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Julius K. und das Märchen von Krakau

uk; 3. Feb 2016, 14:43 Uhr
Bild: Archiv --- Wie in dieser Szene im Ligaspiel trumpfte VfL-Rückraumspieler Julius Kühn auch bei der Europameisterschaft in Polen auf.
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Julius K. und das Märchen von Krakau

uk; 3. Feb 2016, 14:43 Uhr
Gummersbach – Erst allmählich realisieren auch die drei deutschen Nationalspieler des VfL Gummersbach, was sie mit dem Titelgewinn bei der Europameisterschaft erreicht haben.
Von Uli Klein

Am Mittwochmorgen muss er sich immer noch kneifen, um wenigstens ein bisschen zu verstehen, was vor einigen Tagen geschehen ist: "Es ist momentan wirklich nicht einfach, zwischen Traum und Wirklichkeit zu unterscheiden. Erst allmählich spüre ich, dass ich in der Realität bin", beschreibt Julius Kühn seine aktuelle Gefühlswelt. Der junge Handballer ist am vergangenen Sonntag mit der deutschen Nationalmannschaft Handball-Europameister geworden und hat wesentlich am Märchen von Krakau mitgeschrieben. Klar, dass man sich da schon mal die Frage nach  Fiktion oder Wahrheit stellt. 


[Kühn freute sich mit dem ehemaligen VfL-Spieler Hans Balthes nach dem Finalsieg in Krakau.]

Allein die Tatsache, dass die DHB-Auswahl die klar favorisierten, aber alternden Spanier mit 24:17 aus den Schuhen spielte, war eine veritable  Sensation und nur schwer zu realisieren für das jüngste Team des Championats. Für Julius Kühn aber hat der gänzlich unerwartete Erfolg noch eine zusätzliche, ganz persönliche Facette. Der Rückraumspieler des VfL Gummersbach war nach den Verletzungen von Christian Dissinger und Steffen Weinhold zusammen mit dem Hannoveraner Kai Häfner erst als Nachrücker in der Hauptrunde zum deutschen Team gestoßen.

"Am Abend nach dem Russlandspiel habe ich einen Anruf von Team-Manager Oliver Roggisch erhalten, dass ich mich bereit halten solle. Eine halbe Stunde später kam der zweite Anruf: Komm nach Breslau, hieß es. Am Montagmorgen saß ich dann im Flieger." Von diesem Moment an begannen die "unbeschreiblichen Tage des Julius K.“. Der 22-Jährige stand nicht nur wie ein Fels in der Deckung. Er setzte auch im Angriff Akzente. Gegen Dänemark gelang ihm in der so genannten Crunch-Time (die Zeit in der sich Dinge entscheiden) der Anschlusstreffer zum 22:23 (Endstand 25:23 für Deutschland). Im Halbfinale gegen Norwegen (34:33 nach Verlängerung) schenkte er den tapferen Wikingern gleich fünfmal ein und war so entscheidend am Finaleinzug beteiligt. Den persönlichen Flug durch Raum und Zeit krönte er schließlich mit einem Treffer im Endspiel gegen die Iberer.


Das war allerdings nur der erste Teil des Abenteuer-Trips: "Schon die Feierlichkeiten in der Halle und der Jubel mit den deutschen Fans in der Tauron-Arena waren kaum in Worte zu fassen. Die Art und Weise, wie wir dann nach der Rückkehr in die Heimat in Berlin gefeiert wurden, machte uns erst bewusst, welche Euphorie wir in Deutschland losgetreten haben", hat der 1,98-Meter-Hüne noch immer Probleme, die Emotionsattacken einigermaßen zu verarbeiten. Um wieder Boden unter die Füße zu bekommen, reiste er gestern mit der Freundin zu Eltern und Verwandtschaft nach Aldekerk.


[Alle wollten die Goldmedaille, die deutschen Spieler durften sie am Ende tragen.]

Im dortigen Stadtteil Stenden wuchs er auf und lernte später dort auch das Spiel mit dem Handball. Der  frisch gekürte Goldmedaillengewinner wurde natürlich auch in der vertrauten Umgebung von Familie und Freunden gefeiert, aber der Student an der Fern-Uni Hagen neigt in keiner Weise zum Abheben und gesteht:  "Die Menschen daheim sind mir wirklich wichtig und was sie sagen, ist für mich nach wie vor von größter Bedeutung." Beim VfL dürfen sie sich derweil freuen, dass sie mit Kühn, Carsten Lichtlein und Simon Ernst gleich drei Mitglieder der selbst ernannten "German Bad Boys" in ihren Reihen wissen. Und Coach Emir Kurtagic ist hörbar stolz, wenn er betont: "Es ist großartig, dass wir mit unserem ,Konzept der jungen Leute' beim VfL auch zum Erfolg des Nationalteams beitragen konnten." Vielleicht geht's ja schon im Sommer weiter, bei Olympia in Rio. Davon träumt Julius, der bescheidene Europameister aus Aldekerk-Stenden jedenfalls jetzt schon.  
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