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„Ratsarbeit auf unerträgliches Niveau gesunken“

bv; 21. Sep 2016, 12:09 Uhr
Bilder: Bernd Vorländer --- Zahlreiche Besucher verfolgten die Ratssitzung, in der über die mögliche Ansiedlung von Verbrauchermärkten gestritten wurde.
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„Ratsarbeit auf unerträgliches Niveau gesunken“

bv; 21. Sep 2016, 12:09 Uhr
Marienheide – Bürgermeister Meisenberg will sich Diffamierungen nicht mehr gefallen lassen – Rat öffnet Türe für Hit-Markt in der Bahnhofstraße – Fördergelder des Integrierten Handlungskonzepts offenbar nicht gefährdet.
Von Bernd Vorländer

Showdown im Ratssaal. Wochenlang hatten sich die Akteure der Marienheider Gemeindepolitik in Ausschusssitzungen, Briefen und in Sozialen Netzwerken warm gelaufen, hatten Papiere verfasst und Briefe lanciert, gemutmaßt und gerungen, Rechtsanwälte und Aufsichtsbehörden bemüht – und eine ungeheure Spannung erzeugt. Es gab nicht nur eine Gretchenfrage, sondern gleich ein Bündel: Wer darf künftig in der Marienheider Bahnhofsstraße Lebensmittel und weitere Dinge des täglichen Bedarfs verkaufen, gab es beim Auswahlverfahren Vorfestlegungen, wurden Investoren bevorteilt oder benachteiligt, gab es eine böse Engelskirchen-Connection, was heißt das alles für das Integrierte Handlungskonzept, das Marienheide zukunftsfit machen soll – und blickt bei all den Behauptungen, Beteuerungen und Beschwichtigungen überhaupt noch jemand durch?


[Bürgermeister Stefan Meisenberg war über den Umgang im Rat stocksauer.]

Jedenfalls war dieser 20. September im Marienheider Ratssaal ein Glücksfall für die Demokratie, denn es waren so viele Bürger wie selten anwesend, die sich dieses politische Ringen nicht entgehen lassen wollten. Beginnen wir mit dem Schlussakkord. Als fast alles vorbei war, meldete sich Bürgermeister Stefan Meisenberg nach fünf geheimen Abstimmungen, die alle von der CDU beantragt worden waren, und mehr als dreistündigem Ringen zu Wort. „Die Ratsarbeit in Marienheide ist auf ein unerträgliches Niveau gesunken“, sagt der Rathauschef mit klarer Stimme und fügt mit scharfem Unterton hinzu: „Auch die Diffamierungen gegen meine Person sind unsäglich“ blickte Meisenberg wütend in Richtung UWG. Letztere hatte Meisenberg beschuldigt, sich hinsichtlich der Ansiedlung eines Verbrauchermarktes in der Bahnhofsstraße unrechtmäßig und offensichtlich parteiisch verhalten zu haben. Dies lasse Meisenberg, so die UWG, komplett ungeeignet für die Führung der Gemeinde erscheinen.


Meisenberg ging den UWG-Fraktionsvorsitzenden Christian Abstoß in der Folge direkt an und forderte ihn auf, sein Wissen zu offenbaren, das ihn zu diesen Behauptungen treibe. Der UWG-Mann war sichtlich überrascht, wollte nur in nichtöffentlicher Sitzung oder schriftlich antworten.

Der Disput war der Höhepunkt einer ereignisreichen Sitzung. Meisenberg hatte bereits zu Sitzungsbeginn die Offensive gesucht und eine Expertise der Bezirksregierung vorgelegt. Die Ausichtsbehörde habe sich nach seinen Worten nicht nur „extrem irritiert“ über die anhaltenden Diskussionen in Marienheide gezeigt, sondern auch zugesichert, dass die Aufstellung eines Bebauungsplans für die Bahnhofstraße keinerlei Förder-Auswirkungen auf das Integrierte Handlungskonzept zeitige. „Man hat dem Vorgehen der Verwaltung ausdrücklich zugestimmt“, so Meisenberg, der allerdings einräumen musste, dass die Bahnhofsstraße – entgegen früherer Erklärungen – durchaus zum IHK gehört. „Ich war selten so froh, einen Fehler eingestehen zu können“, so der Bürgermeister.


