HANDBALL

Wandschneider: "Es wird weitergehen"

uk; 02.06.2020, 12:10 Uhr
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Wandschneider: "Es wird weitergehen"

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uk; 02.06.2020, 12:10 Uhr
Oberberg - Der Trainer HSG Wetzlar spricht im Gespräch mit OA über die Auswirkungen der Corona-Krise, einen möglichen Re-Start sowie die anstehende Trennung von der HSG Wetzlar und seine eigene Zukunft.

Von Uli Klein

 

Keine Frage: Kai Wandschneider ist ein reflektierter Mensch, der sich ständig Gedanken über das Leben an sich macht, sein Handeln genauso hinterfragt wie seine Entscheidungen. Im Beruf wie im Privatleben. Manchmal aber wird auch der 60-Jährige , der sich gerne an indianischen Weisheiten orientiert, kalt erwischt.

 

So im November des vergangenen Jahres, als Handballbundesligist HSG Wetzlar seinem Cheftrainer und jahrelangen Erfolgsgaranten völlig überraschend den Laufpass gab - nach sieben fetten Jahren, in denen die Hessen ihre mit Abstand erfolgreichste sportliche Zeit durchlebten. Im Sommer 2021 soll nun nach Willen der Wetzlarer Macher Schluss sein mit der Wandschneider-Ära. Und keiner kann die Demission des Übervaters halbwegs plausibel erklären.

 

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"Es ist eine gemeinsame Entscheidung strategischer Natur", erklärte Wetzlars Geschäfstfüher Björn Seipp schmallippig den stilarmen Rauswurf. Dass der Geschäftsführer sein Statement mit Sätzen wie "Als Verantwortliche der HSG Wetzlar wird von uns erwartet, zukunftsorientiert Entscheidungen im Sinne des Clubs zu fällen, und das haben wir getan", oder "wir haben gemeinsam das Gefühl, dass es langfristig notwendig ist, etwas Neues zu machen", garnierte, kann Wandschneider auch mit einigen Wochen Abstand nicht wirklich goutieren.

 

"Ich bin natürlich enttäuscht, hätte gerne weitergearbeitet und mir vorstellen können, meine Trainerkarriere in Wetzlar zu beenden. Die Führung aber hat andere Pläne. Das habe ich so zu akzeptieren", sagt der ehemalige Gummersbacher, um dann süffisant Sarkasmus zu bemühen.

"Ich bin nicht in die Neuausrichtung eingeweiht. Aber es ist schön von neuen Strukturen zu hören, die geschaffen werden sollen, wenn ich weg bin."

 

Im grün-weißen Fanlager hat der 60-Jährige längst Kultstatus. Logisch, dass sich auf den sozialen Medien eine lebhafte Diskussion entwickelte. Kein Wunder: Seitdem der ehemalige Gummersbacher die Grün-Weißen im Frühjahr 2012 übernommen hatte, verhalf Wandschneider dem Verein zu einem entspannten Dasein in der windstillen, problemfreien Ecke der Bundesliga.

 

Der ehemalige Linksaußen des TuS Derschlag beziehungsweise des TV Rodt-Müllenbach erwarb sich gleichzeitig den Ruf des kompetentesten Talententwicklers in der nationalen Handballszene: Andreas Wolf, Jannik Kohlbacher, Steffen Fäth oder Tobias Reichmann machte der passionierte Gitarrenspieler allesamt zu Nationalpielern und in Folge anno 2016 zu Europameistern - nachdem er in den Jahren zuvor in Dormagen schon Könner wie Kentin Mahe oder Adrian Pfahl geformt hatte. Und nicht nur das: Wandschneider verstand es beispielsweise auch perfekt, einen alternden Superstar wie Ivano Balic, den einstmals genialsten Spielmacher der Welt, problemlos in der mittelhessischen Provinz zu integrieren.

 

Nicht wirklich überraschend, dass der gebürtige Hamburger gleich zweimal (2013 und 2017) als Trainer des Jahres hierzulande geadelt wurde und auch ein siedend heißer Tipp war, als der Deutsche Handballbund nach einem neuen Chefübungsleiter fahndete. Umso verblüffender, ja geradezu unfassbar, dass die Handballspielgemeinschaft jetzt ein Stoppzeichen setzte. Wandschneider hat sich mit der neuen Situation natürlich auseinandergesetzt, seine persönliche Angelegenheit aber als "völlig nebensächlich" in diesen bleiernen (Corona-)zeiten erklärt. Generell gilt für ihn die Maxime: "Der Profisport, der Entertainemant ist, hat komplett in den Hintergrund zu treten." Und: "Es wird weitergehen..."

 

Interview

 

OA: Herr Wandschneider, wie erleben Sie die aktuelle Coronakrise - als Mensch beziehungsweise als Trainer?

Wandschneider: Natürlich versuche ich mich so gut wie möglich zu schützen. Genauso wichtig ist mir freilich die Gesundheit meiner 83-jährigen Mutter. Ich telefoniere täglich mit ihr, besuche sie so oft wie möglich in Gummersbach und kümmere mich. Das Virus ist in unserem Leben längst allgegenwärtig. Das bezieht sich logischerweise auch auf meinen Beruf. Allerdings spielt Sport aktuell eine völlig nebensächlich Rolle. Oberste Priorität hat jetzt der Schutz der Menschen, ja der Menschheit. In jedem Winkel der Welt ist Covid 19 nicht nur präsent, sondern dominiert das Leben von uns allen von der ersten bis zur letzten Sekunde des Tages. Der Sport spielt da überhaupt keine Rolle und darf auch keine spielen.

