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Auf Schicht mit … Notaufnahmeleiter Wolfgang Kohl

fj; 4. Aug 2018, 08:00 Uhr
Bilder: Fenja Jansen/Klinikum Oberberg (Text 1) --- Wofgang Kohl ist der pflegerische Leiter der Notaufnahme am Kreiskrankenhaus Waldbröl.
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Auf Schicht mit … Notaufnahmeleiter Wolfgang Kohl

fj; 4. Aug 2018, 08:00 Uhr
Oberberg - Oberberg-Aktuell blickt hinter die Kulisse der Notaufnahme des Waldbröler Krankenhauses – Hier ist längst nicht jeder Patient ein Notfall, das Problem: Fast jeder hält sich aber dafür.
Von Fenja Jansen

Wolfgang Kohl ist Pendler, 31 Kilometer legt er jeden Morgen auf dem Weg vom Westerwald nach Waldbröl zurück – und dies seit 32 Jahren. „Das würde ich nicht auf mich nehmen, wenn mir meine Arbeit keinen Spaß macht“, sagt der pflegerische Leiter der Notaufnahme im Kreiskrankenhaus Waldbröl. Warum ihn sein Job auch nach über drei Jahrzehnten alles andere als langweilt? „Weil er so abwechslungsreich ist und man sich immer wieder auf neue Situationen einstellen muss“, sagt der 56-Jährige. Kaum ein Tag ist wie der andere - und selten beginnt er mit einer Tasse Kaffee.


[Die Waldbröler Klinik ist das Kardiologische Zentrum des Klinikum Oberbergs mit seinen Standorten Gummersbach, Marienheide, Bergisch Gladbach und Waldbröl. Hier hat man sich auf die Behandlung von Herzkrankheiten wie Herzinfarkt spezialisiert.]

So ist es auch heute: Als Kohls Dienst startet, erfordert schon der erste Notfall seine Aufmerksamkeit: Ein älterer Herr klagt über starke Schmerzen im Brustkorb und ein Engegefühl im Brustbereich. Da es sich hier um typische Anzeichen für einen Herzinfarkt handelt, ist nicht nur ein Rettungswagen losgeschickt worden, sondern auch ein Notarzt. Dieser hat sofort ein Elektrokardiogramm (EKG) durchgeführt. Es zeigt Hebungen. Ein weiteres Alarmzeichen. Nun muss alles ganz schnell gehen, bei einem Herzinfarkt zählt jede Minute: Je früher eine Therapie eingeleitet wird, desto weniger Muskelgewebe stirbt ab und desto höher ist die Überlebenschance. Darauf hat man sich in der Waldbröler Klinik spezialisiert: Sie ist das Kardiologische Zentrum des Klinikums Oberberg, zu dem neben Waldbröl auch die Krankenhäuser in Gummersbach, Marienheide und Bergisch Gladbach gehören. Alle akuten Herzinfarktpatienten werden entweder aus den anderen Häusern hierhin verlegt oder kommen, so wie am heutigen Morgen, direkt nach Waldbröl.

Schon auf der Anfahrt werden die Ergebnisse des EKG von der Besatzung des Rettungswagens ans Krankenhaus gefaxt und hier von einem Internisten begutachtet. Dieser informiert sich auch über die Krankengeschichte des Patienten, noch während dieser auf der Anfahrt ist. Gleichzeitig macht sich das Herzkatheter-Team bereit: „Hier handelt es sich um einen bestätigten Herzinfarkt, darum geht es für den Patienten nach der Ankunft in der Wagenhalle – hier kommen alle Liegendfahrten an – direkt in das Herzkatheter-Labor“, erklärt Kohl. Sofort geht es in den OP, wo ein Herzkatether gelegt wird. Je nach Verlauf dieses Eingriffs kommt der Patient nach dem Eingriff auf die Überwachungs- oder Isolierstation. Beide Stationen sind nur wenige Meter von der Notaufnahme entfernt und ebenerdig erreichbar. „Diese kurzen Wege schätzen die Mitarbeiter sehr. Denn wenn jede Sekunde zählt, bieten sie große Vorteile für die Patienten“, erklärt Kohl.


[Rettungswagen und Notarzt starten zu einem Einsatz.]

Die Entscheidung, welches Krankenhaus angefahren wird, ist abhängig von der jeweiligen Spezialisierung, der Entfernung und dem Zustand des Patienten, erklärt der gelernte Krankenpfleger weiter. Doch ungeachtet der Tastsache, wo welche Klinik im Verbund ihren Schwerpunkt hat: Die jeweiligen Notaufnahmen sind interdisziplinär. Sie nehmen jeden Patienten auf, egal ob es sich am Ende um ein chirurgisches oder psychologisches Problem handelt.