[Die SPD-Fraktionsführung mit Anke Vetter und Holger Maurer scheiterte mit ihren Anträgen.]

In der folgenden Debatte klappten die Protagonisten ihre Visiere zu, bedienten sich ihrer verbalen Waffen und warfen sich ins Kampfes-Getümmel. Anke Vetter argumentierte für die SPD, dass man transparent und ergebnisoffen diskutieren wolle und nicht verstehen könne, warum nicht die Zeit abgewartet werde, bis das IHK vorliege. Meisenberg machte indes deutlich, dass Fördermittel frühestens im April 2017 fließen würden und man keine Zeit verlieren dürfe, wolle man nicht nach dem Dezember 2018 plötzlich ohne Lebensmittelversorgung im Ortskern dastehen, da dann spätestens der REWE-Markt schließe. FDP-Mann Jürgen Rittel warf den Sozialdemokraten Orientierungslosigkeit vor. „Sie fungieren in Marienheide als Bremser“, so der Liberale. „Unter aller Würde“ war für den CDU-Fraktionsvorsitzenden Carsten Jaeger der Antrag der SPD auf Zurückstellung des Bebauungsplans in der Bahnhofstraße, weil Ratsmitgliedern mit Schadenersatz gedroht werde. „Hier wird die Grenze zur Nötigung überschritten.“


[CDU-Fraktionschef Carsten Jaeger warf der SPD ein Verhalten "unter aller Würde" vor.]

Christian Abstoß (UWG) bekundete, den Bürgerwillen ernst nehmen zu wollen. Vorfestlegungen  widersprächen allen Äußerungen der Parteien im Vorfeld des IHK. Dies wies CDU-Chef Jaeger zurück. „Uns geht es um einen Startschuss, damit Marienheide weiter voran kommt.“ So fassten die Volksvertreter in einer turbulenten Sitzung mehrere Beschlüsse:

● In der Bahnhofsstraße wird der Bebauungsplan geändert, sodass dort die planungsrechtlichen Voraussetzungen zur Errichtung eines 2.250 Quadratmeter großen Hit-Verbrauchermarktes geschaffen werden. Dabei müssen alle Kosten der Bauleitplanung vom Investor getragen werden. Anträge der SPD, die eine Verschiebung der Beschlussfassung zum Ziel hatten, wurden abgelehnt.

● Ebenfalls in der Bahnhofsstraße werden in den Bereichen „Kälberweide/Alte Post“ durch eine Änderung des Bebauungsplanes Möglichkeiten zur Ansiedlung von Einzelhandel geschaffen. Diesen Anträgen stimmte der Rat mit knapper Mehrheit zu.

● Das Ansinnen der SPD, auch einen Drogeriemarkt an der B 256 in der Nähe des Netto-Marktes ins Auge zu fassen und sich dies als Option offenzuhalten, wurde mehrheitlich abgelehnt.

● Auf Antrag der Grünen soll die Gemeindeverwaltung jetzt gemeinsam mit dem Straßenverkehrsamt prüfen, ob auf der Kreisstraße 18 zwischen Kempershöhe und Marienheide eine Geschwindigkeitsbegrenzung auf 70 Stundenkilometer eingerichtet werden kann. Die Straße verleite zu schnellem Fahren, argumentieren die Grünen.

● Umbesetzungen in Ausschüssen scheiterten an fehlender Einstimmigkeit der Fraktionen, was Bürgermeister Stefan Meisenberg sichtlich missfiel. „Das ist doch Kinderkram“, so der Rathauschef erbost.
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