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Ein Leben auf der Überholspur

bv; 20. Jul 2016, 06:00 Uhr
Bilder: Michael Kleinjung.
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Ein Leben auf der Überholspur

bv; 20. Jul 2016, 06:00 Uhr
Bergneustadt - Am Donnerstag wird Oberbergs SPD-Ehrenvorsitzender Friedhelm Julius Beucher 70 Jahre alt – Der streitbare Sozialdemokrat und Präsident des Deutschen Behindertensportverbandes denkt noch lange nicht ans Aufhören - Mit Video.
Von Bernd Vorländer

Der Mann wirkt immer noch unglaublich drahtig – körperlich wie geistig. 70 Jahre, was ist das schon? Für FJB jedenfalls ist das Maß noch lange nicht voll, es gibt keinen Grund, um es künftig ruhiger angehen zu lassen. FJB ist das Kürzel für den Politiker, der für die einen im wahrsten Wortsinn ein rotes Tuch war, für die anderen ein sozialdemokratisches Urgestein. Friedhelm Julius Beucher, Tausendsassa, Triumphator und tragische Figur vollendet am 21. Juli sieben Lebensjahrzehnte. Beine hochlegen, relaxen, kann der das überhaupt, fragt man sich? „Ich habe keine Zeit zu realisieren, dass ich älter werde. Mein Terminkalender ist in der Tat für einen Rentner unangemessen“, sagt der fast 70-jährige und blickt nur relativ entspannt vom Stadtteil Hackenberg auf sein Bergneustadt. Es ist die Stadt, in der er groß geworden ist und die er mag wie keine zweite, in der er heute noch SPD-Ortsvereinsvorsitzender ist, weil sie wissen, dass er das kann und es ist die Stadt großer Enttäuschung.

Jetzt sitzt er an einem der ersten echten schönen Sommertage vis-a-vis und man spürt die Energie, die ihn antreibt. Friedhelm Julius Beucher redet nicht, er missioniert, er vereinnahmt, alles auf eine sehr charmante Art. Wenn man nicht achtgibt, hat er einen am Haken, fängt den Gegenüber mit einem feinen, spinnenartigen Netz von Argumenten und Erklärungen, einer melodischen Stimme, einem Lächeln und viel Schmeicheln. FJB erklärt die Welt, er nimmt einen mit auf eine immer auch sozialdemokratisch gefärbte Sicht der Dinge: Gerechtigkeit, Gleichheit, Freiheit der Debatte, wer wollte da ‚Nein‘ sagen. Überzeugend war er schon in frühester Jugend und vor Verantwortung scheute er sich nicht. Klassen- und Schulsprecher, Organisator von Demonstrationen in der Zeit der Notstandsgesetze, nach wenigen Wochen an der Universität schon im Studentenparlament, Asta-Vorsitzender, Juso-Chef im Oberbergischen.

In den siebziger Jahren nahm die politische Karriere von FJB dann so richtig Fahrt auf. Zunächst im Oberbergischen, doch schnell merkte man auch außerhalb, dass hier ein politisches Talent heranwächst. Einer, der selbst zugibt, dass er sich damals erst die politischen Hörner abstoßen musste. Manches Mal wollte er mit dem Kopf durch die Wand, lernte aber schnell, dass man mit der richtigen Strategie weiter kommt. Bei der Gründung des Vereins für Soziale Dienste, der benachteiligten Jugendlichen neue Chance eröffnen wollte, ist er 1983 dabei, bis heute an verantwortlicher Stelle. Bis heute sagen seine Mitstreiter: Friedhelm, du musst das machen. Und Friedhelm macht. Es ist damals die Zeit, in denen er beginnt, ein breites politisches Netzwerk aufzubauen, von dem er noch heute zehrt. In seinem Telefonbuch stehen hunderte Namen, die seine Projekte weiterbringen, alles hart erarbeitet in zig Sitzungen, Treffen, Empfängen. Vor seinem einnehmendem Wesen konnte sich niemand in Sicherheit bringen. „Ich nutze heute noch meine Kontakte gnadenlos für Menschen mit Behinderung“, sagt Beucher, der seit 2009 Präsident des Deutschen Behindertensportverbandes ist.  


