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Was wurde aus den Alt-Nazis?

db; 2. Dec 2016, 11:08 Uhr
Bild: Daniel Beer.
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Was wurde aus den Alt-Nazis?

db; 2. Dec 2016, 11:08 Uhr
Gummersbach – Ein Vortrag von Historiker Gerhard Pomykaj beschäftigte sich mit der Frage, inwieweit Nationalsozialisten in der oberbergischen Politik und Verwaltung nach Kriegsende Fuß fassen konnten.
In den vergangenen Jahren gab es verschiedene Anfragen an den Oberbergischen Kreis, inwieweit nach Kriegsende 1945 Alt-Nazis in Verwaltung und Politik im Amt blieben. Insbesondere Dr. Friedrich-Wilhelm Goldenbogen geriet dabei in den Fokus, der insgesamt 33 Jahre lang Oberkreisdirektor war. Im Auftrag von Landrat und Kreistag ist der Kreisarchivar und Historiker Gerhard Pomykaj der Fragestellung nachgegangen und hat die Ergebnisse im Juni dem Ältestenrat präsentiert. Jetzt präsentierte er die Ergebnisse in einem Vortrag „Der Nationalsozialismus im Oberbergischen Kreis - Kontinuitäten und Diskontinuitäten nach 1945“ auch öffentlich am Lindengymnasium. Das Interesse war groß, über 100 Anwesende wollten seine Ausführungen hören.



Historiker Pomykaj stellte die Tätigkeiten vor und nach der NS-Zeit von wichtigen oberbergischen Persönlichkeiten in Politik und Verwaltung dar. Nicht alles seien neue Erkenntnisse, betonte Pomykaj, vieles sei auch schon in anderen Veröffentlichungen zu finden. Wichtig sei außerdem zu wissen, dass die Menschen im Oberbergischen um 1933 zu großen Teile arme protestantische Kleinbauern waren, die für die Radikalisierung durch den Nationalsozialismus besonders empfänglich gewesen sein. Gegen Ende und nach dem Zweiten Weltkrieg veränderte sich die Bevölkerung im Oberbergischen stark, da der Kreis für viele Menschen ein Rückzugsgebiet wurde. So stieg die Bevölkerungszahl sogar um rund 50 Prozent.

Mit der Aufarbeitung und Selbstreflexion habe man sich seinerzeit nicht lange aufgehalten, sagte Pomykaj. Die Bevölkerung sah sich selbst als Opfer und durch Hitler getäuscht und verraten. In Politik und Verwaltung zogen schnell ehemalige Parteimitglieder ein, anders wäre es auch fast nicht möglich gewesen. „Nach dem Krieg herrschte eher Pragmatismus.“ Über den bereits erwähnten Goldenbogen sagte Pomykaj, dass dieser mit seiner autoritären Grundstruktur eher in die Zeit des Kaiserreichs gepasst hätte. „Er war meiner Meinung nach nie ein aufrichtiger Demokrat, der sich aber den Spielregeln angepasst hat.“

Mit den Landräten Wilhelm Henn, Reinhard Kaufmann und Dr. Heinrich Schild oder dem späteren Gummersbacher Bürgermeister Heinz Billig fanden weitere NSDAP-Mitglieder ihren Weg zurück in die Politik der Nachkriegszeit. Die galt auch für Ämter abseits von Politik und Verwaltung. So wurde mit Otto Marrenbach im Jahr 1960 ein ehemaliger NS-Funktionär und SS-Mann Vorsitzender des Bürgervereins Reichshof Brüchermühle. Auf einen kritischen Leserbrief zu der Personalie in der Zeitung reagierte der Bürgerverein damals empört. Tenor: Man wisse selbst schon am besten, was man tut.

Pomykaj hielt sich während seines Vortrags bewusst mit Urteilen zurück, wies aber darauf hin, dass es sehr schwer sei, eine Diktatur zu bekämpfen und Widerstand zu leisten, wenn sich diese erst einmal etabliert habe. Sein Appell deshalb: „Wehret den Anfängen.“
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