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„Herr Assad, leben wir auf demselben Planeten?“

th; 21. Jan 2017, 20:17 Uhr
Bild: privat --- Die syrische Hauptstadt Damaskus gilt als eine der ältesten Städte der Welt sowie ein kulturelles und religiöses Zentrum des Orients.
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„Herr Assad, leben wir auf demselben Planeten?“

th; 21. Jan 2017, 20:17 Uhr
Oberberg – Kürzlich gab der syrische Präsident Baschar al-Assad ein Interview – Tarafa al Harabat, vor dem Assad-Regime aus Syrien geflohen und nun Praktikant bei OA, antwortet Assad ganz persönlich.
Sie leben seit Monaten, einige seit über einem Jahr in unserer Mitte. Flüchtlinge aus Syrien, die in Deutschland nicht mehr um ihr Leben fürchten müssen. Aber der Blick in die Heimat ist obligatorisch. Das menschenverachtende Regime des syrischen Präsidenten, das Morden islamistischer Unmenschen, die Sorge um die Familie - all das lässt sie nicht los. So auch Tarafa al Harabat. Der syrische Journalist arbeitet seit einigen Monaten für Oberberg-Aktuell und hat diese sehr persönlichen Zeilen als Kommentar verfasst.

Von Tarafa al Harabat

"In den 1970er Jahren putschte sich Hafiz al Assad an die Macht in Syrien. Seitdem, also über 45 Jahre, flossen die Steuer- und Staatseinnahmen vor allem in die syrische Arme, zur Vorbereitung eines angeblich „finalen“ Krieges gegen Israel. 2011 übernahm Baschar al-Assad das Amt des Präsidenten von seinem Vater. Als die Proteste gegen ihn starteten, schrieben die Assad-Anhänger auf viele Wände den Satz: „Assad, oder das Land soll brennen.“ Als Assad gegen die Proteste vorging und sein eigenes Volk bekämpfte, war die Weltöffentlichkeit empört. Als Erklärung ließ Assad verlauten, sein Kampf gelte Terrororganisationen wie der Al-Kaida. Als Syrer habe ich mich gefragt, wie ist das passiert? Wie konnte eine Terrorgruppe unsere Grenze überqueren? Über 45 Jahre haben Sie Waffen angehäuft. Und trotzdem konnten Sie ihr Volk nicht schützen?

Nun möchte ich Ihnen sagen, Herr al-Assad: Wenn Sie es nicht geschafft haben, ihr Volk in den vergangenen sechs Jahren Ihrer Regierungszeit zu schützen, gehen Sie! Sie haben dieses Land tatsächlich verbrannt. Wir wollen keinen gottähnlichen Präsidenten mehr, sondern einen Präsidenten, der dem Volk dient.

Am 9. Januar gab Assad dem französischen Radiosender RTL ein Interview. Als syrischer Bürger möchte ich ihm antworten und ihm meine Fragen stellen:

Auf die Frage des französischen Journalisten, wie es sich anfühlt, hunderte Zivilisten auf Fotos zu sehen, die durch den eigenen Luftbeschuss getötet wurden, wie es in Aleppo passiert ist, antwortete Assad, dass es natürlich keine guten Kriege gebe. Die Frage sei jedoch, wie man die Menschen in Aleppo anders von den Terroristen hätte befreien können. Da kann ich nur fragen: Ist das wirklich Ihre Meinung, Herr Assad? Tausende von Kindern, Frauen und alten Menschen zu töten nennen Sie einen Sieg über den Terror? Jeder von uns weiß, dass die richtige Terrorgruppe, der Islamische Staat (IS), die Städte im Norden terrorisiert. Warum also greifen sie nicht Ar-Raqqa im Osten des Landes an? Und warum kaufen Sie Rohöl vom IS?

Eine weitere Frage im Interview lautete, ob Assad bereit sei, während der Friedensgespräche auch mit den oppositionellen Fraktionen zu sprechen. Seine Antwort lautete: Es kommt darauf an, wer die andere Seite vertritt und ob es die „echte syrische Opposition“ sei. Er sei nicht bereit zu verhandeln, wenn die Opposition ihre Wurzeln nicht in Syrien hat und ihre Anfänge in Saudi-Arabien, Frankreich oder Großbritannien liegen.

Da hätte ich eine Frage, Herr Assad: Glauben sie wirklich, dass diese Entscheidung bei Ihnen liegt? Was werden Russland, Iran und Irak dazu sagen, die Sie ja in unser Land geholt haben? Was wird die Hisbollah tun, die unter Ihren Augen in einem religiösen Rachefeldzug Sunniten tötet, die bislang friedlich und Seite an Seite mit anderen Religionen in Syrien gelebt haben? Was haben wir noch mit diesen religiösen Konflikten zu tun, deren Ursprung 1.300 Jahre zurückliegt? Das ist doch alles nicht mehr unser Problem! Warum wollen Sie nicht von Ländern wie Frankreich, Großbritannien oder Saudi-Arabien lernen, von Staaten, die so viel besser regiert werden als Syrien? Warum schicken Sie Ihre Minister zur Ausbildung in den Irak? Diesen religiös geprägten Regierungsstil wollen wir in Syrien nicht!

Auf die Frage, ob Assad bereit wäre, über seine Position als Präsident zu verhandeln, antwortete er, dass diese an die Verfassung geknüpft sei. Wenn die Frage seiner Präsidentschaft diskutiert werden solle, müsse auch die Verfassung diskutiert werden. Diese gehöre aber dem syrischen Volk, weswegen jegliche Verfassungsänderung an ein Referendum geknüpft sei.

Da muss ich mich fragen, ob wir, Sie und ich, Herr Assad, auf demselben Planeten leben. Welche Verfassung meinen Sie? Die, die Syrien zu einem der gefährlichsten Länder der Welt gemacht hat? Oder die, die Syrien die Angriffe Russlands beschert hat? Oder das Gesetz, das uns die Kultur der islamischen Revolution des Irans gebracht hat? Von den Menschen, die Sie getötet haben, oder den syrischen Flüchtlingen, die verstreut in der ganzen Welt nach Schutz und Hoffnung suchen, will ich gar nicht erst reden. Wir Syrier glauben nicht mehr an Sie, sondern an andere Menschen und andere Verfassungen. Wir wollen keine islamistisch geprägte Kultur nach iranischem Vorbild, sondern eine nach dem Vorbild der Länder in der Europäischen Union: Eine Kultur der Freiheit und Demokratie."
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