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„Uns sind teilweise die Relationen verloren gegangen“

bv; 13. Apr 2015, 16:56 Uhr
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„Uns sind teilweise die Relationen verloren gegangen“

bv; 13. Apr 2015, 16:56 Uhr
Oberberg – Die SPD-Bundestagsabgeordnete Michaela Engelmeier über grenzenlose Armut, die Gefahren der sozialen Netzwerke und die Lage der Sozialdemokratie.
Von Bernd Vorländer


OA: 18 Monate nach dem Einzug in den Bundestag – wie fällt ihr Fazit aus?
Engelmeier: Es macht sehr viel Spaß, Politik umsetzen zu können, auch wenn es mitunter anstrengend ist, in Berlin gefordert, aber auch im eigenen Wahlkreis präsent zu sein. Letzteres ist mir ganz wichtig, ich sehe den Kontakt zur Basis als Grundlage meiner Arbeit an. Die SPD ist der Motor in der Großen Koalition, wir haben sehr viele Dinge durchgesetzt – den Mindestlohn, die Rente mit 63, die Frauenquote. Wir sind selbst von dem begeistert, was wir geschafft haben.

Für mich persönlich ist es als sportpolitische Sprecherin meiner Fraktion wichtig, dass ich an einem Anti-Dopinggesetz und einem Gesetz gegen Spielmanipulation mitwirken kann.  Ich bin auch ins kalte Wasser des Entwicklungshilfe-Ausschusses geworfen worden, aber es ist ein unglaublich wichtiges, manchmal auch sehr trauriges Thema.  Die Armut auf dieser Welt ist manchmal nicht in Worte zu fassen. Millionen Menschen sind auf der Flucht – vor Krieg, Hunger, Elend. Wir müssen hier Antworten finden, die diesen Menschen eine Perspektive gibt.

OA: Warum erfüllt dann Deutschland nicht die finanziellen Vorgaben der Vereinten Nationen hinsichtlich der Entwicklungspolitik?
Engelmeier: Es ist im Moment sehr schwierig, wir müssen da als SPD mehr Druck aufbauen, das stimmt. Entwicklungspolitik läuft im Plenum abends oder am Freitagnachmittag, das zeigt schon ihren Stellenwert. Dabei geht es um viele Fragen, die ja auch mit konkreter Außenpolitik zu tun haben. Dass Terror-Organisationen in Gebieten ihre Anhänger finden, in denen Mut- und Perspektivlosigkeit der Menschen bereits zum Teil seit Generationen bestehen, sollte Anlass genug sein, uns intensiv mit Entwicklungspolitik zu befassen. Dass industrialisierte Staaten zudem aufgrund ihrer demografischen Versäumnisse dazu übergehen, diesen Ländern zum Teil ihre bestausgebildeten jungen Menschen wegzunehmen, halte ich für moralisch sehr fragwürdig. Die fehlen dann diesen Gesellschaften ganz enorm.



OA: Nach allen Umfragen kommt ihre Partei nicht vom Fleck. Was sind die Ursachen?
Engelmeier: Es stimmt, in den Umfragen nützen unsere Erfolge derzeit gar nichts. Ich bin überzeugt, dass dies zum einen mit der starken Kanzlerin zusammenhängt. Zum anderen aber haben wir als SPD noch nicht deutlich machen können, dass die Bürger bei der Sozialdemokratie am besten aufgehoben sind. Da fehlt nach den Hartz-Gesetzen häufig noch das Vertrauen. Und um letzteres müssen wir uns noch stärker bemühen. Wir reden zu wenig über unsere politischen Leistungen der jüngsten Zeit, sondern immer mehr über das, was noch zu tun ist. Für uns ist das Glas immer halb leer, statt halbvoll – leider.

OA: Politik ist für viele Bürger inzwischen immer mehr ein Buch mit sieben Siegeln, für manche auch ein rotes Tuch. Man versteht nicht mehr, wie Entscheidungen fallen und warum sie nötig sind. Wie will die Politik dem Vertrauensverlust entgegenwirken?
Engelmeier: Auch ich empfinde zunehmend eine Mauer, die zwischen Politik und Bürgern steht. Deshalb: Wir müssen wieder mehr mit den Menschen reden, ihre Sorgen aufnehmen und unsere Politik erklären. Und wir sollten der Jugend mehr vertrauen und ihr mehr zutrauen. Ich bin immer ganz erschüttert, wenn bei jungen Besuchergruppen in Berlin kaum einer dabei ist, der sich politisch engagiert. Ein Wort noch zu den sozialen Netzwerken. Zum einen ein Segen, zum anderen ein Fluch. Es ist manchmal kaum zu fassen, was dort an Un- und Halbwahrheiten weitergegeben, welches Zerrbild von Realität dort vorgegaukelt wird.  Und manch einer schafft sich dort ein Weltbild, das sehr einseitig ist. Während in unserem Land einige von der Islamisierung des Abendlandes faseln, wissen wenige Flugstunden entfernt Eltern nicht, wie sie ihre Kinder ernähren sollen. Manchmal glaube ich, uns sind teilweise die Relationen verloren gegangen.

OA: Welchen Einfluss hat die Politik eigentlich auf Sportverbände, die Großveranstaltungen austragen, aber demokratische und menschliche Grundsätze missachten?
Engelmeier: Der Sport ist autonom und es ist vielleicht auch gut so, dass hier die Politik nur empfehlen und nichts vorschreiben kann.  Aber es braucht Reformen und Transparenz bei den Sportverbänden, die damit ja auch schon begonnen haben. Wir müssen weg von dem Gigantismus, der nicht nur enorme Summen verschlingt, sondern auch die Akzeptanz in der Bevölkerung sinken lässt. Wir brauchen ökologische und arbeitsrechtliche Standards, ohne die keine Olympischen Spiele und Weltmeisterschaften stattfinden dürfen. Wir brauchen eine gesellschaftliche Diskussion und dürfen nicht zusehen, wenn Menschen in Katar bei der Errichtung von Fußballstadien sterben, weil sie bei 50 Grad Außentemperatur kaum Wasser bekommen und sowieso für einen Hungerlohn arbeiten.

OA: Ist von der deutschen Wirtschaft, aber auch der Politik ausreichend realisiert worden, dass uns bald Arbeitskräfte fehlen.
Engelmeier: Nein, das haben längst nicht alle begriffen und das liegt auch an dem kurzsichtigem Verhalten der Wirtschaft. Heute müssen wir monatelang darüber diskutieren, damit Unternehmen Frauen in Führungspositionen verankern, obwohl die Geschäftsleitungen genau wissen, dass wir aufgrund der demografischen Entwicklung in zehn Jahren Frauen in Führungsverantwortung dringend benötigen. Wir denken leider in vielen Dingen zu kurz. Karriere mit Kind, das muss bei uns die Regel werden, nicht die Ausnahme bleiben.
  
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