BLAULICHT

Nach Raub: Auch Opfer verurteilt

lw; 24.03.2023, 16:29 Uhr
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BLAULICHT

Nach Raub: Auch Opfer verurteilt

lw; 24.03.2023, 16:29 Uhr
Waldbröl –21-Jährige und 22-Jähriger wurden in Gummersbach-Dieringhausen brutal überfallen – Motiv der Schläger sollen Drogen gewesen sein – Auch die Täter sagten am Amtsgericht Waldbröl aus.

Von Lars Weber

 

Brutal überfallen und ausgeraubt worden sind im Sommer 2021 die 21-jährige Petra S. (Anm.d.Red.: Alle Namen geändert) und der 22-jährige Ingo O. Insgesamt vier Männer zwangen sie aus dem Auto auszusteigen, das auf dem Parkplatz eines Lebensmitteldiscounters in Dieringhausen geparkt war. Dann fielen sie über den Mann her, der sich ein Schädelhirntrauma zuzog. Die Rolle Täter und Opfer schienen eigentlich klar verteilt. Von den vier Männern wurden zwei verurteilt, einer zu einer längeren Haftstrafe. Die anderen beiden hat die Polizei (noch) nicht erwischt. Anklage erhob die Staatsanwaltschaft dafür aber auch gegen die beiden Opfer. Denn der Grund für den Überfall sollen 300 Gramm Marihuana gewesen sein. Deshalb musste sich Ingo O. gestern wegen des Handelns mit Drogen in nicht geringer Menge und Petra S. wegen Beihilfe vor dem Schöffengericht um den Vorsitzenden Richter Carsten Becker in Waldbröl verantworten.

 

Die Geschehnisse vom 22. Juni 2021 hörten sich in der Anklageschrift zunächst eindeutig an. Die beiden Oberberger sollen sich auf dem Parkplatz des Discounters mit Gabriel T. zu einem Handel verabredet haben. 300 Gramm Marihuana „in schlechter Qualität“ sollten für 1.800 Euro den Besitzern wechseln. Doch der Deal kommt nicht zustande. Stattdessen werden die 21-Jährigen von dem Mann bedroht und von ihm und drei Mittätern ausgeraubt. Der Nümbrechter Ingo O. bekam dabei von Gabriel T. einen Schlag mit einer vermeintlich nicht geladenen Pistole auf den Hinterkopf. Die vier Räuber flüchteten mit den Drogen und dem Auto des Angeklagten.

 

Oder war es doch anders? Die Verteidiger der beiden Angeklagten spielten gestern jedenfalls zunächst auf Zeit. Eine Einlassung gab es nicht. Wohl aber bestritten sie für ihre Mandanten die Anklage. Demnach wollten sie sich lediglich mit Gabriel T. treffen, um einen Joint zu rauchen. Wo die Drogen hergekommen sein sollen, wüssten sie nicht. Spannend: Objektive Beweise für eine Existenz der Drogen wurden tatsächlich nie gefunden, wie eine der ermittelnden Polizistinnen später zu Protokoll gab. Auch in dem gestohlenen Auto seien keine Spuren gefunden worden. Die Anklage stützte sich also auf die Aussagen der Drogenräuber.

 

Und genau die durften gestern im Zeugenstand Platz nehmen. Sowohl Gabriel T. als auch Veit H. sind bereits rechtskräftig verurteilt. Während der 19-jährige Veit H. eine Jugendstrafe auf Bewährung bekam, hat Gabriel T. eine Haftstrafe über fünf Jahre und acht Monate abzubüßen. Er wurde auch in Handschellen vorgeführt. Aufgrund ihrer Verurteilung konnten beide offen über die Tat reden. Und das taten sie, wenn auch ihre Erinnerungen an den Tag teils stark voneinander abwichen. Dabei ging es jedoch meist um Details, die für den verhandelten Fall weniger entscheidend waren.

