BLAULICHT

Brandstiftung: Traumatisierter Angeklagter von Verlustängsten getrieben

pn; 24.11.2020, 19:00 Uhr
BLAULICHT

Brandstiftung: Traumatisierter Angeklagter von Verlustängsten getrieben

pn; 24.11.2020, 19:00 Uhr
Wiehl/Köln – Prozessauftakt am Kölner Landgericht – Mann hatte versucht, das Haus des neuen Lebensgefährten seiner Ex-Freundin anzuzünden – Angeklagter mit tragischer Lebensgeschichte.

Von Peter Notbohm

 

Ein unverarbeitetes Trauma ist vermutlich der Grund dafür, dass Hamit L. (Anm.d.Red.: Alle Namen geändert) im Juni dieses Jahres versucht hat, ein Doppelhaus in Wiehl in Brand zu setzen. Am heutigen Dienstag begann am Kölner Landgericht der Prozess gegen den 23-jährigen Mann aus Solingen. Die Staatsanwaltschaft wirft ihm schwere Brandstiftung vor. Er soll am 13. Juni morgens mit Baumwollstofflappen und zwei Plastikbehältern, gefüllt mit Benzin, in das Haus des neuen Lebensgefährten seiner Ex-Freundin eingebrochen sein und dort die Treppe und das Schlafzimmer im Obergeschoss angezündet haben. Ehe die Flammen auf weitere Teile des Hauses übergreifen konnten, hatten Anwohner das Feuer mit nassen Handtüchern löschen können.

 

Tragische Lebensgeschichte

 

Hamit L. legte zu Beginn der Verhandlung ein umfangreiches Geständnis ab und berichtete der 17. Großen Strafkammer unter dem Vorsitz von Richter Harald Helmes detailliert, warum er „diesen ersten großen Fehler in meinem Leben“ gemacht hatte. Seine Vernehmung ging über mehrere Stunden, mit leiser Stimme und zurückhaltend im Wesen, erzählte er von unglaublichen Gräueltaten aus seiner Kindheit, die das spätere Trauma auslösen sollten. Geboren wurde er in der zentralafghanischen Provinz Ghazni, er wuchs mit fünf jüngeren Schwestern in einfachen Verhältnissen auf. Früh musste er Verantwortung übernehmen, nachdem sein Vater, ein weitgereister Lebensmittelhändler, schwer erkrankte.

 

Es sollte aber anders kommen: Die Taliban, die diese Region zu dieser Zeit beherrschten, entführten ihn und steckten ihn in ein Camp. „Dort wurden Kinder zu Suizidbomben ausgebildet“, berichtete der 23-Jährige. Er musste Gewalt, Missbrauch und Hunger erdulden, weil er sich weigerte, Menschen umzubringen. Zwar wurde er eines Tages von afghanischen Soldaten befreit, doch die Taliban sollten sich auf ihre Weise rächen: Während er seinen Onkel besuchte, wurden sein Vater und seine älteste Schwester erschossen. Ihm blieb nur die Flucht. Mit einem kleinen Taschengeld seines Onkels gings es über die Türkei und Bulgarien nach Europa. Eigentlich wollte er nach Schweden, doch als er während seines Aufenthalts in Deutschland krank wurde, sei ihm im Krankenhaus so viel Freundlichkeit und Hilfsbereitschaft entgegengeschlagen, dass er beschloss, hier zu bleiben

 

Ein Beispiel für perfekte Integration

 

„Ich hatte von Anfang an nur ein Ziel. Ich wollte mich hier integrieren“, so Hamit L., der die Sprache erlernte, sich Arbeit suchte und später sogar begann, neben einer Ausbildung zum Krankenpfleger parallel auch einen Schulabschluss nachzumachen. Ende 2017 wurde sein Asylantrag positiv beschieden. Zu diesem Zeitpunkt hatte er über Facebook bereits Johanna S. kennengelernt. Die heute 41-Jährige und der Flüchtling teilten viele Ansichten, zeichneten sich beide durch ihre große Hilfsbereitschaft gegenüber anderen Menschen aus und verliebten sich ineinander. 2018 bekamen sie ein gemeinsames Kind. Auch vor Gericht verlor die Frau kaum ein schlechtes Wort über den Angeklagten. „Er ist höflich, bescheiden, hilfsbereit und definitiv kein schlechter Mensch und ich werde immer für ihn da sein, wenn er etwas braucht.“

 

Trotzdem hätten beide während der Schwangerschaft festgestellt, dass sie als Paar nicht funktionieren, entschlossen sich aber gemeinsam für ihr Kind da zu sein. Das habe bis zum Februar 2020 auch gut funktioniert. Wenn Hamit L. während der Verhandlung über seinen Sohn sprach, glänzten seine Augen vor Stolz. Der 23-Jährige übernachtete häufiger im Haus der Solingenerin als in seiner eigenen Wohnung. Dann aber habe Johanna S. über eine Dating-App jemand neues kennengelernt, Mirco G. aus Wiehl.

 

Neuer Lebensgefährte macht ihm Angst, sein Kind zu verlieren

 

Während sie eine neue Beziehung begann, bekam Hamit L. Angst, seinen Sohn zu verlieren. Durch die schlimmen Erfahrungen aus seiner Jugend geprägt, sei er jemand, der unbedingt Nähe brauche, berichtete sein Verteidiger Udo Klemt. Das Trauma sei bekannt gewesen, er habe sich auch bereits in Behandlung befunden. Das Trio arrangierte sich zunächst noch, als Johanna S. aber mehr Abstand einforderte, habe der Angeklagte damit nicht umgehen können. „Erstmals seit dem Tod meiner Familie hatte ich wieder das Gefühl, dass ich alles verloren habe“, sagte er. Trotz der Streitigkeiten ließ die Frau ihren Ex-Freund aber weiter bei sich im Haus übernachten, wenn dieser spätnachts von der Arbeit kam.

 

Als er am 13. Juni früh morgens nach einer Doppelschicht in die Wohnung in Solingen kam, muss der folgenschwere Entschluss nach einem weiteren Gespräch gefallen sein. Während die Mutter seines Sohnes zu ihrem neuen Freund ins Bett ging, trank er zwei Bier („Ich habe in meinem Leben fast nie Alkohol konsumiert“) und sei anschließend mit einem Taxi ins Oberbergische gefahren. Dort habe er die Terrassentür von Mirco G. mit einem Stein eingeschlagen, das Benzin in der Wohnung angezündet und sei anschließend wieder nach Köln gefahren. Bereits zu diesem Zeitpunkt habe er gewusst, dass er einen großen Fehler gemacht habe. Bevor er sich stellen konnte, sei er aber festgenommen worden, nachdem er versucht hatte, sich bei seiner früheren Partnerin zu entschuldigen. „Ich bereue meine Tat und werde mich dafür ein Leben lang entschuldigen. Auch bei Deutschland, denn dieses Land hat mir so sehr geholfen und ich baue so einen Mist“, so Hamit L.

 

Fortgeführt wird der Prozess am kommenden Montag. Dann wird auch ein Brand-Experte aussagen. Sein Gutachten könnte dafür sorgen, dass der 23-Jährige nur wegen des Versuchs der schweren Brandstiftung

bestraft wird. Auch mit einem Urteil ist zu rechnen.

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