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Tour auf dem Drahtseil: Unterwegs mit dem Pflegedienst

fj; 3. Oct 2015, 08:39 Uhr
Bilder: privat.
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Tour auf dem Drahtseil: Unterwegs mit dem Pflegedienst

fj; 3. Oct 2015, 08:39 Uhr
Oberberg – Würdevolle Pflege braucht Zeit, trotzdem ist Zeit gerade hier Mangelware – Oberberg-Aktuell begleitete den ambulanten Pflegedienst der Caritas Oberberg im täglichen Spagat zwischen Hektik und Hingabe.
Von Fenja Jansen

7:40 Uhr – Wir nehmen zwei Stufen auf einmal. Die Patientin wartet schon. Beim Betreten der Wohnung betätigt Paul Fech vom ambulanten Pflegedienst der Caritas Oberberg sein Handy – eine digitale „Stempeluhr“, die genau registriert, wann er kommt und wann er geht. Blutzucker messen, Insulin spritzen, Anti-Thrombose-Strümpfe anziehen: neun Minuten sind dafür eingeplant. Dann muss alles handschriftlich dokumentiert werden. Dafür gibt es keine Minute extra. Frau Müller (alle Namen der Patienten wurden von der Redaktion geändert) hätte wohl gerne ein kleines Schwätzchen gehalten – ob ich mir denn vorstellen könnte, wie alt sie ist – aber wir sind schon fast wieder aus der Tür. Wieder nehmen wir zwei Stufen auf einmal.

Fech ist seit 5:30 Uhr im Einsatz. Noch bis 11 Uhr hat er Zeit, um rund 20 Klienten zu versorgen und er ist spät dran. Die Vorstellung wird darum quasi im Laufschritt erledigt: Fech ist 28 Jahre alt und lebt mit seiner Frau und zwei Kindern in Marienheide. Seit drei Jahren arbeitet er im ambulanten Pflegedienst der Caritas, davor war er in einem privaten Altenheim beschäftigt. Hier hat er auch seine Ausbildung absolviert. Als das Personal, welches für 30 Patienten zuständig war, von sechs auf drei Personen schrumpfte, eine Lohnerhöhung aber ausblieb, ging er neue berufliche Wege.

7:49 Uhr – Wieder im Auto erzählt Fech, dass er seinen Job trotz aller Hektik gerne macht. Richtig abschalten kann er nach Feierabend aber nicht. Oft verfolgt ihn der Frust der Patienten, die bemängeln, dass alles so schnell gehen muss. Fech weiß: „Wenn das Pflegepersonal sich keine Zeit für Gespräche nimmt, tut es oft niemand.“

7:55 Uhr – Frau Browski ist ihre Nachttischlampe heruntergefallen, Fech holt sie hervor und steckt den Stecker wieder ein. Eine Dienstleistung, die er eigentlich extra abrechnen müsste, erzählt er später. Das kann er aber nicht mit sich vereinbaren. „Das mache ich dann ehrenamtlich“. Duschen, abtrocknen, anziehen, föhnen, dokumentieren – gute fünfzehn Minuten später verlassen wir Frau Browski wieder.

8:12 Uhr – Je nach Pflegestufe wird den Betroffenen von den Krankenkassen finanzielle Unterstützung zugestanden, erklärt Fech unterwegs. Davon können entsprechende Leistungen bei Pflegediensten gebucht oder ein Heimaufenthalte finanziert werden. Von den von den Kassen zugestandenen Beträgen könne der Pflegedienst aber oft nicht das, was wirklich nötig ist, finanzieren. Trotzdem muss er wirtschaftlich arbeiten – ein Teufelskreis. An der Stellschraube „Zeit“ zu drehen, bleibt dann die einzige Möglichkeit.



8:18 Uhr – Im Bademantel wartet Frau Thaun aufs morgendliche Waschen und Anziehen. Routiniert und mit viel Feingefühl hilft Fech ihr ins Bad, lässt sie auf einem Hocker Platz nehmen und beginnt, sie zu waschen. „Sie schwitzen ja“, bemerkt Frau Thaun. „Ich muss Sie ja auch schnell hübsch machen“, scherzt Fech mit der Seniorin.

