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Eine berufliche Zukunft für Jasmina

bv; 12. Sep 2018, 16:56 Uhr
Bild: Bernd Vorländer --- Jasmina Zibart (2. v. li.) freut sich, dass sie im Unternehmen von ONI-Gründer Wolfgang Oehm (li.) einen qualifizierten Ausbildungsplatz gefunden hat. Sie gehört dort zu insgesamt 52 Auszubildenden, die im kaufmännischen Bereich von Nadja Wolf (2. v. re.) betreut werden. Für den Arbeitsagentur-Vorsitzenden Marcus Weichert eine Paradebeispiel, wie gut die betriebliche Integration von Menschen mit Handicap gelingen kann.
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Eine berufliche Zukunft für Jasmina

bv; 12. Sep 2018, 16:56 Uhr
Lindlar - Junge Frau mit körperlichem Handicap findet beim Energie-Optimierer ONI einen Ausbildungsplatz - Oberberg ist bei der Beschäftigung Schwerbehinderter Schlusslicht.
Von Bernd Vorländer

Jasmina Zibart war einigermaßen gefrustet. Je mehr Bewerbungen sie schrieb, umso mehr Absagen flatterten ihr in den Briefkasten. "Je länger man zuhause ist, umso schlimmer wird es, man entwickelt regelrechte Depressionen", berichtet die junge Frau. Ob es eher ihre durchschnittlichen Noten oder eine Körperbehinderung war, die die Personalchefs davon abhielten, sie zu einem Vorstellungsgespräch zu bitten, blieb offen. Doch dann ging plötzlich alles ganz schnell. Dorothee Grinat-Mitterer, ihre Beraterin von der Agentur für Arbeit, hatte ihr das Lindlarer Unternehmen ONI als aussichtsreiche Adresse genannt. Binnen zehn Tagen stellte sie sich vor, wurde ihr ein Ausbildungsplatz offeriert und saß die 23-Jährige, die die Fachhochschulreife vorweisen kann, an einem eigenen Schreibtisch beim Energie-Optimierer. Von der Ausbildung zur Industriekauffrau sei sie zunächst nicht begeistert gewesen, "aber heute bin ich froh, dass ich es gemacht habe. Mit gefällt die Aufgabe und ich fühle mich total an- und aufgenommen", berichtet Jasmina Zibart.


Indes, die Beschäftigung von Menschen mit Handicap ist im Bezirk der Agentur für Arbeit Bergisch Gladbach, die Ausnahme. Die Mindestquote von fünf Prozent bei Jobs für Schwerbehinderte wird mit 4,6 Prozent nicht erfüllt, im Oberbergischen beträgt sie gar nur vier Prozent. Der Anteil der Schwerbehinderten an allen Arbeitslosen liegt in Oberberg bei 8,7 Prozent und ist sogar noch angestiegen (vor einem Jahr 8,1 Prozent). Schwerbehinderte sind auch wesentlich länger arbeitslos, als Menschen ohne Behinderung. Für ONI-Chef Wolfgang Oehm eine schlimme Entwicklung. Für ihn ist jeder Mitarbeiter wertvoll mit seinen individuellen Fähigkeiten. "Ich bin da vorbelastet und habe eine soziale Macke", schmunzelt der Firmenchef. Das Bild des Vaters, der beinamputiert aus Stalingrad nach dem Zweiten Weltkrieg nach Hause gekommen sei, habe ihn bis heute geprägt. Deshalb gebe er den Menschen, die oft berufsmäßig am Rande stünden, gerne eine Chance. "Sie zahlen es tausendfach zurück", ist Oehm sicher.

Und der ONI-Chef geht sogar noch weiter. Wenn es ihm nach ginge, müssten sich alle Unternehmensgründer einer Sozialprüfung als zwingende Voraussetzung für ihren Verantwortungsbereich unterziehen. "Und wer schlechter als die Schulnote 2 abschneidet, dürfte keine Genehmigung erhalten", ist Oehm rigoros und kann viele seiner Unternehmer-Kollegen nicht verstehen. Tatsächlich ist es eine Mischung aus Unwissenheit und grundsätzlicher Distanz, die dafür sorgen, dass Behinderte nur selten eingestellt werden. Zu einer Informationsveranstaltung hatte die Arbeitsagentur 1.500 Firmen angeschrieben, nur zehn wollten sich am Ende thematisch beraten lassen. Im  Zweifelsfall wird lieber die Zwangsabgabe bezahlt, wenn die Mindest-Quote für Schwerbehinderte in einem Betrieb nicht erfüllt wird.

Für den Vorsitzenden der Geschäftsführung der Arbeitsagentur, Marcus Weichert, steht fest, dass man noch intensiver in den Unternehmen aufklären muss. "Menschen dürfen nicht nach ihrem Handicap, sondern müssen nach ihren Fähigkeiten beurteilt werden." Es gebe heute sehr viele technische Hilfsmöglichkeiten, die dafür sorgten, dass Behinderungen keinerlei berufliche Einschränkungen bedeuteten. "Es ist doch beispielsweise völlig unerheblich, ob mein Telefonpartner laufen kann oder im Rollstuhl sitzt", sagt Weichert. Nötig sei ein gesellschaftliches Umdenken. Allerdings glaubte Weichert, dass sich künftig die Beschäftigungschancen von Menschen mit Handicaps erhöhen werden. "Die Digitalisierung des gesamten Lebens macht Menschen mit Behinderungen zu Gewinnern."
  
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