Doch zunächst entwickelte sich seine politische Karriere. 1990 erstmals in den Bundestag gewählt, machte sich der Bergneustädter in den Untersuchungsausschüssen, etwa zum Verbleib des DDR-Vermögens, einen Namen als ‚Wadenbeißer‘, der der Regierung hart zusetzte. 1998 triumphierte Beucher bei der Bundestagswahl und holte völlig überraschend mit 359 Stimmen Vorsprung auf den CDU-Kandidaten Klaus-Peter Flosbach das Direktmandat im Oberbergischen. Das zaubert ihm noch heute ein Lächeln auf die Lippen. „Wir haben beim Jorgo (dem SPD-Hauptquartier) gefeiert, bis morgens kein Bier mehr da war.“ Als Belohnung gab es im Bundestag den Vorsitz im Sportausschuss. 2002 dann der erste politische Absturz, denn FJB verpasste das Direktmandat und war, nachdem er 2001 den Landesvorstand verlassen hatte, auch nicht auf der Landesliste entsprechend abgesichert. 2004 wollte er es nochmals wissen, kandidierte für das Bürgermeisteramt in seiner Heimatstadt, doch die Menschen machten ihm einen Strich durch die Rechnung, beförderten in der Stichwahl Gerhard Halbe auf den Bürgermeisterstuhl. „Niederlagen tun weh, aber ich habe den Schmerz überwunden.“ Es wurmt Beucher noch heute, dass es in seiner Heimatstadt für ihn kein Happyend gab.

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[Video und Videoschnitt: Michael Kleinjung.]

Zwei Themen bewegen ihn: Die Lage seiner Partei und die Arbeit für Behinderte. Wenn er auf die SPD zu sprechen kommt, hebt sich die Stimme, dann wird Friedhelm Julius Beucher energischer. Einerseits habe die SPD ihre jetzige Lage nicht verdient. Mindestlohn, Rente mit 63 - man habe einiges durchgesetzt, „aber wir werden nicht mehr gehört“. Natürlich spielten da auch die Hartz-Gesetze eine Rolle, die viele Enttäuschungen provoziert hätten, aber ökonomisch wohl unabwendbar gewesen seien. Das sagt FJB, der gegen die Umsetzung gestimmt hatte und der sich selbst als „links und frei“ bezeichnet. An was es den „Roten“ fehlt? Man benötige dringend mehr kontroverse Diskussionen, „das hat uns immer stark gemacht und ausgezeichnet“. Aber auch ein in der Wolle gefärbter Traditions-Sozi wie Beucher weiß: „Die SPD als Massenbewegung, das ist vorbei.“  

Seit 2009 hat er eine Aufgabe, die FJB nicht nur nationales und internationales Renommee verschafft, sondern hinter der er auch mit voller Hingabe steht. Als Präsident des Deutschen  Behindertensportbundes setzt sich Beucher für die Belange von Menschen mit Handicaps ein. Hier kann er seine Erfahrungen als dienstältester Sportausschuss-Vorsitzender Deutschlands – seit 1975 leitet er ohne Unterbrechung entsprechende Gremien in Stadt, Kreis oder Bund – und seine vielfältigen Kontakte zusammenbringen. Dass zu den Förderern des Behindertensports mit der Telekom, den Deutschen Sparkassen, Audi, Allianz, um nur einige zu nennen, die Creme der deutschen Wirtschaftselite gehört, kommt nicht von ungefähr. 1992 war Beucher erstmals bei den Paralympics, damals in Barcelona. Die Stadien seien voll gewesen, aber in Deutschland habe kaum jemand davon Notiz genommen. Das hat Beucher fürchterlich geärgert. Wenn im September die deutsche Delegation zu den Spielen in Rio aufbricht, „dann gibt es 60 Stunden live“, freut sich der Präsident.




Aber warum das Ganze, warum ein Leben ohne Rast und Ruh? „Ich kann es nun mal nicht ausstehen, wenn es Ungerechtigkeiten gibt.“ Dann greift FJB zum Telefon, mischt sich ein, entwickelt Strategien, kennt jemand, der sein Budget noch nicht ausgeschöpft hat. Ein Leben, in dem manches zu kurz kommt, aber Beucher will genau dieses Leben auf der Überholspur. Bergneustadt ist ihm in diesem Zusammenhang die Stadt, wo er immer wieder auftanken kann. „Wenn Menschen meine Frau fragen, ob ich immer noch so viel weg bin, schieben sie oft von selbst ein ‚Den kann man auch nicht den ganzen Tag ertragen‘ hinterher“, schmunzelt Beucher und greift nach zwei Stunden zum Handy: Zehn Anrufe haben sich angesammelt. FJB wird gebraucht – und er legt wieder los.
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