Bilder: Michael Kleinjung --- Im Bereich der Notaufnahme des Krankenhauses wurde der Dekon-Platz aufgebaut.
ARCHIV
Chemische Reaktion von Rattengift fordert 28 Verletzte
Gummersbach In einem Mehrfamilienhaus ist es zu einer chemischen Reaktion von Giftködern gekommen. 120 Rettungskräfte waren im Einsatz, um die Betroffenen zu dekontaminieren und in umliegende Krankenhäuser zu bringen.
Von Christian HerseDie ursprüngliche Alarmierung für die Feuerwehr Gummersbach klang am Samstagabend eigentlich harmlos. Gasgeruch hatten die Bewohner eines Mehrfamilienhauses im Buchenweg festgestellt und haben den Notruf gewählt. Die Kameraden registrierten bei ihrem Eintreffen ebenfalls einen leichten Gestank, konnten diesen allerdings mit ihren hochspezialisierten Messgeräten nicht genauer spezifizieren, da die Konzentration zu niedrig war. Das nach Knoblauch riechende Gas hatte sich offenbar verflüchtigt, weswegen man sich entschloss, die Einsatzstelle wieder zu verlassen.
[Die ABC-Einheit aus Marienheide Wehrführer Frank Hartkopf arbeitete in Schutzanzügen.]
Ermittlungen der Polizei stellten in der Nacht den Grund allen Übels fest. So ergaben die Untersuchungen, dass im Keller des Hauses handelsübliche Köder zur Bekämpfung von Mäusen und Ratten ausgelegt waren. Als heute Mittag um zwölf Uhr erneut die Feuerwehr in die Rospe-Siedlung gerufen wurde, teilte die Polizei dieser ihre Ergebnisse mit. Umgehend veranlasste Einsatzleiter Detlef Hayer eine Evakuierung des Mehrfamilienhauses und ließ den Messwagen aus Brunohl nachalarmieren.
Der bestätigte ein Luftgemisch des aus Phosphor-Wasserstoff bestehenden Mittels, so dass man davon ausging, dass es möglicherweise zu einer chemischen Reaktion gekommen war, wie Hayer vor Ort erklärte. In Rücksprache mit dem Leitenden Notarzt, Dr. Thomas Aßmann, wurde die Giftnotrufzentrale in Berlin kontaktiert, die die Gefährlichkeit des Stoffes bestätigte und weitere Maßnahmen empfahl. Ein Atemzug reicht schon aus, um sich zu vergiften, begründete der Leiter der Kreisleistelle Hans-Uwe Koch die schnelle und umfangreiche Reaktion der Hilfskräfte.
[Erstmals kam der neue Abrollcontainer Dekon-V zum Einsatz.]
Auch wenn keiner der Betroffenen konkrete Vergiftungserscheinungen zeigte, entschloss man sich den Vorgaben zu folgen und richtete am Krankenhaus Gummersbach einen Dekontaminationsplatz ein. Dafür rückte die ABC-Einheit der Feuerwehr Marienheide an, die seit Anfang Oktober über einen speziellen Abrollcontainer verfügt, der nun erstmals zum Einsatz kam (OA berichtete). Da die Zahl der mutmaßlichen Verletzten die Kapazitäten des Regelrettungsdienstes gesprengt hätten, wurde zudem der Patienten-Transportzug 10 der Hilfsorganisationen alarmiert, die mit Fahrzeugen aus Engelskirchen, Gummersbach, Lindlar, Marienheide, Reichshof, Wiehl und Wipperfürth zum Krankenhaus eilten.
[Einsatzleiter Detlef Hayer (Mitte) und Gummersbachs Feuerwehrchef Friedehlm Köster (re.) organisierten die Maßnahmen.]
In einer aufgebauten Schleuse dekontaminierte man die 28 betroffenen Personen, die aus allen Altersstufen vom Säugling bis zum Senior bestanden, mit einer speziellen Schaumdusche. Im Anschluss wurden zehn von ihnen in Krankenhäuser im Oberbergischen Kreis eingeliefert. Den Rest nahmen Kliniken in Bergisch Gladbach, Bensberg und Lüdenscheid auf. Dort müssen sie die nächsten 72 Stunden unter strenger Beobachtung verbringen, da in diesem Zeitraum das Giftgas zu lebensbedrohlichen Herzrythmusstörungen führen kann. Auch zwei Polizisten und einige Feuerwehrleute mussten behandelt werden, da sie mit dem Stoff möglicherweise in Kontakt gekommen sind.
Überwacht und koordiniert wurden die Arbeiten vom Leitenden Notarzt sowie dem Ärztlichen Leiter des Rettungsdienstes, Dr. Ralf Mühlenhaus, im Einsatzleitwagen 2 aus Bergneustadt. Die Feuerwehr Strombach half ebenfalls bei der Entgiftung, während die Einheit Niederseßmar den Brandschutz im Stadtgebiet sicherstellte. Zeitweise waren über 120 Hilfskräfte vor Ort und konnten erst gegen 18 Uhr ihren Einsatz beenden. Das verseuchte Haus wurde versiegelt und soll im Laufe des morgigen Tages von der Polizei, dem Ordnungsamt, der Feuerwehr und einer Fachfirma genauer kontrolliert werden. Sollte die Untersuchung ergeben, dass das Gebäude für längere Zeit nicht mehr bewohnbar ist, hat die Stadt bereits Ersatzwohnungen angeboten.