Darum haben auch Kohl und sein Team mit allen Patienten, aber auch vielen verschiedenen Ärzten zu tun. „Aufnehmen und überwachen“, beschreibt Kohl kurz und präzise die Aufgaben eines Pflegers in der Notaufnahme. Bettenmachen, waschen, Essen bringen – diese, oft typischen Aufgaben eines Gesundheits- und Krankenpflegers entfallen auf der Notaufnahme komplett. Stattdessen kennzeichnet hoher Entscheidungsdruck und ein unvorhersehbares Patientenaufkommen den Arbeitsalltag. Auch deshalb gibt es für die Notfallpflege spezielle Kurse und Weiterbildungen.


[Links die Wagenhalle: Hier kommen Liegendfahrten an, die Patienten werden vom Rettungswagen aus direkt zum Stützpunkt gebracht. Links der Eingang für Menschen, die selbstständig zur Notaufnahme gekommen sind. Für sie führt der erste Weg zur Anmeldung.]

Ein wirklicher Notfall, erklärt Kohl, sei dabei längst nicht jeder, der in die Notaufnahme kommt. Seine persönliche Einschätzung ist erschreckend: Nur rund 35 Prozent der Menschen, die in die Notaufnahme kommen, sind echte Notfälle. „Wir haben schon erlebt, dass sich Menschen mit Husten und Schnupfen vom Rettungswagen in die Notaufnahme bringen lassen. Und dann argumentieren, dass der Besuch beim Hausarzt nicht in den Terminkalender gepasst hat oder es den nächsten freien Termin beim Fachharzt erst in sechs Wochen gab “, erzählt Kohl.


Um zu verhindern, dass solche „Fälle“ zu Verzögerungen führen, die den echten Notfällen gefährlich werden können, gehört es zu den wichtigsten Aufgaben in der Notaufnahme, Patienten, die sofort Hilfe brauchen, von denen zu unterscheiden, die gefahrlos noch etwas warten können. Hierzu wird derzeit auch in Waldbröl das Manchester-Triage-System (MTS) eingeführt.


[Alle Patienten werden in der Notaufnahme zunächst mittels Manchester-Triage-System in Dringlichkeitsstufen eingeteilt. Auf dem Bildschirm erkennen Ärzte und Pfleger, welcher Patient wie schnell angesehen werden muss.]

Es handelt sich dabei um ein standardisiertes Verfahren zur Ersteinschätzung in der Notaufnahme. Kommen Patienten selbstständig in die Notaufnahme, werden ihre Symptome bei der Anmeldung abgefragt. Patienten, die mit dem Rettungswagen gebracht werden, werden zunächst von einem Arzt untersucht. Dann werden erste Untersuchungen durchgeführt, wie Fieber oder Blutdruck gemessen, wenn nötig ein EKG durchgeführt. Anhand all dieser gesammelten Daten wird der Patient dann eingruppiert und ihm eine maximale Wartezeit zugeordnet. „Rot bedeutet, dass er nicht warten kann. Diese Fälle bekommen absolute Priorität, denn hier zählt jede Sekunde“, so Kohl.

Welcher Patient welcher Gruppe zugeordnet wurde, zeigt ein Computerbildschirm, der gut sichtbar im sogenannten Stützpunkt der Notaufnahme hängt. In diesem Raum mit großer Fensterfront herrscht ein ständiges Kommen und Gehen. Ärzte und Pfleger geben sich die Klinke in die Hand, den Takt gibt das MTS vor. Internisten der unterschiedlichen Fachrichtungen haben hier ihre Arbeitsplätze. An der Wand sind Monitore angebracht, mit denen die Kreislauffunktionen der Patienten überwacht werden. Geht es ihnen noch gut? Stimmen alle Werte? Wenn ein Rettungswagen-Team, gar in Begleitung eines Notarztes, einen Patienten zum Stützpunkt bringt, geht alles ganz schnell. Direkt vor dem Stützpunkt werden die Patienten versorgt und weitergeschickt: zum Röntgen, in den Schockraum oder direkt in den OP oder auf die Intensivstation.   


[Der Stützpunkt ist das Herz der Notaufnahme. Hier laufen alle Informationen zusammen, es herrscht ein stetiges Kommen und Gehen.]

Wie viele Patienten hier als sogenannte Liegendfahrten eintreffen, und direkt von der Wagenhalle zum Stützpunkt gebracht werden, bekommen die Menschen, die selbstständig in die Notaufnahme gekommen sind und nach der Anmeldung im Wartebereich Platz genommen haben, gar nicht mit. Manch einer, der genervt auf die Uhr schaut, weiß nicht, dass ein Team aus Ärzten und Pflegern nur wenige Meter entfernt um das Überleben eines Menschen kämpft. Ebenso wissen viele Wartende nicht, dass sie schon längst eingestuft worden sind – und ihnen vielleicht die Farben Grün oder gar Blau zugeteilt worden sind. „Im MTS bedeutet blau, dass ein Patient als ‚nicht dringender Fall‘ eingestuft worden ist und durchaus bis zu 120 Minuten warten kann“, erklärt Kohl. Diese Kategorie wird an Menschen vergeben, die problemlos zu einem späteren Zeitpunkt von einem niedergelassenen Arzt hätten behandelt werden können.