8:35 Uhr – Derzeit seien sechs Kollegen krank, eine im Urlaub, erzählt Fech, als wir wieder im Auto sitzen. Mehr Personal würde die Situation enorm entschärfen. Dass nicht mehr Kollegen eingestellt werden, läge aber nicht am Arbeitgeber, sondern an mangelnden Bewerbern. „Vielleicht haben die jungen Menschen Angst vor der Belastung und der Verantwortung", versucht sich Fech zu erklären, warum sein Beruf so unbeliebt ist. Ihm persönlich macht die ständige Planerei am meisten zu schaffen. Es ist ein Jonglieren mit Zeit, dass kaum gelingen kann, weil schlicht zu wenig Zeit da ist. Manchmal rufen Patienten an und bitten darum, ihnen ein Brot mitzubringen. Das macht er dann, auch wenn diese kostbaren Minuten später fehlen. Ihm mache sein Beruf Spaß, betont er nochmal, Glück sähe aber anders aus. Die Umstände seien nicht optimal.

8:46 Uhr – Die offene Wunde von Herr Gerowski will nicht heilen. Darum hat die Caritas eine Wundexpertin hinzugezogen. Doch auch die ist total ausgebucht. Termine zu koordinieren, ist schwierig. Auch an seinem anderen Bein hatte Herr Gerowski eine offene Wunde, die aber verheilt ist. Die Zeit, dieses Bein mit einer pflegenden Creme einzureiben, nimmt Fech sich einfach. Dann geht es schnell weiter, schließlich waren für das Säubern und Verbinden der offenen Wunde nur neun Minuten eingeplant.

9:04 Uhr – Unterwegs erzählt Fech, dass er sich am Ende einer Tour auch mal die Zeit nimmt, mit einem Patienten Kaffee zu trinken. „Dann erfährt man am meisten über die Menschen“, so der junge Mann. Im Gespräch mit einer Patientin, die seit Jahren an Krebs und den damit verbundenen Schmerzen leidet, erfuhr er, dass sie noch nie etwas von Palliativmedizin gehört hat. Das übernahm dann er und nun wird eine entsprechende Behandlung in die Wege geleitet. „Es ist wichtig, dass wir als Pflegedienst auf so etwas achten, wir sind ja am nächsten dran. Ein paar Minuten für Gespräche müssten einfach drin sein.“

9:12 Uhr – Dreimal bietet Frau Lüders einen Kaffee an, dreimal lehnen wir ab. Duschen, abtrocknen, anziehen: dafür sind rund 20 Minuten veranschlagt.



9:41 Uhr – Kurzer Stopp in Gummersbach, für mich ist die Tour beendet. Für Fech geht es noch weiter. Dann fährt er ins Büro, Schreibkram erledigen, stellvertretend für die Kollegin, die zurzeit im Urlaub ist. Um 16 Uhr steht noch eine Tour an. Bereitschaft und Notrufe kommen dann auch noch ab und zu hinzu.

Eine pflegebedürftige Person hat die freie Wahl zwischen den Pflegediensten. Der Pflegedienst wiederum schließt Vereinbarungen mit der Pflegekasse. Nach dieser Vereinbarung richten sich die finanziellen Mittel, die der Pflegedienst von der Kasse erhält. Abgerechnet wird nach festgeschriebenen Sätzen für die erbrachten Leistungen. Diese Sätze, so erklärt Elvira Klassen, Leiterin der Caritas-Pflegestation, reichen aber kaum aus, um die tatsächlichen Kosten zu decken. Da auch ein Pflegedienst wirtschaftlich arbeiten muss, kann er es sich schlichtweg nicht leisten, mehr Zeit bei den Pflegebedürftigen zu verbringen, als von den Pflegekassen veranschlagt, da diese Kosten nicht gedeckt werden. Darum fordern unter anderem Pflegedienste die Pflegekassen dazu auf, die Sätze zu erhöhen (siehe Artikel: Für würdevolle Pflege, gegen Hetze von Tür zu Tür).


[Das Team des ambulanten Pflegedienstes der Caritas Oberberg mit Elvira Klassen (re.) und Paul Fech.]
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