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Wenn das Kartenhaus einstürzt

bv; 27. Jul 2018, 08:00 Uhr
Bild: Bernd Vorländer --- Christiane Zwetsloot berät die Hilfesuchenden in der Wohnhilfen-Geschäftsstelle in Gummersbach.
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Wenn das Kartenhaus einstürzt

bv; 27. Jul 2018, 08:00 Uhr
Oberberg – Die Wohnhilfen Oberberg kümmern sich um Notlagen von Menschen, die Sorge haben, ihre vier Wände zu verlieren – Zahl der Hilfesuchenden ist 2017 drastisch gestiegen.
Von Bernd Vorländer


Gunter S. hatte eigentlich alles, was man gemeinhin zum Leben benötigt. Eine Familie, einen Arbeitsplatz, einen Mittelklassewagen, eine schöne Wohnung. Ein Urlaub war schon mal genauso drin wie die eine oder andere Anschaffung. Alles also, wie man sich das wünscht. Doch die heile Welt zeigte erstmals Risse, als der 54-Jährige vor sechs Jahren arbeitslos wurde. Umstrukturierung nannte man es, Aussortieren älterer Arbeitskräfte trifft es besser. Danach kam Gunter S. jobtechnisch nur schwer auf die Beine. Seine Ausbildung passte nicht zu den geforderten Qualifikationen auf dem Arbeitsmarkt. Das Familieneinkommen sank rapide, die Beziehung litt, Spannungen nahmen zu, die Kinder waren längst aus dem Haus. Als die Ehefrau ihre Koffer packte, verlor der 54-Jährige endgültig den Boden unter den Füßen. Zu allem Frust kamen Mietrückstände hinzu, dann die Kündigung und die Androhung der Zwangsräumung. Abpfiff, so fühlte sich das für ihn an. Im Aufzug nach unten ohne die Möglichkeit auszusteigen. Irgendjemand gab ihm eine Adresse in die Hand, dort solle er sich mal melden. Wie er, der schon seit Monaten aufgehört hatte, Briefe zu öffnen, und der sich immer mehr abgekapselt hatte, irgendwann den Weg zum Büro der Wohnhilfen Oberberg in Gummersbach fand, weiß er nicht mehr.

„Diese Lebensgeschichten kennen wir zur Genüge“, sagt Susanne Hahmann, Geschäftsbereichleiterin der Wohnhilfen Oberberg, die mit ihren drei Standorten in Wipperfürth, Gummersbach und Waldbröl das gesamte Kreisgebiet abdeckt. Als Projekt der Diakonie Michaelshoven kümmert man sich im Auftrag von Oberbergischem Kreis und Landschaftsverband Rheinland um Menschen in Wohnungsnot, Wohnungslose und weitere Krisen- und Notsituationen. Dabei hat die Zahl der Hilfesuchenden mit 1.592 Frauen und Männern im vergangenen Jahr deutlich zugenommen (2016 noch 1.326 Hilfesuchende). Und es wird immer schwieriger, Menschen in Wohnungen zu vermitteln, denn es fehlt auch in der Region bezahlbarer Wohnraum. Wie dramatisch ein Wohnungsverlust für den einzelnen ist, macht Susanne Hahmann klar: „Ohne Wohnung ist alles nichts. Man verliert Heimat, Sicherheit, Schutz, quasi das Zentrum seines Lebens“, so die gelernte Sozialarbeiterin. Ohne Wohnung sei das Risiko, dauerhaft in Armut zu fallen, um ein Vielfaches höher.

Dass immer mehr Menschen diese Probleme haben, hat Gründe. Wo früher Familien schwierige Lebenssituationen aufgefangen haben, nimmt heute der Trend zu Individualisierung und damit auch zu drohender Vereinsamung zu. Bricht dann ein Mosaikstück der sogenannten heilen Welt weg, stürzt nicht selten das ganze Kartenhaus ein. Die Wohnhilfen mit ihren 67 Mitarbeitern versuchen mit unterschiedlichen Angeboten Lösungen zu finden. In der Fachberatung Wohnungsnot wird bei konkreten Anfragen geholfen, eine neue Wohnung zu finden oder die bisherige Wohnung zu halten. Ansprüche gegenüber Behörden werden geklärt, Gespräche mit Vermietern geführt, Perspektiven erarbeitet. In der Regel kommen Hilfesuchende auf die Mitarbeiter in den drei oberbergischen Standorten zu. Daneben gibt es die präventiven Hilfen, ein Modellprojekt, das vom Sozialministerium NRW unterstützt wird. Die Mitarbeiter der Wohnhilfen erfahren etwa von den Amtsgerichten über drohende Zwangsräumungen und nehmen von sich aus Kontakt mit den Menschen auf. Schließlich widmet man sich im Projekt „Aufsuchende Arbeit“, den Betroffenen, die ganz auf eine eigene Wohnung verzichten (müssen) und in Notunterkünften oder auf der Straße leben. Darüber hinaus werden ambulante Betreuungen angeboten. „Wir schauen da einmal in der Woche nach dem Rechten“, so Susanne Hahmann. Das gilt im Übrigen auch bei den Wohnsituationen von sucht- und psychisch kranken Menschen. Und neben dem Haus Segenborn verfügt man nun auch in der Kreismitte und im Norden über Wohnplätze und Wohngruppen, um besondere soziale Schwierigkeiten und Notlagen zu überwinden.

Die Bereitschaft zur Unterstützung sei bei allen Mitarbeitern der Wohnhilfen Oberberg vorhanden. Doch mithelfen muss auch jeder Betroffene. „Wir können nur helfen, wenn sich jemand helfen lassen will“, sagt Hahmann. Manchmal müsse man sich auch eingestehen, dass es bei bestimmten Fällen keine Fortschritte gebe. Doch das ist die Ausnahme. In der Regel könne man Positives für die Menschen bewirken. So wie auch bei Gunter S. Er hat die Kurve bekommen. Mit Hilfe der Berater fand er eine kleinere Wohnung, die bezahlbar war. Er schöpfte neue Hoffnung und freute sich nach etlichen Anläufen über einen neuen Arbeitsplatz in der näheren Umgebung. „Solche Geschichten, die gut ausgehen, geben uns immer wieder das Gefühl, dass wir hier eine wichtige Arbeit machen“, meint Susanne Hahmann.

Standorte der Wohnhilfen Oberberg:

Hochstraße 14, Wipperfürth, Tel.: 02267/655 775-0  

Karlstr. 1, Gummersbach , Tel.: 02261/96 90 60

Pulvermühle 1, Waldbröl, Tel.: 02295/91800  

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