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Kamikaze in der Kreisstadt

bv; 4. Nov 2017, 11:15 Uhr
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Kamikaze in der Kreisstadt

bv; 4. Nov 2017, 11:15 Uhr
Gummersbach - Die Entlassung von VfL-Trainer Dirk Beuchler macht den oberbergischen Bundesligisten zum Schleudersitz-Verein, wirft aber auch Fragen nach Verantwortung und Führung auf.
Nein, die sportliche Situation des VfL Gummersbach ist alles andere als zufriedenstellend. Vier Punkte aus elf Spielen bedeuten den vorletzten Tabellenplatz. In einer anderen Disziplin erreicht der ruhmreiche Klub aus der Kreisstadt allerdings Bestwerte. Kein anderer Verein in der Beletage des deutschen Handballs schaffte es in derart kurzem Abstand so viele Trainer zu verschleißen. Denis Bahtijarevic ist der vierte Coach in rund sieben Monaten, der sich nach Emir Kurtagic, Sead Hasanefendic und Dirk Beuchler an und mit der Mannschaft versuchen darf. Der Gummersbacher Trainerstuhl ist inzwischen ein Schleudersitz. Von der Solidität und Stabilität der Vergangenheit ist der Verein mittlerweile Lichtjahre entfernt. Der Rauswurf von Dirk Beuchler nach nur vier Monaten ist insofern auch ein Ausdruck von Hilflosigkeit und Aktionismus.

Richtig ist, dass die sportliche Bilanz nach einem Drittel der Saison ernüchternd wirkt. Es gibt einige ganz gute Ansätze, aber zu oft vermittelt die Mannschaft den Eindruck eines zusammengewürfelten Haufens. Der Anteil technischer Unzulänglichkeiten im VfL-Spiel ist erschreckend, fehlende Lösungsmöglichkeiten in Abwehr und Angriff ebenfalls. Aber kommt das wirklich überraschend und ist dies gänzlich die Verantwortung des Trainers? Die Punkte-Ausbeute Beuchlers ist in der Tat unzufriedenstellend, aber wer ein Team übernimmt, das aus vielen neuen Akteuren besteht, die aus allen Himmelsrichtungen Europas zum Teil ohne deutsche Sprachkenntnisse verpflichtet wurden, braucht vor allem Zeit. Die hat man Beuchler nicht gegeben. Dass mit Simon Ernst ein Schlüsselspieler seit Saisonbeginn ausfällt und man weitere Langzeitverletzte beklagen muss, kam für Beuchler erschwerend hinzu.

Die personellen Rochaden der vergangenen Monate werfen jedoch auch Schatten auf die VfL-Verantwortlichen im Hintergrund. Die bezeichneten Beuchler noch zu Jahresbeginn als Hauptgewinn, priesen seine Internationalität, wollten mit ihm Großes erreichen, mittelfristig sogar wieder ins internationale Handballgeschäft zurückkehren. Nicht zum ersten Mal liegt man im Beirat daneben, stehen Wunsch und Wirklichkeit in einem ungesunden Verhältnis. Von einer Handball-Ikone wie Heiner Brand ist inzwischen auch nichts mehr zu hören.

Dass die neuerliche Trainer-Entlassung auch drastische finanzielle Auswirkungen hat, liegt auf der Hand. Schon als man im Mai Ex-Manager Frank Flatten den Stuhl vor die Tür stellte, musste der VfL eine Abfindung auf den Tisch legen. Die dürfte bei Beuchler, der noch einen Vertrag bis zum Jahr 2020 hatte, einen satten sechsstelligen Betrag umfassen. Die Flatten-Stelle wurde im vergangenen Sommer zudem doppelt mit sportlichem Leiter und Geschäftsführer besetzt. Ein neuer Haupt-Sponsor ist nicht in Sicht und die Alt-Schulden drücken nach wie vor. Bei den Zuschauerzahlen verzeichnet man erhebliche Einbrüche, die SCHWALBE arena war bislang in dieser Saison nicht einmal ausverkauft, trotz zum Teil namhafter Gegner.

Man wird das Gefühl nicht los, dass der VfL Gummersbach auf einen Abgrund zurast. Während in der Verkennung der Wirklichkeit immer noch rosarote Zukunftsschlösser gebaut werden, hat sich längst ein tristes November-Grau im  Gummersbacher Alltag festgesetzt. Und allzu weit ist man von einem Trauer-Schwarz gar nicht mehr entfernt.  
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