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Vertrauen gewonnen und viel über das Leben gelernt

Red; 4. Oct 2016, 16:52 Uhr
Bild: privat --- Kerstin Neuhaus, Leiterin der Johanniter-Notunterkunft, nimmt nach einem Jahr viele positive Eindrücke mit.
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Vertrauen gewonnen und viel über das Leben gelernt

Red; 4. Oct 2016, 16:52 Uhr
Bergneustadt – Die Johanniter-Notunterkunft für geflüchtete Menschen in Bergneustadt schließt nach einem Jahr ihre Pforten und zieht ein positives Resümee.
Mitte Oktober beendet die Johanniter-Notunterkunft für geflüchtete Menschen ihren Dienst. Was bleibt, sind tiefe Eindrücke Vier Jahre lang ist Naira aus Angst vor gewalttätigen Übergriffen nicht zur Schule gegangen. In der Notunterkunft der Johanniter in Bergneustadt hat die zwölfjährige Kurdin aus Syrien jede Gelegenheit genutzt, um zu malen, zu basteln und zu schreiben. Ohne Angst vor Gewalt und Unterdrückung haben die Teenager Naira und Sina aus Afghanistan in der Johanniter-Unterkunft gerne gemeinsam kichernd Nagellack und Lidschatten ausprobiert - so, wie es eben viele junge Mädchen auf der ganzen Welt tun. Es sind solche Eindrücke, die bleiben, wenn der Dienstauftrag der Johanniter-Notunterkunft am 15. Oktober 2016 nach einem Jahr abläuft und damit die dortige Arbeit im Auftrag der Kölner Bezirksregierung regulär endet.

„Es war ein Jahr, in dem wir in unserem Haus das Leben in allen seinen Facetten komprimiert mitbekommen haben“, sagt Kerstin Neuhaus, Leiterin der Johanniter-Notunterkunft. Die Unterkunft im vormaligen Jugendgästehaus im Bergneustädter Stadtteil Hackenberg hat Plätze für jeweils 97 geflüchtete Menschen bereitgehalten. Das Haus war bis auf zwei Wochen in der vergangenen Weihnachtszeit durchgehend belegt. Eine erste Unterkunft bis zu ihrer Registrierung und Verteilung auf nordrhein-westfälische Kommunen fanden hier Menschen aus Syrien und Afghanistan, aus dem Irak oder dem Iran.


„Wir haben nur gute Erfahrungen gemacht und sind sowohl bei unseren Bewohnern sowie bei den Bürgern in Bergneustadt auf positive Resonanz gestoßen“, sagt Kerstin Neuhaus. „Unseren Bewohnern sind wir grundsätzlich auf Augenhöhe begegnet, wir haben ihre Würde und Privatsphäre gewahrt“, ergänzt sie. Und so wurden die Zimmer der Bewohner von den Mitarbeitenden nicht mit Straßenschuhen betreten, und im Ramadan wurde das Frühstück für die Muslime schon vor Sonnenaufgang bereitgehalten. „Dafür haben unsere Bewohner zum Beispiel ganz selbstverständlich ihre Zimmer gereinigt und uns Mitarbeitende immer mal wieder zum selbst gekochten Essen eingeladen“, erzählt Kerstin Neuhaus.

Das gute Miteinander sei auch dem fürs Haus zuständigen Sicherheitsdienst der Lindlarer Firma „Protec Security Service“ sowie dem Catering-Dienst der AWO zu verdanken. „Alle gemeinsam haben wir auf Kommunikation gesetzt und sehr viel mit den Menschen geredet, die bei uns wohnen.“ Dabei hat es geholfen, dass viele der Johanniter-Mitarbeiter unter anderem Arabisch, Kurdisch oder Englisch gesprochen haben. „Dass ich die geflüchteten Menschen kennengelernt habe, dass sie uns vertrauten und uns schließlich ihre Schicksale anvertraut haben, das hat mich bewegt“, sagt Kerstin Neuhaus. In der Unterkunft erzählte zum Beispiel ein Vater von seiner Flucht über die Balkanroute, bei der er den neunjährigen Sohn mit dem gebrochenen Bein über tausend Kilometer getragen hat. Ein junger Mann zeigte das Video, auf dem zu sehen ist, wie im Mittelmeer das Boot seiner dann ertrunkenen Eltern kentert. Die schrecklichen Erlebnisse und die traumatischen Erfahrungen der Menschen habe sie großen Respekt vor dem Leben sowie Demut gelehrt, meint Kerstin Neuhaus.

Auch an den anderen Mitarbeitenden ist die Arbeit nicht spurlos vorbeigegangen. Eine junge Bachelor-Absolventin mit tunesischen Wurzeln hat entschieden, ihre Ausbildung im Finanz- und Wirtschaftswesen nicht fortzuführen. Sie möchte nun Deutschlehrerin werden. Manche ihrer Kollegen kehren an ihren vorigen Arbeitsplatz zurück und arbeiten nun bei den Johannitern in der Kindertagesstätte, im Rettungsdienst oder beim Hausnotruf. Sie alle nehmen das Wissen darum mit, dass ein Leben in Sicherheit und Wohlstand nicht selbstverständlich ist. Und wann immer Bewohner aus der Unterkunft ausgezogen sind, gab es Umarmungen, Blumen für die Mitarbeitenden und manchmal auch Tränen. Ein von der Bezirksregierung beauftragter Fahrer, der das miterlebte, meinte: „Sowas habe ich ja noch nie erlebt.“ Und stellvertretend für alle, erklärte ein Bewohner: „Das hier ist wie eine Familie.“
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