Unterschied zu dem Schalke-Spiel vor einem Jahr, da sind wir kaum über die Mittellinie gekommen“, so der 21-Jährige.


[Fatih Tuysuz im Kopfballduell mit Bastian Schweinsteiger.]

41.100 Besucher sorgten für einen neuen Zuschauerrekord bei einem Erstrundenspiel eines Amateurklubs, nachdem bereits im Vorverkauf 35.000 Karten abgesetzt wurden. Die bisherige Bestmarke hielt TeBe Berlin, das 1996 etwas mehr als 39.000 Zuschauer ins Berliner Olympiastadion lockte. Der damalige Gegner hieß ebenfalls Bayern München.  Die Windecker Verantwortlichen ließen das einmalige Erlebnis gestern Abend noch auf einer kleinen Feier im Stadion ausklingen. „So wie die Mannschaft sich präsentiert hat, war das eine Werbung für Amateurfußball. Da wurden keine Bälle auf die Tribüne geschlagen, sondern versucht, Fußball zu spielen“, so Sportdirektor Ingo Haselbach.

Ein kleiner Wermutstropfen war die beschwerliche Anreise, denn die Straßen rund um das Stadion waren, auch bedingt durch den Berufsverkehr in Köln, heillos überfüllt. Viele konnten erst pünktlich zum Anpfiff oder verspätet ihre Plätze einnehmen. „Ich muss mich für die verstopften Straßen entschuldigen, aber wir konnten nicht ahnen, dass wir beziehungsweise die Bayern solche Massen anziehen. Aber ich freue mich, mit 41.100 Zuschauern eine Marke gesetzt zu haben, die hoffentlich lange Bestand haben wird“, sagte Germania-Mäzen Franz Josef Wernze. Die Fans nahmen es locker. Vor allem die FCB-Sympathisanten waren froh, „ihren“ Verein überhaupt einmal live erleben zu können. „Der Sieg war verdient, aber richtig überzeugend sind die Bayern nicht aufgetreten. Die Windecker Spieler haben ihren Verein gut repräsentiert“, sagt ein aus Bergneustadt angereister Anhänger.


[Michael Reed muss sich gegen Toni Kroos und Ribéry erwehren, Torwart Michael Cebulla kann den Ball aufnehmen.]

In finanzieller Hinsicht dürfte sich das Spiel für den Fünftligisten gelohnt haben, einen Kassensturz hat man so kurz danach aber noch nicht machen können. „Es werden sicherlich ein paar Euro hängenbleiben“, sagt Haselbach. 100.000 € sind alleine durch die Fernsehgelder für jeden Teilnehmer in der ersten DFB-Pokal-Hauptrunde garantiert. Wie Scholz und Haselbach betonten, gelte es nun, sich auf den Liga-Alltag einzustellen, schließlich will Windeck in dieser Saison den Regionalliga-Aufstieg packen. Am Sonntag geht es zur Reserve des MSV Duisburg, ehe am Mittwochabend Schwarz-Weiß Essen im Dattenfelder Sportpark gastiert. Haselbach: „Das ist ein absolutes Spitzenspiel.“ 


[Mario Gomez erzielte den letzten Treffer der Gäste aus München.]
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