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Willkommen in der „Steuer-Hölle“

bv; 20. Jul 2015, 21:04 Uhr
Bilder: Michael Kleinjung --- Bürgermeister Wilfried Holberg ist 2016 Chef einer Kommune, die bei der Grundsteuer die höchsten Sätze in ganz NRW hat.
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Willkommen in der „Steuer-Hölle“

bv; 20. Jul 2015, 21:04 Uhr
Bergneustadt – Keiner zahlt mehr Grundsteuern in NRW als die Bürger Bergneustadts – Dennoch sieht Bürgermeister Wilfried Holberg Perspektiven für die Zukunft.
Von Bernd Vorländer

Wenn es ein Paradies gibt, braucht es auch eine Hölle – eigentlich. Sprache lebt von Gegensätzen. Bergneustadt ist das Gegenteil eines Steuerparadieses. Aber dann gleich die Hölle? Das Wort gibt es nicht, aber die Situation ist so wie sie ist. Die Annäherung an diese Stadt verläuft völlig unspektakulär. Wer in die Stadt einbiegt, vernimmt keinen Protest, es hängen keine schwarzen Fahnen aus den Fenstern, die Menschen genießen den Sommer in den Cafes. Griesgram ist auf den ersten Blick in Bergneustadt kein Thema.

Dabei ist die „Feste“ die teuerste Kommune in Nordrhein-Westfalen – jedenfalls wenn man die Grundsteuerbelastung der Bürger zugrunde legt. 1.255 – diese Zahl des Hebesatzes schwebt wie ein Damoklesschwert über Bergneustadt, nirgendwo im Land wird ab kommendem Jahr mehr bezahlt. Man ist gezwungen, Schallmauern zu durchbrechen, um im Rahmen des Stärkungspakts 2016 einen ausgeglichenen Haushalt vorlegen zu können. Wirt sprechen über ein „Plus-Minus-Null“, nicht um den Abbau der Schulden, die mehr als 80 Millionen Euro betragen. Es ist der Druck der Zahlen, die so schwer belasten wie mehrere Mühlsteine. Wenn die Stadt-Verantwortlichen in dieser Situation Trübsal blasen würden - man müsste sogar Verständnis haben.


[Ohne Veränderung keine Zukunft - davon ist Wilfried Holberg überzeugt.]

Doch keine Spur davon bei Wilfried Holberg. Aufgeräumt sitzt der Bürgermeister der klammen Kommune an seinem Schreibtisch, im Urlaub gut erholt und tatendurstig. Die Frage, ob man seine Stadt mit der Lage Griechenlands vergleichen könnte, weist er entrüstet mit einem knurrigen Unterton zurück. „Überhaupt nicht, wir haben einen genehmigten Haushalts-Sanierungsplan und sind relativ frei in unseren Entscheidungen.“ Seit einem Jahr im Amt ist der frühere Wirtschaftsförderer des Kreises jetzt als Feuerwehrmann und Prediger unterwegs. Brände muss er löschen, Emotionales auf eine sachliche Ebene zurückführen, Mut machen, die Pluspunkte seiner Stadt herausarbeiten. Den einen oder anderen Knock-out hat er sich im ersten Jahr eingefangen. 2014 brach die Gewerbesteuer ein, Finanzgeschäfte der Stadt aus der Vergangenheit könnten sich zudem teuer auswirken, Schulstreit, die Auseinandersetzungen um die Kaufland-Ansiedlung – Holberg fand sich mehr als einmal im Ringstaub wieder. „Aber ich stehe immer wieder auf, übernehme gerne Verantwortung und meine Heimatstadt ist mir auch ein Herzensanliegen.“ 


Natürlich ist der 59-Jährige nicht blauäuigig. Bereits bei einem Grundsteuersatz von derzeit über 800 Prozent hatte es Beschwerden und Einsprüche von insgesamt 500 Bürgern gehagelt, ohne dass es zu weiteren Anfeindungen gekommen wäre. „Aber nächstes Jahr kann das kippen", weiß Holberg, weswegen er in Bürgerforen Ende des Jahres Aufklärung leisten und um Verständnis bitten will. Indes – es wird für die Bürger teuer bleiben. Und dass, wie die Bertelsmann-Stiftung ausgerechnet hat, man bis zum Jahr 2030 fast ein Drittel der Zehn- bis 19-Jährigen verliert, fördert nicht gerade den Optimismus. „Wir werden wohl nicht mehr das östlichste Jugendzentrum des Rheinlandes“, schmunzelt Holberg. Bei allem Ärger ist ihm der Wortwitz nicht verloren gegangen.

