Archiv

„Das war hier mitunter wie Wilder Westen“

bv; 17. Jul 2015, 07:00 Uhr
Bild: Bernd Vorländer --- VfL-Trainer Emir Kurtagic ist selbst gespannt, welche Leistung seine Spieler in der kommenden Saison abrufen können.
ARCHIV

„Das war hier mitunter wie Wilder Westen“

bv; 17. Jul 2015, 07:00 Uhr
Gummersbach – VfL-Trainer Emir Kurtagic über Chancen und Risiken der kommenden Saison - 'RPP - Ambulantes Therapie- und Reha-Zentrum', AggerEnergie und die Sparkasse Gummersbach-Bergneustadt präsentieren die Berichterstattung über den VfL Gummersbach.
Von Bernd Vorländer

Die vergangenen Wochen haben ihre Spuren hinterlassen. Nach mehr als drei Wochen Urlaub in Asien, in denen er mit seiner Frau, fernab des beschaulichen Gummersbach, auf Abstand zur Bundesliga ging, wirkt Emir Kurtagic erholt, aufgeräumt und ist voller Tatendrang. Längst hat der 34-Jährige wieder in den Trainer-Modus geschaltet. Da gibt es durchaus Tage, an denen der Handball-Lehrer am frühen Morgen durch seine Wohnung „tigert“ und darüber brütet, wie ein kleines Mosaikstück in seiner Mannschaft zu verbessern ist. „Ja, es ist mein Traumberuf“, sagt der Chefcoach des VfL Gummersbach, dem Handball durch seinen Vater Esad quasi in die Wiege gelegt wurde. Der Sohn ist im positiven Sinn ein Handballbesessener, immer akribisch, immer bereit für ein längeres Fachgespräch. Wer ihn trifft weiß schnell: Handball ist für ihn Berufung. „Dabei ist die Grenze zwischen Hingabe und Engagement einerseits und Wahnsinn andererseits fließend“, weiß Kurtagic, dass die ihm am nächsten stehenden Menschen viel Geduld mit dem Trainer aufbringen müssen. Er will sein Produkt eben ständig verbessern und lebt schon mal in einer anderen Welt.


Produkt und Kapital zugleich ist das Bundesligateam des VfL. Eine in großen Teilen junge Mannschaft, mit sehr guten Anlagen, begeisterungsfähig, aber noch ungeschliffen. So wie ein junges Rennpferd, dessen Weg sich in Kürze entscheidet – Champion oder Durchschnitt. In der vergangenen Saison haben die jungen Wilden des VfL manchen Zuschauer überrascht, zeigten neben einigen Ausreißern – vornehmlich gegen Aufsteiger – einige glänzende Leistungen und weckten bei den Fans Hunger auf „Mehr“. Kurtagic will seine Spieler besser machen – alle. Reifen sollen diejenigen, die vielfach noch zehn, zwölf Handballjahre auf hohem Niveau vor sich haben. So wie Simon Ernst oder Raul Santos. Beide spielen nicht nur den Zuschauern in der Arena vor, sie stehen längst im Fokus nationaler und internationaler finanzstarker Klubs. „Sie müssen sich entwickeln, wie viele andere auch. Und das können sie am besten in einem Verein, in dem man ihnen auch die nötige Zeit gibt“, sagt Kurtagic.

Vorfreude und Bedächtigkeit spürt man beim Cheftrainer heraus. Noch steht man am Beginn der Vorbereitung, doch Kurtagic würde am liebsten wie in einer Zeitmaschine den 23. August eingeben, wenn es in der Dortmunder Westfalenhalle gegen Meister THW“ Kiel geht. Das ist auch für ihn ein Höhepunkt. Doch der Coach ist Realist genug, zu wissen, dass ein blau-weißes Märchen bei ungünstigen Voraussetzungen nicht unbedingt gut ausgeht. Man muss weitgehend von Verletzungen verschont bleiben, sich insbesondere in der Abwehr verbessern, wo Kurtagic ein offensives 3-2-1-System etablieren will, und mancher Akteur wird  im Angriff gerade im „Eins-gegen-Eins“ zulegen müssen. „Wir haben in der vergangenen Serie auch Glück gehabt“, weist Kurtagic auf manches knapp gewonnene Spiel hin.

Das Selbstbewusstsein bei den Spielern ist jedenfalls gewachsen, doch die Tatsache, dass man jetzt nicht mehr als Außenseiter in einige Hallen kommt, dürfte auch bei den Gegnern besondere Kräfte freisetzen. „Da wird sich zeigen, wie schnell wir mit dieser Situation umgehen können“, so der VfL-Trainer.

Kurtagic hat offenbar seine Mitte gefunden - nach Jahren, in denen er auch mancher Kritik ausgesetzt war, die er auch heute noch als unfair empfindet. Er hat beim VfL den tiefen Fall und die zuletzt beginnende Blüte erlebt. „Das war hier mitunter wie Wilder Westen, eine schwierige Zeit“, spricht er die Jahre 2011 bis 2013 an. Für seine Entwicklung allerdings positiv. „Ich habe extrem viel gelernt.“ Am Montag startet der VfL-Tross ins Trainingslager nach Ischgl, ehe zahlreiche Trainingseinheiten und Spiele den VfL-Alltag bestimmen, ehe es am 15. und 16. August ernst wird, wenn der VfL in Saarlouis das Ticket für die nächste Pokalrunde lösen möchte. Bis dahin will Kurtagic noch spezielle Tugenden fördern. „Wir kommen als Team zum Glück sympathisch rüber, aber wir brauchen noch mehr Cleverness und vor allem Aggressivität auf dem Spielfeld.“
  
WERBUNG