[In jedem Untersuchungsraum sind Medikamente und Verbandsmaterial direkt griffbereit.]

Dass Menschen mit Kleinigkeiten in die Notaufnahme kommen, ist laut Kohl schon lange keine Seltenheit mehr. „Natürlich liegt dies einerseits daran, dass es immer weniger niedergelassene Ärzte gibt und die Menschen kaum mehr zeitnahe Termine bekommen. Aber auch die Mentalität hat sich verändert“, findet Kohl. Die Erwartung, dass auch Bagatellverletzungen mit der gleichen Priorität wie beispielsweise ein Herzinfarkt behandelt werden, ist deutlich gestiegen.Insbesondere bei den jüngeren Patienten, den Generationen „Google“ und „Smartphone“, erlebe es Kohl häufig, dass mit Hilfe des Internets schon zu Hause eine „Diagnose“ erstellt wurde. „Und dann wird erwartet, dass man hier genauso behandelt wird, wie Dr. Google es vorgeschlagen hat“, sagt Kohl. Würde diese Erwartungshaltung dann nicht erfüllt, fallen teils alle Hemmungen: „Da flogen hier schon Hocker durch die Flure und auch Handgreiflichkeiten sind nicht selten. Da hilft es nur noch, Ruhe zu bewahren und gegebenenfalls die Polizei zu rufen.“

Auf die Frage, ob ihn dieses Verhalten wütend mache, stellt Kohl eine Gegenfrage: „Was würde es in so einer Situation nützen, wenn ich emotional reagiere? Nichts, es käme nur noch schneller zur Eskalation“. Taff müsse man sein, als Pfleger in der Notaufnahme. Sich nicht alles zu Herzen zu nehmen, sondern einen kühlen Kopf und damit den Überblick behalten zu können, seien Eigenschaften, die es im Job braucht. „Das fällt erfahreneren Kollegen natürlich leichter. Darum achte ich bei der Schichtplanung immer darauf, dass nicht nur junge, unerfahrene Kollegen auf einer Schicht arbeiten, sondern immer auch ein erfahrener Kollege dabei ist. Und ich suche das Gespräch mit den Kollegen, die sich solche Situationen zu sehr zu Herzen nehmen“, sagt der Leiter der Notaufnahme. Längst gibt es aber auch Fortbildungen und Workshops zum Thema Deeskalation, extra für Krankenpfleger – Wutausbrüche in der Notaufnahme sind eben längst keine Seltenheit mehr.

Kohl verarbeitet solche Situationen während der Autofahrt. „Manchmal hat es auch etwas Gutes, zu pendeln. Bis ich zu Hause bin, habe ich den Kopf frei.“ Doch manchmal schafft es auch der professionelle und erfahrene Krankenpfleger nicht, den Hebel nach Feierabend umzulegen. „Besonders wenn es um Kinder geht, hängt mir das lange nach. Wenn das Leben eines Kindes trotz aller Anstrengungen nicht gerettet werden konnte, ist das furchtbar – schließlich hatte es sein ganzes Leben noch vor sich“. Dann hilft ihm seine Familie, die Verständnis hat, oder das Radeln als ausgleichendes Hobby über das Erlebte hinweg.


[Jeder Untersuchungsraum ist mit einer Liege, einem Absauger und einem EDV-Arbeitsplatz ausgestattet und wird zentral überwacht. Auch Verbandsmaterial und Medikamente finden sich in jedem Raum.]

Angesichts solch echter Notfälle ist es vor allem eins, was er sich für seinen Beruf wüscht: Respekt. „Wenn jeder denkt – ich bezahle Krankenkasse und darum tust du jetzt sofort, was ich sage – ist das eine Form von Respektlosigkeit. Genau wie bei Ärzten oder Feuerwehrleuten ist es die Aufgabe eines Krankenpflegers, sich zuerst um den Menschen zu kümmern, der am dringendsten Hilfe braucht. Wenn jeder meint, das sei er selber, ist auch das eine Form von Respektlosigkeit – gegenüber unserem Beruf und den Mitmenschen, die wirklich in Not sind“, findet Kohl, dessen Schicht sich nun dem Ende zuneigt.

Dass er morgen einen Dienst auf der Notaufnahme nur mit echten Notfällen erlebt, hält er für unwahrscheinlich. Trotzdem wird er auch morgen die 31 Kilometer bis zum Krankenhaus gerne zurücklegen. Denn auch wenn er seit dem 1. April 1986 in der Waldbröler Notaufnahme arbeitet weiß er: Auch der morgige Tag hält viele spannende, herausfordernde und wichtige Aufgaben für ihn und seine Kollegen bereit, die es zu meistern gilt.

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