Alle Dinge, die die Gesundheit der Bevölkerung schützen, müssen wir unterstützen. Jeder steht da in der Verantwortung und sollte sich solidarisch zeigen, in dem er sich an diese Dinge hält. Die Situation ist dramatisch. Es gibt keinerlei Erfahrungswerte, alles wirkt wie ein Stochern im Nebel.Vielleicht bietet die Coronakrise aber auch eine Chance. Nämlich die Chance, unsere völlig überhitzte Gesellschaft ein Stück zurückzufahren.

Grundsätzlich bin ich mir sicher, dass die Welt nach Corona eine komplett andere sein wird als vor Corona. Als Trainer erlebe ich natürlich auch eine völlig neue Situation: Es gibt quasi kein Tagesgeschäft. Ich schaue mir zwar immer mal wieder an ein Video und analysiere Spiele, die wir gespielt haben und tausche mich mit Kollegen und Spielern aus. Aber das sind in erster Linie Beschäftigungen, um im Thema zu bleiben.

 

OA: Wann kann Ihrer Prognose nach wieder Handball gespielt werden?

Wandschneider: Ich hoffe natürlich, dass irgendwann wieder Routine und Sport in den Alltag einkehren werden. Aber wann das sein wird , ist völlig unbestimmt. Kein Mensch kann voraussagen, wie lange uns das Virus begleiten wird, ob und wann man es in den Griff bekommt. Dass sich Experten von einem auf den anderen Tag vermeintlich widersprechen, liegt in der Natur der Sache und ist für mich nachvollziehbar.

 

OA: Und dennoch: Wie bereiten Sie sich auf den Re-Start vor, gerade auch vor dem Hintergrund, dass Sie die HSG Wetzlar seltsamerweise nur noch eine Saison lang betreuen sollen?

Wandschneider: Klar, die Ankündigung des Vereins, mit mir nach 2021 nicht mehr weitermachen zu wollen, war und ist eine herbe Enttäuschung für mich. Mehr möchte ich dazu nicht sagen, außer, dass weder ich noch zahlreiche Experten aus der Handballszene meinen Abschied nachvollziehem können. Ganz zu schweigen von den Fans, bei denen ich ein hohes Ansehen genieße.

 

OA: Wie geht es weiter für den Coach Kai Wandschneider?

Wandschneider: Ich hätte meine Karriere zwar gerne in Wetzlar bei der HSG beendet. Aber der Verein hat andere Pläne. Das hab ich zu akzeptieren, auch wenn ich es nicht nachvollziehen kann. In jedem Fall werde ich mich in der kommenden Saison noch einmal voll in Wetzlar reinhängen, wenn denn irgendwann noch einmal gespielt werden kann.

 

OA: Wären analog zum Fußball Geisterspiele eine Option für den Handball?

Wandschneider: Der Handball ist eine Indoor-Sportart und deshalb mit dem Fußball überhaupt nicht zu vergleichen. Es gibt sehr viele Variablen, die erfüllt werden müssten, damit wieder Handball gespielt werden könnte. Das sehe ich im Moment nicht. Trotzdem habe ich mir logischerweise schon Gedanken über eine Saisonvorbereitung, beispielsweise von Mitte Juli an, gemacht. Aber, ob diese Trainingspläne tatsächlich umgesetzt werden können, steht in den Sternen.

 

OA: Wäre auch die 2. Liga eine Option für Sie, konkret der VfL Gummersbach, nach dem Ende Ihres Engagements in Wetzlar?

Wandschneider: Nach 20 Berufsjahren - so viele hat übrigens kein anderer aktueller Trainer in den hiesigen Profiligen auf dem Konto - ist die 2. Liga keine echte Option für mich. Unabhängig davon beobachte ich die Entwicklung in Gummersbach mit großem Interesse. VfL-Geschäftsführer Christoph Schindler hat da wirklich etwas bewegt. Dass mit Gudjon Valur Sigurdsson ein absoluter Weltklassespieler als Coach zum VfL kommt, ist natürlich ein toller Coup, Gummersbach ist zwar Goggis erste Station im Trainergeschäft, aber ich traue ihm zu, dass er die Aufgabe mit seiner außergewöhnlichen Handballkompetenz auf dem Spielfeld auch auf der Bank meistern wird. Zudem konnte Christoph, den ich als meinen Ex-Spieler natürlich gut kenne, unter anderem mit Raul Santos oder Timm Schneider richtig gute Spieler verpflichten. Der VfL wird in Liga 2 in der kommenden Spielzeit eine ganz entscheidende Rolle bei der Vergabe der Aufstiegsplätze spielen. Dabei schaffen es die Gummersbacher hoffentlich auch, eine ganze Region mitzunehmen und die Fans zu begeistern. Der VfL Gummersbach ist einfach eine Marke wie VW oder Persil.

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