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Wenn Helfer zu Opfern werden

fj; 14. Nov 2017, 14:02 Uhr
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Wenn Helfer zu Opfern werden

fj; 14. Nov 2017, 14:02 Uhr
Oberberg - „Angespuckt, bedroht oder geschubst zu werden gehört zum Alltag“, sagt der Leiter des Rettungsdiensts im Gespräch mit OA: Gewalt gegen Rettungskräfte und Polizeibeamte ist auch im Oberbergischen keine Seltenheit.
Jeder achte Retter wurde schon einmal Opfer von körperlicher Gewalt. Dies geht aus einer Studie (weitere Informationen siehe unten) hervor, bei der Einsatzkräfte von Feuerwehr und Rettungsdienst zu ihren Gewalterfahrungen im Einsatz befragt wurden. Schaut man auf die verbale Gewalt, sind es sogar über die Hälfte der Einsatzkräfte, die entsprechende Erfahrungen gemacht haben. 60 Prozent gaben an, schon einmal beleidigt oder bedroht worden zu sein. „Angespuckt, bedroht oder geschubst zu werden ist für uns Alltag“, erklärt Dr. Ralf Mühlenhaus, dass auch Gewalt gegen oberbergische Rettungskräfte für ihn nichts Neues ist. Schon seinen Zivildienst leistete Mühlenhaus im Rettungsdienst, nach einem Medizinstudium ist der Facharzt für Chirurgie und Notarzt heute Leiter des Amts für Rettungsdienst, Brand- und Bevölkerungsschutz im Oberbergischen Kreis.

Nicht die Quantität, sondern die Qualität der Angriffe auf Sanitäter und Notärzte hat im Oberbergischen seiner Meinung nach zugenommen. „Prügeleien werden immer brutaler und enthemmter, oft kommen Waffen zum Einsatz. Richtet sich diese Gewalt in einem Einsatz gegen Kollegen, bekommen auch sie zu spüren, dass Hemmungen und Rücksicht nachgelassen haben.“ Grundsätzlich unterscheidet er zwei Arten von Gewalt gegen Sanitäter: Die Gewalt, die vom Patienten selber ausgeht und die, die durch das Eingreifen dritter Personen entsteht. „Dass Patienten uns verbal oder körperlich angreifen, kommt besonders häufig im Drogen- oder Trinkermilieu vor,“ erklärt Mühlenhaus und erinnert sich an einen Patienten, der sich so heftig gegen eine Behandlung wehrte, dass Möbel zu Bruch gingen, sein Kittel zerrissen wurde und ihm die Brille von der Nase geschlagen wurde. Hier spielt die Erfahrung eine wichtige Rolle. „Wenn von einer Eskalation auszugehen ist, wird die Polizei direkt mitalarmiert“.

Als „ortsgebunden“ und „saisonal“ beschreibt er die Gewalt gegen Rettungskräfte im Oberbergischen. „Brennpunkte sind zum Beispiel der Bahnhof oder verschiedene Discotheken in Gummersbach sowie der Marktplatz in Wipperfürth, wo es besonders viele Kneipen gibt. Hier müssen wir mehr damit rechnen, auf ein gewaltbereites Klientel zu stoßen, als anderswo.“ Bei saisonbedingten Veranstaltungen wie beispielsweise im Karneval oder bei Schützenfesten nähme dieses Risiko dann noch einmal zu. Kein Wunder also, dass die Rettungskräfte sich Schulungen zu den Themen „Gewalt“ und „Deeskalation“ wünschten. Diese werden seit ungefähr acht Jahren angeboten. Auch Selbstverteidigung wurde zwischenzeitlich geübt. „Aber das Hauptthema in den Fortbildungen sollte die Notfallmedizin bleiben, auch darum haben wir uns von Selbstverteidigungskursen mittlerweile wieder verabschiedet“, erklärte Mühlenhaus.

Er ist sich zudem sicher: Greift eine Person, die vielleicht auch noch unter dem Einfluss von Drogen oder Alkohol steht, an, ist der Rückzug die sicherste Verteidigung. „Aber genau das geht bei uns ja eben nicht – wir sind schließlich da, um zu helfen“. Und so kann er von einer ganzen Reihe von massiven Angriffen auf sich selbst oder Kollegen berichten. „Teilweise mussten die Verletzungen im Krankenhaus behandelt werden. Zu einem längeren Arbeitsausfall oder Langzeitfolgen kam es im Oberbergischen zum Glück noch nicht, ich weiß aber, dass dies woanders durchaus vorkommt“, so der leitende Notarzt.

Vorübergehend dienstunfähig, weil sie in ebendiesem Dienst verletzt wurden, waren im vergangenen Jahr auch 22 Beamte der oberbergischen Polizei. Insgesamt wurden zwischen Januar und September 2016 28 Polizisten verletzt, ebenso viele waren es im gleichen Zeitraum in diesem Jahr. „Im Zeitraum Januar bis August 2017 hatten wir bereits 68 Delikte zum Nachteil oberbergischer Polizeibeamter. Darunter Widerstand gegen Polizeibeamte, Nötigung, Bedrohung und Köperverletzung“, berichtet Polizeisprecher Michael Tietze. Die Kriminalstatistik des Landes Nordrhein-Westfalen berichtet in 2016 von 8.955 Fällen von Gewalt gegen Polizisten – eine Zahl die zeigt, wie häufig die, die helfen wollen, selber Opfer werden.

Zur Studie: Im Mai und Juni 2017 wurden 810 Einsatzkräfte von Feuerwehr und Rettungsdiensten in Nordrhein-Westfalen befragt. Durchgeführt wurde die Erhebung durch den Lehrstuhl für Kriminologie der Ruhr-Universität Bochum mit Unterstützung des Ministeriums des Innern sowie des Ministeriums für Arbeit, Gesundheit und Soziales des Landes Nordrhein-Westfalen, der Unfallkasse NRW und der „komba gewerkschaft nrw“. Vorgestellt wurden die Ergebnisse auf der Internetseite der Polizei NRW.
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