Das Gezerre um die Kaufland-Ansiedlung, dessen Verhinderung Holberg auch noch Wochen später ein Rätsel ist, hat allerdings Spuren hinterlassen. Ungehalten und unwirsch reagiert er bei diesem Thema. „Ich bin ehrlich erschrocken, mit welcher Rücksichtlosigkeit hier Macht ausgeübt wurde, ein Durchregieren, trotz sich verändernder Stimmungslage.“ Natürlich meint der Rathauschef mit seiner Kritik die Christdemokraten, die sich gegen Kaufland ausgesprochen hatten. Er will nicht glauben, dass hier spektakulär noch alte Rechnungen beglichen werden sollten, was einige Stimmen in der Stadt mutmaßen. Schließlich war die CDU bei der Bürgermeisterwahl mit ihrem Kandidaten krachend gescheitert.


[Kommunikativ und offen, auch wenn die Zeiten hart sind - der Rathauschef geht keinem Bürgergespräch aus dem Weg.]

Holberg will  trotz allem bei seiner offenen, kommunikativen Art zu allen Ratsfraktionen bleiben, auch wenn er sich ein wenig ernüchtert zeigt. „Ich hatte immer gedacht, dass ich mit 32 Ratsmitgliedern an ein- und derselben Sache arbeite. Ich muss mich aber teilweise revidieren.“ Dennoch hält er an Zielen fest, will den Rat stärker fordern. „Wir brauchen hier mehr als nur das Tagesgeschäft.“

Ihm reicht das jetzt aber auch mit den negativen Eindrücken. Jammern hilft nicht, vor allem, wenn es darum geht, Neubürger für die klamme Kommune zu begeistern. Bei Kindertagesstätten – es sind neun – und im Bildungsbereich sieht Holberg Bergneustadt gut aufgestellt. Vorbildlich sei die Arbeit der Ehrenamtler in Vereinen und Gruppen. „Ohne sie würden wir kein Licht am Ende des Tunnels sehen.“ Im Übrigen zeige sich an deren Arbeit, dass es eben auch eine liebenswürdige Seite der Stadt gebe mit ihren unterschiedlichen Kulturen, Lebensweisen und Religionen. Migration ist in der Feste kein Wort, dass den Menschen Bauchschmerzen bereitet – Nachbarschaft wird hier gelebt. Das macht sich zwar nicht in der Stadtkasse bemerkbar, aber beim Image. Und auch bei der Gewerbeansiedlung kann Holberg endlich Positives von einem früheren Sorgenkind berichten. Bereits 2014 ging der Verkauf einer 30.000 Quadratmeter großen Fläche im Gewerbegebiet Lingesten an den Morsbacher Raumcontainervermieter Optirent über die Bühne. Jetzt steht ein  weiterer Verkauf eines 10.000 Quadratmeter großen Grundstücks an ein Bergneustädter Unternehmen kurz vor dem Abschluss. Und auch für den Rest von 4.000 Quadratmetern gebe es Interessenten, so Holberg.

Trotz des größten Arbeitgebers Metalsa in der Stadt, setzt der Rathauschef auf kleinere Firmen. „Ich werde nichts unversucht lassen, hier mittelständische Industrie anzusiedeln.“ Auch ein Einkaufs-Kleinod soll Bergneustadt werden. Während die Kreisstadt Gummersbach vor allem auf das neue große Einkaufszentrum setze, favorisiere man weiter östlich schmucke kleine Läden. Flair soll entstehen, trotz aller Widrigkeiten. Damit verändert man zwar nicht den Schuldenberg der Stadt, befeuert aber den Optimismus. „Man darf nicht jeden Tag über die Verbindlichkeiten nachdenken, sonst fehlt irgendwann die Leidenschaft.“ Wilfried Holberg steht unter Dampf, er will anpacken, verändern, hebt beschwörend die Arme – nur mitmachen müssen auch die anderen. Der sprichwörtlich lange Atem wird zu seinem Rüstzeug gehören müssen.

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