Archiv

Willkommen in der blau-weißen Realität

bv; 10. Jun 2017, 20:00 Uhr
ARCHIV

Willkommen in der blau-weißen Realität

bv; 10. Jun 2017, 20:00 Uhr
Gummersbach - Für den VfL endet eine gruselige Saison mit dem Klassenerhalt - Statt europäischer Tagträumereien ist den Verantwortlichen mehr Realitätssinn zu wünschen.
Endlich im Ziel, endlich ist diese Spielzeit für den oberbergischen Handball-Bundesligisten VfL Gummersbach vorüber. Sie glich irgendwie einem Formel I-Rennen. Nach dem Start und der ersten Kurve war man noch in der Spitzengruppe dabei, wurde dann jedoch reihenweise von Konkurrenten überholt und erreichte mit Ach und Krach das Ziel - ziemlich zerbeult, aber immerhin ohne Totalschaden. Der Motor hatte immer wieder Zündaussetzer, Fahrer und Team harmonierten nicht zusammen, Boxenstopps brachten keine wesentliche Verbesserung. Zwei Trainer und ein Manager wurden verschlissen, die Zeitpunkte der Trennungen waren sehr fragwürdig. Doch das rheinische Grundgesetz des "Et hät noch immer jot jejange" fand auch diesmal wieder eine Bestätigung im wahren Leben.


Der VfL Gummersbach steht zu Beginn der kommenden Saison vor einem Umbruch. Da gilt es, mit beiden Beinen auf dem Boden der Realität zu stehen, das Wünschbare dem Machbaren unterzuordnen und die Zukunft anhand eines funktionierenden Kompasses zu justieren. Doch es bleiben erhebliche Zweifel, ob man dies in der Kreisstadt genauso sieht:

Ja - der VfL ist der Dino der Handball-Bundesliga, seit 1966 in der Beletage des deutschen Handballs dabei, hat zwölfmal den Deutschen Meistertitel geholt. Aber hilft das heute, im Jahr 2017, bei der Sponsorensuche? Nein. Der letzte Meistertitel liegt 26 Jahre zurück und es bedarf schon einer besonderen regionalen Verbundenheit, um Geld in den VfL Gummersbach zu stecken. Es wäre ein ungeheurer Glücksfall, würde man ein nationales oder gar internationales Unternehmen für eine Investition in der Provinz gewinnen können.

Nein - träumen ist nicht verboten, aber Tagträumereien sind bei der Suche nach dem richtigen Zukunftsweg eher hinderlich. Wer davon spricht, man werde zeitnah in der Kreisstadt Großes erleben - gemeint sind sportliche Erfolge ungeheuren Ausmaßes - gaukelt sich und anderen etwas vor. In der Realität haben - um nur mal einen Vergleich anzustellen - viele Basketball- und Eishockey-Bundesligisten, aber auch die meisten Fußball-Drittligisten einen höheren sportlichen Etat als der VfL Gummersbach zur Verfügung. Das bedeutet, dass andere Vereine und Sportarten einen erheblich höheren Werbewert besitzen, den man im Oberbergischen unter normalen Umständen kaum erreichen kann. Ob sich dies ändern lässt, ist ungewiss. Eines noch: Nein, Gummersbach ist keine Handballstadt. Dieser Akzent ist falsch gesetzt. Gummersbach ist eine Universitätsstadt mit einer großen Handball-Vergangenheit, deren Handballverein zum Glück immer noch in der Bundesliga spielt.

Ja, auch die kommende Saison wird für den VfL Gummersbach schwierig. Der neue Coach Dirk Beuchler muss ein stark verändertes Team auf die Spielzeit 2017/18 vorbereiten und der Mannschaft eine Spielidee einimpfen. Gerade auf den Rückraumpositionen gehen wichtige Akteure oder wechseln ins Management. Die Findungsphase dürfte Zeit benötigen. Angesichts begrenzter finanzieller Möglichkeiten und sportlicher Limitierung kann es für den VfL nicht um Europa, sondern von vornherein nur darum gehen, den Abstand zu den Abstiegsplätzen möglichst schnell möglichst groß werden zu lassen. Platz 10 wäre unter diesen Umständen schon ein großer Erfolg.

Nein, die Verzahnung von Bundesligabetrieb und Jugend-Akademie ist alles andere als gelungen. Bis auf eine Ausnahme hat bislang kein Absolvent der Akademie den dauerhaften Sprung in den Profikader geschafft. Offenbar lässt die Anschlussförderung nach dem Jugendbereich sehr zu wünschen übrig. Das Experiment, Spieler in der Zweiten Liga beim TuS Ferndorf einzusetzen, kann nach dem Abstieg der Siegerländer als gescheitert angesehen werden. Trainer, Sportdirektor und Akademie-Verantwortliche werden rasch Lösungen finden müssen.

Ja, die Zuschauer in der SCHWALBE arena sind sensationell und weit entfernt von einem erfolgsverwöhnten Operetten-Publikum. Trotz teilweise sehr schwachen Leistungen stand man wie eine blau-weiße Wand hinter dem VfL. Den Fans ist man auch künftig ehrlichen Sport schuldig und sollte nicht mit Wolkenkuckucksheimen Hoffnungen wecken, die nicht erfüllbar sind.
  
WERBUNG