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'Ich kann, ich will, ich muss'

uk; 1. Jan 2017, 07:00 Uhr
Bilder: Bernd Vorländer --- Natürlich dreht sich vieles um Handball, wenn Joachim Deckarm zu Gast in Gummersbach ist: Der VfL liegt ihm immer noch am Herzen.
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'Ich kann, ich will, ich muss'

uk; 1. Jan 2017, 07:00 Uhr
Gummersbach - Wenn Joachim Deckarm in die Stadt kommt, die mit seinem Ausnahmetalent eng verbunden war, drehen sich die meisten Gespräche um Handball und es wird mit alten Freunden über alte Zeiten gefachsimpelt.
von Uli Klein

Joachim Deckarm zieht die Augenbrauen hoch und schüttelt kurz den Kopf: "Nein, das war kein gutes Spiel. Der Mannschaft fehlen Führungsspieler", hat der 62-Jährige analysiert. Der einst weltbeste Handballspieler ist in diesen Tagen bei seinem Bruder Herbert in Gummersbach zu Besuch und hat diesen Aufenthalt mit einer Stippvisite beim VfL-Spiel gegen Erlangen am 2. Weihnachtstag verbunden. Dass sein ehemaliger Herzensclub in der Handballbundesliga nur noch eine Nebenrolle spielt, ist für den ehemaligen Ausnahmespieler eine ziemlich traurige Angelegenheit. "Mit mir in der Form von früher wären sie besser", kokettiert der ehemalige Superstar zwar ein bisschen, und doch trifft er den Nagel auf den Kopf.


Joachim Deckarms dramatische Geschichte ist keineswegs nur in Sportlerkreisen bekannt. Am 30. März 1979 war er bei einem Europapokalspiel der Gummersbacher im ungarischen Tatabanya  verunglückt, lag danach 131 Tage im Koma und musste in der Folge erst wieder alles neu erlernen. Heute lebt er in seiner Heimatstadt Saarbrücken in einer Einrichtung für betreutes Wohnen,  kommt aber immer mal wieder ins Oberbergische zu Bruder Herbert und dessen Frau Martina.  Dann trifft er sich mit seinem Freund Heiner Brand, weiteren ehemaligen Mannschaftskollegen vom VfL oder anderen alten Weggefährten. Und natürlich gehören auch Besuche von aktuellen VfL-Spielen zu Deckarms Standardprogamm in der Kreisstadt. 


[Zu Weihnachten ist der Besuch in der Stadt seiner größten handballerischen  Erfolge Pflicht.]

"Der Mann ist immer gut ausgebucht", witzelt Herbert und Joachim, so will er inzwischen genannt werden ("Jo war mein Sportlername"), nickt zustimmend. "Eigentlich bräuchte ich eine eigene Sekretärin", flachst er und lacht schelmisch. Gleichwohl hat er in Saarbrücken gleich drei Betreuer, die sich abwechselnd um ihn kümmern. Das Trio hilft Joachim sein Lebensmotto weiterhin mit Substanz zu füllen. "Ich kann, ich will, ich muss" wurde in den Jahren nach dem tragischen Geschehen zum Credo des früheren Ausnahmekönners. Mit eiserner Disziplin und einem minutiös ausgestaltetem Trainingsplan kämpfte und kämpft er immer noch täglich um kleinste Fortschritte. "Zwei bis drei Stunden trainiere ich täglich ", erzählt Joachim mit berechtigtem Stolz. Der 104-fache Nationalspieler macht denn auch sprichwörtlich eine gute Figur, auch wenn er bei Süßigkeiten oder Pizza und Pasta schon mal schwach  wird.

"Er soll nach Möglichkeit gesund essen. Aber die eine oder andere Sünde darf schon mal sein", gesteht Herbert, der einmal im Monat die 300 Kilometer von Gummersbach bis ins Saarland fährt, um einen Sonntag mit seinem Bruder zu verbringen. "Dann gehen wir in die Pizzeria um die Ecke und gönnen uns was Gutes", verrät Joachim. Herbert ist ein ganz wichtiger Fixpunkt in Joachims Leben. Das war schon damals so, als er 1972 zum VfL kam. "Er ist ein großartiger Bruder", sagt Jo denn auch und ergänzt verschmitzt: "Meistens jedenfalls".


[Sie flachsen und sie käbbeln sich, aber sie sind ein Herz und eine Seele - Joachim Deckarm und sein Bruder Herbert.]

In einem Punkt ist der 68-jährige Herbert für den Jahrhundert-Handballer freilich nur ein Leichtgewicht: "Im Schach habe ich überhaupt keine Chance gegen ihn", gibt der Ältere aus dem Hause Deckarm zu und der Jüngere stellt noch einmal klar: "Absolut kein Gegner für mich." Adäquate Kontrahenten sucht sich Joachim deshalb im Freundes- oder Bekanntenkreis. Allerdings die sind auch die meistens chancenlos gegen Jo, den Filou. Am Ende eines spannenden Vormittags mit dem Superstar von gestern schaut mit Uli Pohl noch ein ehemaliger Teamkamerad bei den Deckarms vorbei: Und prompt gibt Jo mal wieder den agent provocateur.

Als beim nostalgischen Ausflug in die Vergangenheit die Rede auf Erhard Wunderlich kommt, stellt Joachim Deckarm klar, dass der Sepp pro Spiel nur einen Pass auf den Linksaußen Pohl gespielt hat, "von mir aber hast Du mindestens zwei oder drei Bälle bekommen". Pohl lacht und Joachim freut sich, dass ihm auch diese kleine Provokation gelungen ist. Bleibt zum Abschluss kurzweiliger Stunden nur noch die Frage, was sich der ehemalige Megastar für 2017 wünscht? Joachim wirft die Stirn in Falten und sagt mit ernstem Unterton: "Ich wünsche mir sehr, dass der VfL zurück in die richtige Spur kommt und am Ende der Saison auf einem einstelligen Tabellenplatz landet."

Große Hoffnungen setzt Deckarm in diesem Zusammenhang auf einen seiner Nachfolger im linken Rückraum: "Julius Kühn gefällt mir richtig gut. Er hat tolles Durchsetzungsvermögen und einen Superwurf", lobt der frühere Rückraumlinke einen "Enkel" und kokettiert dann noch einmal: "Nur war ich, glaube ich, in meinem Spiel noch ein bisschen eleganter  als er."  In der Tat - das war er!    

  
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