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Erdbeben: 'Wir sind alle traumatisiert'

Red; 11. May 2015, 14:27 Uhr
Bilder: privat ---- Tausende sind durch das Erdbeben obdachlos geworden und müssen Zuflucht in Zelten suchen.
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Erdbeben: 'Wir sind alle traumatisiert'

Red; 11. May 2015, 14:27 Uhr
Wiehl – Lorena (19) aus Wiehl ging nach ihrem Abitur für ein Jahr nach Nepal, um für eine Missionsorganisation zu arbeiten – Als die Erde bebte, war sie in Kathmandu, nach der Katastrophe leistet sie in Langtang Hilfe - Auf OA berichtet sie von ihren Erfahrungen.
Vor dem Haus meiner Freundin sind unzählige Zelte aufgeschlagen. Zweimal warmes Essen wird den Tibetern aus Langtang im Kloster angeboten. Zwei Monate wird noch für sie gesorgt, bis dahin muss eine Langzeitlösung gefunden worden sein. Zurück können sie nicht mehr. Ihre Jahrhunderte lange Heimat Langtang existiert nicht mehr. Ich sitze mit ihnen vor den Zelten, trinke Tee und höre mir ihre Geschichten an. Schreckliche Geschichte, manche zu grausam, um wahr zu sein. Sie erzählen von fliegenden Steinen und Felsbrocken. Sie erzählen, wie sie mit ansehen mussten, wie ihre Häuser und all ihr Besitz von Erdrutschen und Lawinen davon gespült wurden. Jeder kann mir von verstorbenen oder vermissten Familienmitgliedern erzählen. Keine Familie ist mehr vollzählig, manche sind völlig allein hinter blieben. Ich sitze bei ihnen und höre zu. Ich habe nichts zu sagen und das ist vielleicht auch gut so.


[Essensrationen werden in Plastikbeutel verpackt und ausgegeben.]

Ich arbeite in diesem faszinierenden kleinen Land am Himalaya in einer Organisation, die die Kultur und die Menschen hier sehr gut kennt und von Herzen liebt. So starteten wir schon zwei Tage nach der Erdbeben-Katastrophe Soforthilfeprojekte und packten und verteilen Tüten mir Reis, Linsen, Seife und allem Nötigen. Wir kooperieren mit anderen Organisationen, da wir als Missionsorganisation mit dieser Art von Hilfsarbeit zwar wenig Erfahrung haben, unser Herz aber dafür schlägt, den Betroffenen zu helfen und zu geben, was wir können. Die vergangenen Wochen verbrachten wir nun hauptsächlich damit, Tageswanderungen in Dörfer zu unternehmen, um auch dort die Lage zu dokumentieren und die Menschen zu versorgen. Dank vieler Spenden von außerhalb war es uns möglich, unzählige Reissäcke, Linsen, Medizin und viele Zelte zu verteilen, sodass nun in dem Gebiet, auf das wir uns fokussiert haben, alle Dörfer besucht und für die nächsten Wochen versorgt wurden. In den nächsten Tagen und Wochen werden wir längere Treks unternehmen, um auch die Dörfer zu erreichen, die mehrere Tagestouren entfernt liegen. Langfristig planen wir, Wiederaufbauarbeiten zu betreuen und zu unterstützen sowie Seelsorge und seelische Betreuung anzubieten.



[Ein Mann vor den Trümmern seines Hauses.]

Wenn ich durch die Stadt laufe, scheinen die meisten Gebäude in Ordnung zu sein und viele Menschen schlafen bereits wieder in ihren Häusern. Nur in den älteren Stadtteilen sehe ich eingestürzte Häuser, Risse in den Wänden und muss sogar vereinzelt über Trümmer steigen. Und doch scheint Nepal nach dem Erdbeben nicht mehr dasselbe zu sein. Es ist nicht die sichtbare Zerstörung, von der ich rede, etwas im Inneren der Menschen hat sich verändert. Etwas im Inneren von jedem von uns ist anders. Fragen werden gestellt, von denen vorher nie die Rede war. Sorgen kommen auf, an die man vor dem Erdbeben nicht gedachte hätte. Aber auch Hoffnung, die vorher von wenig Relevanz war, ist jetzt von ganz neuer Bedeutung.

Natürlich sind wir alle traumatisiert, manche mehr und manche weniger. Ich persönlich habe keine Angst mehr in Gebäuden zu sein und kann wieder ruhig in meinem Bett schlafen. Es dauerte einige Tage und ich bin natürlich noch dabei, die Geschehnisse zu verarbeiten. Aber ich weiß auch, dass es Hoffnung für dieses zerstörte Land gibt.


[Essensausgabe in Nepal: Die Rationen erhalten das Nötigste.]
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