 

Im Mittelpunkt des Interesses von Richter Becker und der Staatsanwaltschaft standen natürlich die Drogen, die sich auf der Beifahrerseite im Fußraum in einem Rucksack befunden haben sollen. Wie das Marihuana auch wurde der Rucksack aber nie aufgefunden. Die Erinnerungen dazu vom 19-Jährigen halfen nur bedingt. Zwar sei schon vor dem geplanten Raub über die 300 Gramm Marihuana gesprochen worden. Tatsächlich gesehen hat er das vakuumierte Paket aber erst, als sie nach ihrer Flucht wieder in Köln angekommen waren, von wo aus sie früher am Tag per RB 25 ihre Reise nach Dieringhausen angetreten hatten. Ob ein Rucksack im Auto war, konnte er jetzt nicht mehr sagen.

 

Früher in die Hände bekam Gabriel T. die Drogen. Er sei der Kontakt gewesen, der sich mit Ingo O. im Vorfeld über den Deal ausgetauscht haben wollte. Dieser sei ihm vermittelt worden. Vorher habe man sich nicht gekannt. Deshalb habe er sich auch zunächst allein zu den Oberbergern ins Auto gesetzt. Der Rucksack sei ihm nach hinten gereicht worden. Er habe das Paket überprüft und es unter seine Jacke gesteckt. Dann kam es zum Überfall. Die Drogen blieben dabei und während der Flucht unter der Jacke. Noch am selben Tag in Köln habe er das Marihuana dann unter den Tätern aufgeteilt. Gewogen habe er es allerdings nie. Ob es wirklich 300 Gramm waren, konnte er also nicht sagen.

 

Dass die Drogen der Grund für den Raub waren, davon schienen Staatsanwaltschaft und das Gericht überzeugt zu sein. Warum sonst hätten die vier Kölner die Reise nach Dieringhausen antreten sollen. Also handelten die Verteidiger ein mildes weiteres Vorgehen bei einem Rechtsgespräch mit Staatsanwaltschaft und Gericht aus. Voraussetzung: das folgende Geständnis.

 

Petra S. sollte demnach von Ingo O. eigentlich nach Hause gebracht werden, als der Anruf von Gabriel T. kam. „Es blieb keine Zeit mehr, sie abzusetzen“, sagte der Verteidiger. Also musste sie mit zum Treffen auf dem Parkplatz. „Sie wusste nicht, was im Rucksack war.“ Ingo O. sagte selbst aus. Er bedaure, dass er seine gute Freundin mit in die Sache hineingezogen hätte. Er sei gefragt worden, ob er nicht Gras für jemanden besorgen könne. Er nahm den Auftrag an, obwohl er selbst keine Drogen konsumiert habe. Zum damaligen Zeitpunkt war er Auszubildender. Er habe die Möglichkeit gesehen, ein bisschen Geld zu machen. Die Folgen: eine schwere Kopfverletzung und der Verlust des Autos.

 

Und nun auch eine Verurteilung, die aber tatsächlich milde ausfiel. Den Tatbestand des Handeltreibens mit Drogen in nicht geringer Menge sah das Gericht erfüllt, allerdings in einem minderschweren Fall. Zum Tatzeitpunkt war Ingo O. Heranwachsender gewesen. Da er sich sehr naiv angestellt habe, wendete das Gericht entgegen der Forderung der Staatsanwaltschaft Jugendstrafrecht an. So blieb eine Geldstrafe über 2.400 Euro. Eine Hälfte für die Staatskasse, eine für eine gemeinnützige Einrichtung in Nümbrecht. Wenn es nach der Staatsanwaltschaft gegangen wäre, hätte er 7.200 Euro zahlen müssen. „Wir sind aber überzeugt, dass sie aus dem Fall genug gelernt haben“, sagte Becker gerade mit Blick auf die erlittenen Verletzungen.

 

Petra S. wurde indes freigesprochen. Es sei schlicht nicht festzustellen gewesen, ob sie etwas von den Drogen gewusst habe.

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